Endloser Krieg in Mali
Beim Kampf gegen die Separatisten im Norden stützt sich das Regime auf Wagner-Söldner
Am 22. November 2023 hissten die russischen Söldner der Gruppe Wagner ihre schwarze Fahne über der alten Festung von Kidal im Nordosten Malis. Zusammen mit malischen Soldaten, die 2012 aus Kidal vertrieben worden waren, feierten sie die Rückeroberung der Stadt, die zuvor eine Hochburg der Tuareg-Rebellen gewesen war.
Anfang Oktober war ein Konvoi der malischen Armee, zusammen mit russischen Söldnern, von der Stadt Gao aus nach Kidal aufgebrochen, um dort die Militärstützpunkte zu besetzen, die kurz zuvor von der UN-Mission Minusma aufgegeben worden waren. Aber auch Gruppen im Norden Malis, in der Mehrheit Tuareg, wollten die verlassenen Basen übernehmen, wobei sie sich auf die Friedensverträge von Algier von 2015 beriefen. Das führte zu schweren Kämpfen nahe der Grenze zu Algerien. Obwohl die Rebellen das Terrain bestens kannten, hatten sie keine Chance gegen die Armee und die Wagner-Söldner, die über Kampfflugzeuge und Drohnen verfügten. Die Rebellen zogen sich kampflos aus Kidal zurück.
Am 27. März 1996 wurden in Timbuktu bei einer Zeremonie tausende Waffen verbrannt, um das Ende der Feindseligkeiten zu besiegeln. Das damals errichtete Denkmal mit Friedensflamme steht immer noch, doch der Frieden hat nicht gehalten.
Der Konflikt im Norden Malis dauert nun schon 60 Jahre. Um ihn zu verstehen, ist ein historischer Rückblick nötig. Bereits kurz nach der Staatsgründung 1960 wollten die Tuareg-Gemeinschaften im Norden ihre Unabhängigkeit durchsetzen, worauf die malische Regierung mit Gewalt und Repression reagierte. In der Folge gingen viele junge Tuareg nach Libyen und heuerten als Söldner in Gaddafis Armee an, die mehrfach im benachbarten Tschad intervenierte. Als sie in den libyschen Kasernen mit Tuareg aus Niger zusammen kamen, entwickelten sich gemeinsame Organisationsstrukturen, eine Art Nationalbewusstsein, und eine Kultur, die sie teshumera nannten.1
Nach ihrer Rückkehr aus Libyen organisierten die jungen Tuareg 1990 einen Aufstand, an dem sich Vertreter vieler Schichten der Tuareg-Gesellschaft und der Maurenstämme im Norden Malis beteiligten. Sie forderten die Unabhängigkeit oder zumindest eine Autonomie der Region, die sie Azawad nannten. Nachdem die Rebellen die malische Armee verjagt hatten, kam es jedoch zu inneren Streitigkeiten zwischen den verschiedenen Stammesgruppen.
Im Januar 1991 wurde im algerischen Tamanrasset ein Waffenstillstand geschlossen, unterschrieben von drei Konfliktparteien: der malischen Regierung, der Volksbewegung des Azawad (MPA), die unter Führung von Iyad Ag Ghali die Ifogha-Tuareg der Region Kidal repräsentierte, und der Arabischen Islamischen Front (FIAA), die aus Mauren der Regionen Gao und Timbuktu bestand. Das Abkommen sah keinen besonderen Status für den Azawad vor; weitere Rebellengruppen waren nicht beteiligt.
„Iyad Ag Ghali hatte die Unterstützung Algeriens, das ihm militärische und finanzielle Hilfe gewährte“, erläutert die Anthropologin Hélène Claudot-Hawad vom nationalen französischen Forschungszentrum CNRS. „Algerien war immer darauf bedacht, dass eine politisch-militärische Einheit der Tuaregs nicht zustande kommt und ihr Streben nach Unabhängigkeit erfolglos bleibt.“ Laut Claudot-Hawad war Algier stets bemüht, seine eigenen Interessen im Norden Malis durchzusetzen, und das heißt, eine muslimisch-arabische Identität herzustellen.
