Abschaffung des Eigenmietwerts: Der Endgegner des HEV
Bei der Abstimmung im September könnte die Eigenmietwertsteuer fallen. Dabei fand einst selbst der Hauseigentümerverband diese gerechtfertigt.

Die Zeichnung, 1979 in der Zeitung des Hauseigentümerverbands abgedruckt, zeigt einen dösenden Mann in einem Korbliegestuhl, im Hintergrund ein stattliches Haus, umgeben von Bäumen. Einen Hut aus Papier hat er sich ins Gesicht gezogen, «Eigenmietwert» ist am Rand darauf zu lesen. In fetten Buchstaben steht unter der Zeichnung: «Wie gern versteuern Sie ein Einkommen, welches gar nie hereinkommt?» Der HEV gegen den Eigenmietwert: ein Dauerkampf – und nun eine Abstimmung von politischem Grosskaliber. Mit 28 in schweizerischen oder kantonalen Verbänden aktiven Parlamentarier:innen bestens in Bern vertreten, kämpft der HEV mit dem grössten je gemeldeten Kampagnenbudget für ein Ja zur Gesetzesvorlage für einen «Systemwechsel in der Wohneigentumsbesteuerung»: Eigenmietwert abschaffen, dafür die Schuldabzüge ebenso. Der Slogan: «Wohnen ohne Sorgen» für «faire Steuern» – heisst: für die Abschaffung jener Steuer, die der Rechtsprofessor und ehemalige UBS-Vizepräsident Peter Böckli einst als «eines der umstrittensten Kernprobleme im Steuerrecht überhaupt» bezeichnet hat.
Will man sich nicht in dessen Untiefen verheddern, ist das Prinzip der Eigenmietwertsteuer rasch erklärt: Wer in seinem Eigentum wohnt, muss einen Teil des Beitrags, der erzielt werden könnte, würde die Liegenschaft auf dem freien Markt vermietet werden, als Einkommen versteuern. Gegner:innen des Eigenmietwerts, auch der Bund, sprechen deshalb gerne von einem «fiktiven» oder «theoretischen» Einkommen, einem Einkommen, «welches gar nie hereinkommt», wie der HEV 1979 seinen Mitgliedern weismachte. Zwar nicht unbedingt intuitiv erfassbar, ist der Eigenmietwert allerdings ein reales Naturaleinkommen, das sich einfach nicht in Geld ausdrückt und deshalb geschätzt werden muss (im Scheidungs- und im Arbeitsrecht gibt es Ähnliches, in Letzterem etwa, wenn man als Gastromitarbeiter:in Kost und Logis erhält).
Eine kleine Steuergeschichte
Wie hoch die Steuerlast für einzelne Haushalte ist, lässt sich nicht verallgemeinern, zu unterschiedlich sind die kantonalen Herleitungen, zu vielfältig die Schrauben, an denen Eigentümer:innen drehen können – etwa indem sie geltend machen, nicht alle Zimmer einer Wohnung zu nutzen, oder indem sie Unterhalts- und Renovationsarbeiten von den Steuern abziehen. Neben dem Zinsniveau hängt der Eigenmietwert dazu von der Höhe der Verschuldung ab, dem Zustand der Liegenschaft und dem Wohnort.
Das Einzige, was grundsätzlich gesagt werden kann: Die Eigentümer:innen, 36 Prozent der Bevölkerung, in sich wiederum unterschiedlich situiert, aber ökonomisch tendenziell bessergestellt als die Mieter:innen, könnten dank des Systemwechsels Steuern sparen. Unter ihnen würden wegen des Wegfalls der Schuldabzüge besonders jene profitieren, deren Haus bereits abbezahlt ist. Die Vorlage – von Bundesrätin Karin Keller-Sutter als «ausgewogen» bezeichnet – würde Kantonen und Bund jährlich 1,8 Milliarden Franken entziehen. Die SP warnt vor einer Mehrbelastung aller Haushalte von bis zu 500 Franken im Jahr. Sparministerin Keller-Sutter zu den Steuerausfällen: «Das ist so, und damit muss man leben.»
Geht man der Frage nach, wer eigentlich womit leben muss beziehungsweise wieso der Eigenmietwert «zu den beliebtesten Feindbildern in der Schweizer Steuerpolitik» gehört, wie die NZZ 2017 festzustellen wusste, landet man bei seinen Ursprüngen in der Weltwirtschaftskrise: 1934 führte der Bund im Rahmen der Krisenabgabe die Eigenmietwertsteuer, die viele Kantone schon kannten, und die Abzüge von Schuldzinsen, Liegenschafts- und Unterhaltskosten ein, um den klammen Bundeshaushalt zu verbessern. Die Steuersysteme der meisten Industrieländer bevorzugten damals Hausbesitzer:innen, kannten gleichzeitig aber Einkommenssteuern in Bezug auf das Eigentum; in Frankreich, Deutschland oder England beispielsweise galten ähnliche Steuerregime. Der Eigenmietwert war quasi die Norm.
