Mazedonien: Medien in Zeiten der Krise: Einfalt in der Vielfalt

Krieg, Ethnozentrismus, politische und wirtschaftliche Abhängigkeiten: In Mazedonien herrschen schlechte Voraussetzungen für einen unabhängigen Journalismus.

Die junge Frau lachte aufgeregt in die Kamera: «Das ist unsere Antwort an die albanischen Terroristen!» Dann riss sie den Abzugsriemen. Die Haubitze krachte, und das Geschoss schlug irgendwo bei den Stellungen der Nationalen Befreiungsarmee UCK in einem Dorf bei Kumanovo ein. Über den Schaden, den es dort anrichtete, ist nichts bekannt – aber für den ohnehin prekären Ruf des Journalismus in Mazedonien war die Aktion verheerend: Die Kanonierin war Reporterin der privaten Fernsehstation Kanal fünf, eines der grössten Sender im Land.
Das Ereignis hat aber auch aufklärenden Charakter, denn es bestätigt anschaulich die These, dass die Medienberichterstattung in kriegsbetroffenen Gesellschaften selber zu einem Teil des Krieges wird. Meist erfolgt dies weniger spektakulär als im Fall der Journalistin hinter der Kanone: Die emotionale Berichterstattung entmenschlicht den Gegner, stilisiert den Kampf als Entscheidung zwischen Gut und Böse und stellt die eigene Sache als legitime Verteidigung althergebrachter Werte dar. Es wäre wohl naiv, in einer Gesellschaft, die während Monaten am Rand des Bürgerkriegs stand, objektiven, das heisst unparteiischen Journalismus zu erwarten. Dennoch, so glaubt ein Vertreter der Menschenrechtsorganisation Helsinki-Komitee in Mazedonien, müssten gewisse Standards eingefordert werden – zumindest jener, dass der Journalismus sich selber kritisch beobachte. «In diesem Punkt haben die Medienschaffenden völlig versagt: Kein einziges mazedonisch- oder albanischsprachiges Medium war immun gegen die ethno-nationalistische Euphorie.»

Ein bisschen Selbstkritik
Immerhin: Eine gewisse Selbstkritik ist vorhanden. Dies zeigte ein von einer britischen Medien-NGO organisiertes Seminar, das im letzten Herbst in der mazedonischen Hauptstadt Skopje stattfand. Zwei Monate nach der Teilentwaffnung der UCK, in einem immer noch gewalttätigen Klima, blickten mazedonische und albanische Medienschaffende zurück. Es ist überflüssig, zu sagen, dass die schwarzen Schafe nicht zugegen waren, wie etwa jener Journalist, der ungeprüft das Gerücht ins Blatt setzte, dass nach Tetovo nun auch die Region Kicevo von der UCK ethnisch «gesäubert» werde. Auch die Tageszeitung «Bota Sot» schickte niemanden. Ihre Hetzereien gegen «die Slawen» werden allerdings weniger in Mazedonien als von der albanischsprachigen Diaspora in der Schweiz gelesen. Solche Fehlleistungen sind nicht ausschliesslich durch die Krise begründet. Ihre Ursachen liegen teilweise in der Struktur der ethnisch geteilten Öffentlichkeit des Landes und haben viel mit dem schwierigen Strukturwandel des Mediensystems zu tun. Die Foren und Medien der öffentlichen Diskussion sind traditionell strikt getrennt – bis auf das Parlament, dessen Debatten aber nur sehr selektiv zur Kenntnis genommen werden. Es gibt keine ethnisch gemischten Parteien, und die meisten Interessengruppen sind monoethnisch. Eine Ausnahme bilden international unterstützte nichtstaatliche Organisationen (NGOs), die interethnische «Subventionskoalitionen» bilden, die nach Versiegen der Geldquelle wieder zerfallen. Die ethnische Teilung der Gesellschaft wird durch eine Verdoppelung des Mediensystems abgebildet: Auf beiden Seiten existieren öffentlich-rechtliche sowie private elektronische Medien unterschiedlicher Reichweite sowie ein Angebot an gedruckten Tages- und Wochenmedien. Mazedonisch- und albanischsprachige Medien verfolgen in der Regel unterschiedliche, ethnozentrische Agenden. Das Alltagsleben der «andern» findet darin kaum Platz, ganz zu schweigen von wirtschaftlichen und kulturellen Fragen, welche die jeweils andere Volksgruppe betreffen. Entsprechend klein ist der wechselseitige Einblick in die Probleme und Debatten – vor allem seitens der mazedonischsprachigen Mehrheit, die kaum Albanisch versteht. Einzig die «grosse Politik» auf Landesebene wird in beiden Mediensystemen je aus der eigenen Perspektive dargestellt.