Wegen der Massaker der malischen Armee an der Zivilbevölkerung wurde das Abkommen von Tamanrasset nie umgesetzt. Allerdings unterzeichnete die Übergangsregierung unter Oberst Amadou Toumani Touré schon im April 1992 mit allen Rebellenbewegungen ein neues Abkommen unter der Schirmherrschaft Algeriens und Frankreichs.2 Dabei stellten die Rebellen das Ziel der Unabhängigkeit zurück, um mehr soziale und wirtschaftliche Teilhabe zu erreichen, erklärt der Historiker Pierre Boilley: „Der Vertrag von 1992 sah die Übernahme eines Teils der Kämpfer in die Armee vor, außerdem eine Art Selbstverwaltung für die Nordprovinzen innerhalb des Gesamtstaats; auch von wirtschaftlicher Förderung war die Rede.“ Davon haben zwar einige Tuareg profitiert, doch insgesamt, so Boilley, wurde auch dieses Abkommen nicht umgesetzt.
2006 und 2009 flammten neue Aufstände auf, mit der Folge, dass in die Armee integrierte Kämpfer desertierten. Laut Claudot-Hawad machte Paris damals seinen Einfluss geltend, „um die Herausbildung eines autonomen Nordens zu verhindern“. In diesem Sinne habe Frankreich damals verschiedene bewaffnete Gruppen zu instrumentalisieren versucht.
Nach dem Sturz des Gaddafi-Regimes 2011 verschafften sich tausende Tuareg, die für die libysche Armee gekämpft hatten, ein großes Waffenarsenal. Als sie bei ihrer Rückkehr nach Mali die Unabhängigkeit des Nordens proklamierten, war eine neue politische Kraft entstanden: die Nationale Bewegung für die Befreiung des Azawad (MNLA). Die bekam es allerdings gleich mit salafistisch geprägten Milizen zu tun, die den Dschihad predigten und die Einführung der Scharia forderten.
2007 hatten algerische Salafisten al-Qaida im islamischen Maghreb (AQMI) gegründet, die sich auf Geiselnahmen verlegten. Dank beträchtlicher Finanzmittel gewann die AQMI im Norden Malis viele neue Anhänger. In der Region Gao war die Bewegung für Einheit und Dschihad in Westafrika (Mujao) aktiv, die aus Mauretaniern und Sahrauis bestand und sich durch Schmuggel finanzierte.
Bei den Tuaregs hatte sich Ag Ghali inzwischen dem radikalen Islamismus zugewandt. Nach seiner Abkehr von der MNLA, die sich nicht zur Scharia bekennen wollte, gründete er 2012 die Organisation Ansar Dine (Verteidiger des Glaubens). Da er aus einer bedeutenden Adelsfamilie der Ifoghas stammte, folgten ihm viele Tuareg-Kämpfer, ohne unbedingt die salafistische Ideologie zu unterstützen, erläutert Boilley. Andere seien von Ansar Dine durch Geld angelockt worden, das aus Lösegeldern, Schmuggelhandel und Zuwendungen aus den Golfstaaten stammte.
Die MNLA verbündete sich mit den salafistischen Gruppen und eroberte mehrere Stützpunkte der malischen Armee, die wenig motiviert und schlecht ausgerüstet war.3 Der Gegner bekam die salafistischen Methoden zu spüren. In der eroberten Garnison von Aguelhok wurde vielen der 82 Gefangenen die Kehle durchgeschnitten.
