Uno-Truppen in Mali: Die Minusma-Misere
Im Norden Malis protestiert die Bevölkerung gegen fehlenden Schutz durch die Uno-Mission. Die jüngste Truppenaufstockung wird daran kaum etwas ändern.
Auf dem Markt von Gao, der grössten Stadt im Norden Malis, bieten HändlerInnen ihre Ware an, KundInnen drängen sich zwischen den Auslagen hindurch. Doch der Schein der Normalität trügt. «Es gibt keinerlei Sicherheit. Wir haben Angst, gehen nicht gerne raus», sagt die Händlerin Mariem Monkana. «Aber zu Hause verschanzen können wir uns auch nicht.»
Rund 80 000 Menschen leben in Gao. Tausende von ihnen sind erst kürzlich aus Flüchtlingslagern im benachbarten Niger oder aus Notunterkünften im Süden Malis zurückgekehrt. Sie hatten die Flucht ergriffen, nachdem Gao ebenso wie der gesamte Norden des Landes im Frühjahr 2012 zunächst von aufständischen Tuareg der MNLA (Nationale Bewegung für die Befreiung des Azawad) und dann von Islamisten der Mujao (Bewegung für Einheit und Dschihad in Westafrika) besetzt worden waren.
«Nur Bewaffnete werden gehört»
Anfang 2013 griff die französische Armee in die Kämpfe ein, unterstützt von Soldaten der westafrikanischen Staatengemeinschaft Ecowas. Letztere wurden im Juli 2013 durch die rund 11 000 Soldaten starke Uno-Mission Minusma abgelöst. Seither habe sich die Lage verbessert, räumt Monkana ein, «aber viele Familien haben bis heute kaum genug zum Überleben. Die Terroranschläge halten an, die Kriminalität nimmt zu.» Die Blauhelme seien nur damit beschäftigt, sich selbst zu schützen, so die 45-Jährige.
Ihren Frust teilen viele. Mehrfach protestierte die Bevölkerung gegen die Uno-Mission, wiederholt gab es dabei Tote. Etwa im Januar 2015, als ruandische Uno-Polizisten gegen Demonstrierende vor dem Uno-Camp in Gao vorgingen: Drei Menschen wurden erschossen, vier weitere verletzt. Untersuchungen durch Uno-ErmittlerInnen ergaben, dass die Polizisten «nicht genehmigte und exzessive Gewalt» angewendet hatten. Uno-Generalsekretär Ban Ki Moon entschuldigte sich bei den Opfern und ihren Angehörigen, sie wurden entschädigt. Die Polizeieinheit wurde nach Hause geschickt.
Amadou Sarr war bei den Protesten dabei; sein Zorn gegen die Minusma ist seitdem nicht verebbt. «Sie haben uns verraten», sagt der 49-Jährige. Seine Enttäuschung trifft die Uno-Mission und die malische Regierung gleichermassen, er scheint da kaum einen Unterschied zu machen. Sarr gehörte während der Krise 2012 zu den «Patrouilleurs», einer unbewaffneten Selbstverteidigungsmiliz, die versuchte, die Bevölkerung zu schützen, nachdem staatliche Sicherheitskräfte und Funktionäre in den Süden Malis geflohen waren.
Nach der Eroberung Gaos durch die französische Armee hätten die Patrouilleurs die internationalen Militärs mit Informationen versorgt, sie etwa zu Waffenlagern der Islamisten geführt. «Und was ist der Dank?», tobt Sarr. «Wir werden nicht beachtet und haben keine Beschäftigung.» Drohend fügt er hinzu: «In diesem Land werden nur die Bewaffneten gehört, weil sie Unruhe stiften. Wenn uns die Regierung noch mehr in die Enge treibt, werden wir uns auch bewaffnen.»
Militärische Mittel reichen nicht
Jan Fahlbusch arbeitet bei der deutschen Friedrich-Ebert-Stiftung in der Hauptstadt Bamako, die regelmässig Umfragen in der Bevölkerung macht. Er hat Verständnis für den Vorwurf, die Mission böte zu wenig Schutz vor terroristischen Aktivitäten. Allerdings würden auch Erwartungen an die Minusma gerichtet, deren Erfüllung nicht in ihrer Verantwortung liege. Etwa wenn über die schlechte wirtschaftliche Lage geklagt werde: «Die Uno-Mission wird häufig quasi als Verkörperung der internationalen Gemeinschaft angesprochen.»
Dabei ist die Minusma schon mit ihrem tatsächlichen Auftrag mehr als gefordert. Dieser umfasst die Stabilisierung wichtiger Bevölkerungszentren, den Schutz der Menschenrechte, die Unterstützung bei der Wiederherstellung des Friedens und staatlicher Autorität. Fast siebzig ihrer Blauhelme sind bisher bei Anschlägen getötet worden – womit die Minusma die verlustreichste aller aktuellen Uno-Missionen ist.
Im Juni beschloss der Uno-Sicherheitsrat, ihre Truppengrösse auf gut 13 000 Soldaten zu erhöhen. Unter den Antragstellern war auch Minusma-Kommandeur Michael Lollesgaard. Er räumt ein, dass die Uno-Mission Schwächen hat: «In den letzten Monaten gab es mehr Terroranschläge, mehr ethnische Zusammenstösse und mehr Kriminalität.» Die jüngste Aufstockung sei eine «vernünftige», also machbare Massnahme. «Doch Anschläge überall in einem so riesigen Land zu verhindern, ist praktisch unmöglich», sagt der dänische Generalmajor.
Eine wirkliche Stabilisierung Malis sei nicht allein auf militärischem Weg zu erreichen. Es brauche eine Verbesserung der wirtschaftlichen Lage, um der steigenden Zahl bewaffneter Gruppen die Rekrutierung von Mitgliedern zu erschweren. Zudem müsse der Friedensvertrag umgesetzt werden, den die Regierung im Juni 2015 mit etlichen bewaffneten Gruppen unterzeichnete. «Nur wenn sich alle malischen Beteiligten wirklich um Frieden bemühen, wird es eine Lösung geben», sagt Lollesgaard. «Das Militär kann diesen Job nicht leisten.»