Der Historiker Florian Müller hat die Debatten darüber detailliert aufgearbeitet – und festgestellt, dass die damalige Einführung der Steuer wohl auch deshalb kaum Kontroversen auslöste. «Es war keine Steuer, die die Eigentümer:innen bevorteilte. Aber es war eben auch keine, die sie wirklich benachteiligte», sagt Müller im Gespräch. Auch als die Eigenmietwertsteuer 1940 mit der Überführung in die eidgenössische Wehrsteuer regularisiert wurde, blieben Proteste aus. In der Verbandszeitung des HEV hiess es damals beschwichtigend: «Diese Steuer ist […] keineswegs so, dass wir uns darüber entrüsten dürften.» Gab es Kritik, zielte sie auf deren Höhe, nicht auf die Steuer per se.
Allerdings war der Verband damals ein eigentlicher Vermieterverband, dessen Interessen anderswo lagen: «Eigentum, um damit Geld zu verdienen, nicht um darin zu wohnen – das war in der Schweiz bis weit in die Nachkriegszeit und darüber hinaus zentral», sagt Müller. Während in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg die meisten Länder entweder Wohneigentum oder den sozialen Wohnungsbau stark gefördert hätten, habe sich der Wohnungsbau in der Schweiz nach wie vor hauptsächlich am privatwirtschaftlichen Renditemarkt orientiert. Der Eigenmietwert betraf in der Tendenz immer weniger Personen: Bis 1970 sank die Wohneigentumsquote auf unter dreissig Prozent. Und: Eine Studie im Auftrag des Bundesamts für Wohnungswesen stellte Ende der siebziger Jahre nach wie vor systematische steuerliche Vorteile der Hauseigentümer:innen gegenüber den Mieter:innen fest.
Das Ideal des Eigenheims
Doch in den siebziger Jahren verschob sich der Diskurs, wie Müller feststellte: Wohneigentum, «das Ideal des Eigenheims», sei in dieser Zeit wirkmächtiger geworden. «Den liberalen Grundsätzen der Besteuerung nach wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit und der Steuergerechtigkeit stand zunehmend die Forderung nach einer breiteren Förderung des selbstbewohnten Wohneigentums gegenüber», sagt der Historiker. Nicht die Höhe der Eigenmietwertbesteuerung geriet in die Kritik, sondern der Mechanismus als solcher.
Neuere Verbände wie der rechtsliberale Thinktank Schweizerische Zentralstelle für Eigenheim- und Wohnbauförderung etablierten sich, der HEV lenkte sein Interesse auf die Eigentumsförderung und warb damit neue Mitglieder an. Auf kantonaler Ebene kam es vermehrt zu heftigen Auseinandersetzungen – wurde die Eigenmietwertsteuer nach oben angepasst, brachten sich bürgerliche Politiker, etwa im Kanton Zürich, gegen die «sozial unverantwortbare» Steuerlast in Stellung. In vielen Kantonen wurden eigentumsfreundliche Revisionen durchgesetzt, die Möglichkeiten für Steueroptimierungen vergrössert.
Die Geschichte des Eigenmietwerts kann deshalb auch als Geschichte immer besser organisierter Hauseigentümer:innen gelesen werden. Oder als eine Geschichte der systematischen Benachteiligung von Mieter:innen. Denn – darauf wies SP-Nationalrätin Jacqueline Badran kürzlich im «Tages-Anzeiger» hin – während die Wohneigentümer:innen in den letzten fünfzehn Jahren ihre Kosten wegen der tiefen Zinsen halbieren konnten, haben sich die Mieten verdoppelt.
Eine der wenigen Bremsen
1999 und 2012 scheiterte der HEV mit Initiativen zur Kürzung oder Abschaffung der Eigenmietwertsteuer noch krachend. 2004 lehnte die Stimmbevölkerung das von Bund und Parlament vorgelegte «Steuerpaket 2001» ab, das eine Reduktion des Eigenmietwerts vorgesehen hätte. Auch dieses Mal ist die Gegnerschaft breit, sie reicht vom Baugewerbe bis zur Linken. Doch die ersten Umfragen ergaben eine deutliche Zustimmung.
Die Abstimmung wird zeigen, ob sich das jahrzehntelang gepflegte Narrativ des Hauseigentümerverbands am Ende doch noch durchsetzt. Oder ob eine der Bremsen für eine noch ausgeprägtere Klassengesellschaft bestehen bleibt. Der ehemalige SVP-Nationalrat und HEV-Präsident Hans Egloff, auf dessen Motion von 2013 die kommende Abstimmung überhaupt zurückgeht, verstieg sich damals zur Behauptung, der Eigenmietwert sei «eine der letzten grossen Ungerechtigkeiten». Der Mann auf der Zeichnung von 1979 wirkt trotzdem ziemlich sorglos, das Einkommen nicht hereinkommen sehend, im lauschigen Schatten seiner Bäume.