Fehlende Autonomie
Zwischen den Medienschaffenden der verschiedenen Volksgruppen gibt es Kontakte, die meist informeller Natur sind. «Um Statements der UCK zu bekommen, wende ich mich an einen albanischen Kollegen aus Tetovo», erzählt ein mazedonischsprachiger Journalist am Rande einer Pressekonferenz in Skopje. «Umgekehrt besorge ich ihm Stellungnahmen aus dem Innenministerium.» Mühsam, aber erfolgreich hielt ein Teil der Medienschaffenden die Kontakte aufrecht. Auch wenn zeitweise nur noch das Wetter einen zumutbaren Gesprächsgegenstand abzugeben schien, blieb ein gemeinsames professionelles Selbstverständnis erhalten. Über die Anzahl oder gar das Leid der zivilen Opfer der jeweils andern Seite war aber weder in den mazedonisch- noch den albanischsprachigen Medien etwas zu erfahren. Es war eine Sensation, als der mazedonischsprachige «Utrinski Vesnik» während der Kämpfe im Juni ein langes Telefoninterview mit dem Führer der UCK, Ali Ahmeti, abdruckte. Von einem albanischen Journalisten vermittelt und einer Mazedonierin am Telefon geführt, wurde daraus ein Erfolg journalistischen Handwerks über das nationale Lagerdenken hinweg.
Das ist die Ausnahme. Denn fast alle Medien sind ins Klientelsystem der ethnischen Parteien eingebunden. Ein auch nur relativ autonomes Mediensystem hat sich bisher nicht etabliert – es fehlen die wirtschaftlichen Ressourcen. Auf den ersten Blick überrascht allerdings die Grösse und Vielfalt der Medienlandschaft: Für 2,1 Millionen EinwohnerInnen, davon gut 500 000 albanischsprachig, existieren acht Tageszeitungen (davon zwei in Albanisch), zehn Wochenmagazine (zwei in Albanisch) sowie 160 elektronische Medien, von denen etwa zehn landesweit senden. Obwohl dem Buchstaben nach «öffentlich-rechtlich», sind die staatlich unterstützten Medien (darunter der Landessender MTV und drei Zeitungen) Sprachrohre der Regierungsparteien. Mit ihrer Ablösung werden jeweils die Belegschaften vom Chefredaktor bis zum Pförtner ausgewechselt. Aber auch die kommerziellen Sender sind leicht zu manipulieren. Weil der kleine Werbekuchen nicht zum Überleben reicht, sind viele Lokalsender von Zuwendungen örtlicher «Sponsoren» abhängig. Obwohl dutzende dieser Sender ohne Konzession arbeiten und keine Gebühren bezahlen (und deshalb die Werbepreise drücken), werden sie toleriert. Mehr noch: Premierminister Ljubco Georgievski soll mit Blick auf die Wahlen 37 Betreibern eine Konzession versprochen haben – die erwartete Gegenleistung brauchte er nicht zu erwähnen.
Der staatliche Rundfunkrat, der über die Medien und ihre Freiheit wachen sollte, wird von einem Medienexperten als «ineffizient und korrupt» bezeichnet. So hoffen manche Medienschaffenden auf Rettung aus dem Ausland. Zumindest Nothilfe erhielten eine Reihe von Lokalsendern im vergangenen Jahr durch den «Internationalen Medien Fonds», einen Verbund von Medienentwicklungsorganisationen, dessen Programm von einem Mitarbeiter der schweizerischen Medienhilfe Ex-Jugoslawien*umgesetzt wird. Nachdem im Frühjahr Sendeanlagen bei Tetovo durch Beschuss der UCK zerstört worden waren, wurden diese mit westlichen Geldern (die Schweizer Regierung beteiligte sich mit 370 000 Franken) wieder instand gestellt und neun ausgewählten Sendern ein Krisenbudget zur Verfügung gestellt. Gleichzeitig wurde ein Monitoring eingerichtet, das Informationssendungen auswertet. Von diesem Medienspiegel erhofft man sich eine Professionalisierung der Medienarbeit, während der Aufbau eines TV-Netzwerks, in dem Sendungen ausgetauscht werden, die Informationsbarrieren zwischen den verschiedensprachigen Redaktionen aufbrechen soll. Geplant ist auch eine unabhängige Beschwerde- und Beratungsinstanz, um die Selbstregulierung voranzubringen. Dies alles sind wichtige Schritte zur friedenssichernden Verbesserung der Medienqualität. Nachhaltig werden sie nur sein, wenn das Mediengeschäft eine verlässlichere rechtliche und ökonomische Basis erhält.