Kroatien: Die rechte Opposition macht mobil: Bringt ein Kriegsheld die Wahrheit ans Licht?

In Kroatien demonstrieren tausende für einen Exgeneral, der wegen schwerer Kriegsverbrechen vor Gericht soll. Die Frage nach der eigenen Schuld geht dabei unter.

Die politische Situation in Kroatien ist so heiss wie schon lange nicht mehr: In Split und Zagreb haben tausende DemonstrantInnen Innenstadtverkehr und Ausfallstrassen lahm gelegt. Anlass für die Proteste ist der Haftbefehl gegen Exgeneral Mirko Norac, der im Kreis von Veteranen des serbisch-kroatischen Krieges 1991/92, aber auch unter der Bevölkerung den Ruf eines Kriegshelden geniesst. Dem 33-jährigen, von Staatspräsident Stipe Mesic letztes Jahr zwangspensionierten General werden schwerste Kriegsverbrechen zur Last gelegt. Laut übereinstimmenden Zeugenaussagen ordnete Norac im Herbst 1991 im Städtchen Gospic unweit von Split Massenexekutionen an über hundert serbischen und kroatischen ZivilistInnen an und hat auch persönlich Menschen umgebracht. Norac war ein paar Tage lang untergetaucht, will nun aber vor dem zuständigen Richter aussagen. Diese Zusage gab er laut dem Radiosender «Freies Europa» Staatspräsident Mesic, der seit langem für eine rechtsstaatliche Verfolgung von Kriegsverbrechern auch aus den eigenen Reihen eintritt.
Wie kommt es, dass ein Mirko Norac zur Gallionsfigur der Proteste unzufriedener KroatInnen wird? Die kroatische Rechte in Armee, Kirche, Parteien und den Medien baut ihn in einer geschickten Dramaturgie zum unschuldigen Opfer auf. Laut Ivo Sanader, dem Präsidenten der bei den Protesten federführenden HDZ (Kroatische Demokratische Gemeinschaft), der Partei des ehemaligen Staatspräsidenten Franjo Tudjman, ist die «verräterische» neue Regierung verantwortlich für eine regelrechte Hetzjagd auf einen Mann, der «Symbol des Sieges im kroatischen Heimatkrieg» sei. Der Junggeneral ist jedoch nur Mittel zum Zweck. Tatsächlich geht es darum, dass der nach den verlorenen Wahlen letztes Jahr verlorene Einfluss der Rechten wiederhergestellt werden soll. Die HDZ orchestriert die Animositäten gegen die regierende Koalition, die in ihrem ersten Jahr wirtschafts- und sozialpolitisch versagt hat. Das Regierungsbündnis von Ministerpräsident Ivica Racan soll durch vorgezogene Neuwahlen ausgehebelt und der verhasste sozialdemokratische Premier gestürzt werden:
Ein Premier, der mit dem anti-kroatischen Internationalen Kriegsverbrechertribunal in Den Haag paktiere und Nationalhelden ausliefere, könne nicht an der Spitze einer kroatischen Regierung stehen, wird skandiert. Pikant daran ist, dass unter Tudjman ein gutes Dutzend Kroaten nach Den Haag ausgeliefert wurde, unter der neuen Regierung jedoch kein einziger.
Norac ist der Schlüssel zu diesem wichtigen Kapitel kroatischer Kriegsgeschichte: Schon im Oktober 1991 erhielt Tudjman vom zuständigen Chef des regionalen Krisenstabs einen Brief, in dem die Umstände des Massakers von Gospic präzise beschrieben waren. Die Staatsspitze war demnach von allem Anfang an über diese Geschehnisse informiert. Der Brief blieb unter Verschluss. Tudjman reagierte zwar und beorderte einen Mann nach Gospic, dessen Name ebenfalls in Zusammenhang mit Kriegsverbrechen gebracht wird: General Petar Stipetic, gegenwärtig Generalstabschef der kroatischen Armee. Stipetic hätte Noracs Posten übernehmen sollen; Norac scherte sich aber keinen Deut um die Anordnung Tudjmans. Dieser Vorfall stützt die These von den parallelen Kommandostrukturen in der damaligen kroatischen Armee. Auf der einen Seite standen Berufsoffiziere wie Stipetic, die bei Kriegsausbruch direkt von der ehemaligen Jugoslawischen Volksarmee in ihr kroatisches Lager übergelaufen waren und sich loyal gegenüber ihren neuen militärischen und politischen Autoritäten verhielten. Ihnen gegenüber standen kroatische Berufskiller aus der Fremdenlegion und der internationalen Unterwelt, die auf persönliches Geheiss des verstorbenen Ex-verteidigungsministers Gojko Susak ins Land geholt wurden. All diese Gestalten wurden später von Tudjman für ihren «heroischen Kampf im Heimatkrieg» ausgezeichnet.
Carla Del Ponte, die Chefanklägerin des Tribunals, hat bei ihrem kurzen Besuch in Zagreb Mitte Januar überraschend die Vorladung für Stipetic zurückgezogen. Jenseits aller politischen Opportunität war sich Del Ponte wohl im Klaren, dass ihr Stipetic als Angeklagter kaum etwas nützen wird. Aber als Zeuge in andern Fragekomplexen kann er ihr womöglich jede Menge belastendes Material über andere Täter liefern. Der Fall Norac erhält in dieser Perspektive plötzlich eine neue Dimension: Stipetic hat wohl kaum vergessen, wie er beim Treffen in Gospic vom militärischen Parvenü Norac behandelt wurde.
In den gegenwärtigen Protesten geht das Problem eigener Schuld und moralischer Verantwortung völlig unter. Nur wenige wagen es, politische Weitsicht und damit den Willen zur ernsthaften Vergangenheitsbewältigung zu zeigen. Eine der wenigen PolitikerInnen ist Vesna Pusic, die Präsidentin der an der Regierungskoalition beteiligten Volkspartei. Sie verlangt seit langem, Kroatien müsse radikal mit dem Haager Tribunal kooperieren. Und dabei dürfe nicht zum serbischen «Intimfeind» geschielt werden, der angeblich in Den Haag besser «wegkommt». Damit entzaubert Pusic nicht zuletzt die Konkurrenz des serbischen und des kroatischen Nationalismus, in denen es «Volksgut» ist, selber ein bisschen weniger schlecht zu sein als der andere.
Es war ureigenstes Interesse, wenn am Spliter Meeting auch ein Mann sprach, der zur selben Zeit wie Norac in einem andern Gebiet «tätig» war: Tomislav Mercep beging mit seinen Todesschwadronen im serbisch-kroatischen Krieg 1991/92 in der Region
von Pakrac (Slawonien) erwiesenermassen Kriegsverbrechen. Er weiss, dass mit einem «Prozess Norac» auch ihm die Stunde schlägt. Dann wird ihm auch seine parlamentarische Immunität nicht mehr weiterhelfen, die ihn bis jetzt vor dem Zugriff der Richter geschützt hat. Der kroatische Journalist Viktor Ivancic, der Merceps Blutspur jahrelang verfolgt hat, diagnostiziert, dass die kroatische Gesellschaft – aus Selbstschutz oder Überzeugung – an Gedächtnisverlust leide und die eigene Schuld verdränge. Nur unter solchen Umständen sei es nämlich möglich, dass ein oberster Richter des Landes unwidersprochen sage: «Kroatien kann keine Kriegsverbrechen begehen, weil es einen Verteidigungskrieg führt.»