Legitimation und Gewalt in Mazedonien: Die gegnerischen Parteien gleichen sich an
Staatliche Macht braucht die Zustimmung ihrer BürgerInnen. Auf diese Legitimation kann Herrschaft auf Dauer nicht verzichten: Die BürgerInnen müssen von der Rechtmässigkeit der bestehenden Ordnung überzeugt sein – und immer wieder überzeugt werden. Mazedonien, der kleine Vielvölkerstaat aus der Erbmasse Tito-Jugoslawiens droht an diesem Problem zu zerbrechen. Dieses Schicksal war Mazedonien keineswegs in die Wiege gelegt, es ist auch jetzt noch nicht besiegelt, aber die Ausgangslage 1991 war schwierig. Als sich die Nestwärme Jugoslawiens durch die Ambitionen von Slobodan Milosevic und Franjo Tudjman in ein bedrohliches nationalistisches Feuer verwandelte, entschloss sich die politische Elite Mazedoniens unter Kiro Gligorov, dem ersten Präsidenten des Landes, für die Unabhängigkeit. Der Volksabstimmung über die Verfassung blieb die albanische Bevölkerung des neu entstandenen Nationalstaats fern. So entstand Mazedonien, «als Nationalstaat der Mazedonier und seiner Minderheiten», denen volle bürgerliche Gleichberechtigung zugestanden wurde.
Präsident Gligorov etablierte von Beginn an eine Koalitionsregierung slawisch-mazedonischer und albanisch-mazedonischer Parteien und vermied so, dass sich der Kampf zwischen Regierung und Opposition entlang ethnischer Grenzen abspielte. Diese «Zauberformel» funktionierte fast zehn Jahre und ist ein Grund, weshalb Mazedonien bis vor kurzem als Oase interethnischer Stabilität galt. Die demokratischen Wahlen, die es mazedonischen wie albanischen WählerInnen erlaubten, zwischen mehreren Parteien und Kandidaten zu entscheiden, verschafften der Regierung Legitimität. Diese Legitimität jedoch ist in den letzten Jahren allmählich und in den letzten Monaten ganz rasant zerrüttet worden, und zwar zugunsten einer ethnischen Loyalität, die nicht auf demokratischen Verfahren, sondern auf nationalistischer Tradition und persönlichem Charisma beruht, eigentlich vormodernen Kategorien, die in der Krise eine verhängnisvolle und konfliktantreibende Verbindung eingegangen sind. Es gab in den vergangenen Jahren viele Gründe zur Unzufriedenheit für die BürgerInnen des Landes. Wenig hat aber so stark die Rechtmässigkeit der staatlichen Herrschaft und der politischen Führung der Parteien in Frage gestellt wie die Unregelmässigkeiten bei den Präsidentschaftswahlen 1999 und die Manipulationen bei den Lokalwahlen im vergangenen Jahr. Der Demokratischen Partei der Albaner (DPA) gelang es in zunehmendem Masse nur durch Einschüchterung, Betrug und teilweise offene Gewalt, ihre Vorherrschaft in den albanisch besiedelten Gebieten und das «Gentlemen’s Agreement» mit der slawisch-mazedonischen Partei VMRO-DPMNE von Premier Ljubco Georgievski aufrechtzuerhalten, welches das Land in Einflusssphären aufteilte. Die damit verbundene Korruption und Vetternwirtschaft hat auf der albanischen Seite die Voraussetzungen für den relativen Erfolg der «nationalen Befreiungsarmee» UCK geschaffen.
Materiell und ideologisch unterstützt von den militanten und radikalen Verlierern der Lokalwahlen im Kosovo, stilisieren sich die alt-neuen UCK-Kader als unverbrauchte moralisch-patriotische Avantgarde gegen die korrupten (albanischen) Systempolitiker, die sich auf Kosten des (albanischen) Volkes bereichern. Um den UCK-Führer Ali Ahmeti ranken Gerüchte, und seine militärisch-propagandistischen Erfolge verschaffen ihm Charisma. Sein nationalrevolutionäres Pathos kommt bei bisher perspektivlosen jungen Leuten an. Unter propagandistischem Getöse haben UCK-Vertreter in den letzten Tagen berichtet, dass sie Bordelle geschlossen hätten, in denen junge Frauen aus Osteuropa ausgebeutet werden. Der moralische Anspruch wirkt allerdings schal, wenn man weiss, dass eine der Hauptfinanzierungsquelle für die UCK im Drogenhandel und Schmuggel besteht. So wandte sich die UCK in der ersten Phase ihres Kampfes nicht gegen die slawisch-mazedonisch dominierte Regierung, sondern gegen die eigene Elite, die dann auch auf den fahrenden Zug der ethno-nationalistischen Politik aufsprang – nicht zuletzt, um die eigene Haut zu retten. Als im Frühjahr der Westen die gefährlich auseinander driftenden Parteien in eine grosse Koalition zwang, damit sich niemand aus der politischen Verantwortung stehlen möge, bremste dies kurzfristig die Polarisierung, aber gleichzeitig wurde die demokratische Legitimation der Regierung weiter ausgehöhlt.
Seit Clausewitz wissen wir, dass sich die Gegner im Zug eines Konflikts immer stärker angleichen. Und tatsächlich haben die militärischen Vorstösse der UCK und die dauerhafte Besetzung von Territorien zum Aufbau einer «Kriegspartei» im slawisch-mazedonischen Lager geführt. Sie argumentiert mit einer antiwestlichen Dolchstosslegende, wonach eine militärische Lösung – das heisst die Rückeroberung der besetzten Dörfer und die Vertreibung der UCK – möglich wäre, wenn Nato und EU der Armee nur freie Hand liessen. In den letzten Tagen wurde die schrille Rhetorik gesteigert, und die slawisch-mazedonische «Kriegspartei» bezichtigt den Westen offen, mit der UCK unter einer Decke zu stecken. Am lautesten ist dabei Premierminister Georgievski, der offensichtlich versucht, sich als Retter Mazedoniens in Szene zu setzen und so die Unzahl von Affären und Skandalen vergessen zu machen, die ihm noch im Frühjahr fast den Kopf kosteten. Auch er hat seine geschwächte demokratische Legitimität erfolgreich durch die Forderung nach ethnischer Loyalität ersetzt.
Noch kann der selbst ernannte UCK-Führer Ahmeti nicht mit dem immerhin demokratisch gewählten Georgievski auf eine Stufe gestellt werden. Aber je stärker der Konflikt eskaliert, desto ähnlicher werden sie sich. Beide haben die fehlende demokratische Perspektive ihrer politischen Karriere durch ein ethno-nationalistisches Führerkonzept ersetzt. Damit schwinden die Perspektiven für einen demokratisch legitimierten multiethnischen mazedonischen Staat.