Im März 2012 stürzte eine Gruppe von Offizieren den Präsidenten Toumani Touré, dem schlechtes Krisenmanagement und undurchsichtige Beziehungen zu den Dschihadistengruppen und den Schmugglern vorgeworfen wurde. Nur wenige Tage nach dem Staatsstreich brach die bereits geschwächte malische Armee zusammen. Die MNLA und die bewaffneten Salafistengruppen eroberten Kidal, Timbuktu und Gao, insgesamt zwei Drittel des malischen Territoriums.4 Die Tuareg-Rebellen hatten jedoch nicht mehr die Oberhand und wurden von den Salafisten, die mehr Kämpfer, bessere Waffen und Geld hatten, aus den Städten vertrieben.
Ein Friedensabkommen ohne Frieden
Im Januar 2013 beschlossen die Dschihadisten, auf die Hauptstadt Bamako zu marschieren. Daraufhin bat die malische Regierung Frankreich um Hilfe, die die „Operation Serval“ startete. Der Vormarsch der Dschihadisten war rasch gestoppt. Unterstützt vom französischen Militär machte sich die malische Armee an die Rückeroberung des Nordens, was aber nur zum Teil gelang.
Wie Boilley berichtet, entdeckten die Franzosen bei ihrem Vormarsch, dass die malische Armee in der Umgebung von Timbuktu und Gao Massaker an Zivilisten verübt hatte. Auch in Kidal drohte ein Gemetzel: „Da einige französische Offiziere gute Kontakte zur MNLA hatten, ließen sie diese die Stadt einnehmen, was für die malische Armee eine Demütigung war.“ An den weiteren Kämpfen waren außer der malischen Armee, den dschihadistischen Gruppen und der MNLA auch regierungstreue Gruppen von Tuareg und Mauren beteiligt.
Beendet wurde diese chaotische Lage erst im Juni 2015 durch das „Friedensabkommen von Algier“ (das allerdings in Bamako unterzeichnet wurde). Vertragspartner waren die malische Regierung, die in der Koordinierung der Bewegungen des Azawad (CMA) zusammengeschlossenen Rebellen und die regierungstreuen Milizen. Die Salafisten waren nicht beteiligt. Das Abkommen sah (wie 1992) die Eingliederung der Kämpfer in eine neu organisierte Armee, die Rückkehr der Geflüchteten und eine größere Autonomie der Nordprovinzen vor.
Die im April 2013 von der UNO beschlossene Minusma hatte den Auftrag, die nationale Versöhnung zu unterstützen, die Zivilbevölkerung zu schützen und bei der Wiederherstellung der staatlichen Autorität in ganz Mali zu helfen. Ihre rund 15 000 Soldaten und Polizisten wurden auf zwölf Stützpunkte im Norden des Landes verteilt. Im Kampf gegen die Dschihadisten wurde die malische Armee durch die französische „Operation Barkhane“ unterstützt. Die Kontrolle über die Gebiete im Norden wurde stillschweigend aufgeteilt: zwischen der malischen Armee und den bewaffneten Gruppen, die das Abkommen unterzeichnet hatten. In Bamako stieß das neue Abkommen allerdings von Anfang an auf starke Vorbehalte.
Tatsächlich gingen die Gräueltaten der dschihadistischen Kräfte weiter. 2017 fusionierten die Organisationen Ansar Dine, AQMI, Katiba Macina und al-Mourabitoun zu einer „Gruppe für die Unterstützung des Islams und der Muslime“ (JNIM) unter Führung von Ag Ghali, der sich zu al-Qaida bekannte. Im Südosten Malis missionierte ein Ableger des Islamischen Staats erfolgreich in der Volksgruppe der Fulbe. Dieser ISGS ist gegen eine Teilung Malis, fordert aber zugleich, wie die konkurrierende JNIM, die Einführung der Scharia.
Im August 2020 wurde der seit 2013 herrschende Präsident Ibrahim Boubacar Keïta von Offizieren der Armee gestürzt. Im Mai 2021 folgte ein weiterer Staatsstreich, der Oberst Assimi Goïta an die Macht brachte. Die neue Junta stellte die Partnerschaft mit Frankreich infrage. Sie beschuldigte Paris, die bewaffneten Gruppen zu unterstützen, und holten die russischen Wagner-Söldner ins Land.
Ende Januar 2022 wiesen die Putschisten den französischen Botschafter aus. Einen Monat später begann Frankreich mit dem Abzug der Barkhane-Truppen, nachdem Mali das mit Paris geschlossene Verteidigungsabkommen aufgekündigt hatte.
„Die neuen Machthaber sprachen von der Wiederherstellung der nationalen Souveränität“, erläutert der Westafrikaexperte Yvan Guichaoua, „und von einer angeblich vom Westen ferngesteuerten Truppe, der sie nicht einen Quadratmeter malischen Territoriums überlassen wollten. So lautete die ideologische Begründung für die Annäherung an Russland und für eine Aufrüstung, die auf die Wiederaufnahme der Kämpfe zusteuerte.“
Die Armee und die Wagner-Söldner gingen gemeinsam gegen die bewaffnete Gruppen im Norden vor. Dabei kam es zu Massakern wie in Moura, wo im März 2022 offenbar hunderte Zivilisten umgebracht wurden. Doch die Angriffe der dschihadistischen Gruppen waren nicht zu stoppen.
Im Juni 2023 forderte die malische Junta, die Minusma müsse das Land sofort verlassen und ihre Militärstützpunkte übergeben. Damit wurde das Abkommen von Algier faktisch unwirksam, obwohl es weder von Mali noch von den anderen Unterzeichnern offiziell aufgekündigt wurde. Ende August besetzte die malische Armee den von der Minusma verlassenen Stützpunkt in Ber in der Region Timbuktu. Sie griff die Rebellen der Tuareg und Mauren an, die mittlerweile eine neue Koalition gebildet hatten, den „Ständigen Strategischen Rahmen für Frieden, Sicherheit und Entwicklung“ (CSP-PSD).
Die Situation verschlechterte sich schnell und die CSP-PSD attackierte mehrere Stützpunkte der malischen Armee. Auch die JNIM von Ag Ghali, die mit den Separatisten eine stillschweigende Einigung erzielt hat, verstärkte ihre Angriffe gegen das malische Militär und die russischen Söldner.
Dennoch verkündete die Junta in Bamako immer neue Siege und lehnte jede Verhandlung mit dem CSP-PSD ab. Nach der Eroberung von Kidal ernannte sie Ende November einen neuen Gouverneur für die Region: General El Hadj Ag Gamou ist der Gründer einer regierungstreuen Miliz aus Imghad-Tuareg, den traditionellen Gegnern der Ifoghas in Kidal.
„Wir bereiten uns darauf vor, diesen Krieg, der uns aufgezwungen wurde, bis zum Ende zu führen“, sagt Mohamed Elmaouloud Ramadane, der Sprecher des CSP-PSD. Die Wagner-Truppe und die malische Armee beschuldigt er, gegenüber den Mauren und den Tuareg eine „Strategie der verbrannten Erde“ zu betreiben: „Sie begehen Massaker, plündern unsere Dörfer und unsere Lager, vertreiben die Menschen.“
Ob die Tuareg einen Teil ihres Territoriums zurückerobern können, ist angesichts ihrer Uneinigkeit und fehlender internationaler Unterstützung höchst ungewiss. Sicher ist nur eines: Azawad versinkt erneut in Chaos und Krieg, ohne Hoffnung auf Frieden.
1 Siehe Hawad, „Touaregs, ‚La marche en vrille‘“, LMd (französische Ausgabe), Mai 2012.
2 Siehe „Nouvel enlisement des espoirs de paix dans le conflit touareg au Mali“, LMd (französische Ausgabe), April 1995.
3 Siehe Dorothée Thiénot, „Frustrierte in Uniform“, LMd, Mai 2013.
4 Siehe Philippe Leymarie, „Die dreiköpfige Schlange von Mali“, LMd, Januar 2013.
Aus dem Französischen von Claudia Steinitz
Philippe Baqué ist Journalist.