Unversichert in die Klima­katastrophe

Le Monde diplomatique –

Henri de Castries, der Chef des internationalen Versicherungskonzerns Axa, warnte schon vor neun Jahren, dass sich die Versicherer bei einer Verschärfung der Klimakrise zurückziehen werden: „Eine Steigerung der mittleren globalen Temperatur um 2 Grad könnte man noch versichern, aber eine Steigerung um 4 Grad sicherlich nicht mehr.“

Ein Temperaturanstieg von 1,2 Grad veranlasste kürzlich State Farm, einen der größten Versicherer in den USA, sich aus Kalifornien zurückzuziehen. Als Grund nannte der Konzern den „raschen Anstieg des Katastrophenrisikos“.

Schon seit einem Jahr schließt das Unternehmen keine neuen Verträge mehr für Wohngebäude und Geschäfte ab, 72 000 Policen wurden gekündigt. Das Vorgehen macht in den USA inzwischen Schule, vor allem in Louisiana, wo 17 Prozent der Grundbesitzer 2023 der Versicherungsvertrag gekündigt wurde.

Stürme, Dürren, Überschwemmungen – auf der ganzen Welt sorgen extreme Wetterereignisse für beträchtliche Verluste bei den Versicherern. Diese reagieren in bewährter Manier: Wird ein Risiko zu teuer, erhöhen sie die Prämien; genügt das nicht, dann versichern sie nicht mehr. Die Klimakrise trifft auf der ganzen Welt immer mehr Gegenden, in denen eine Versicherung nicht mehr rentabel ist.

Neben den bekannten Kandidaten wie Tuvalu, Angola oder Bangladesch trifft es nun auch Australien, Spanien oder Italien. In Frankreich heißt es, man brauche eine „finanzielle Neuausrichtung“, „die Anstrengungen zur Prävention“ müssten verstärkt werden. Mit anderen Worten: Beiträge erhöhen, den Staat zur Kasse bitten, mehr Unterstellplätze für Autos bauen, damit es keine Hagelschäden gibt.

Versicherungskonzerne seien Frühwarnsysteme, sagen ihre Chefs. Wenn sie sich aus Risikozonen zurückziehen und die wahren Kosten der Klimakrise beziffern, ändere sich das Bewusstsein. Denn wenn es keine Versicherung mehr gebe, würden die Menschen umziehen. Das Ergebnis wäre eine dem Klimawandel angepasste Sozialgeografie.

Aber so läuft es nun mal nicht. In Frankreich vermögen weder Dürren noch Stürme den Wunsch nach einem sonnigen Wohnort im Süden zu unterdrücken. In den USA ziehen immer mehr Menschen nach Georgia, North Carolina oder Texas. Florida gilt nach wie vor als Rentnerparadies – trotz Gebäudeversicherungen von durchschnittlich 6000 Dollar pro Jahr. Die Wohlhabendsten werden ihr Lebensmodell nicht ändern – und die Ärmsten wohnen dort, wo es eben geht, auch ohne Versicherungspolice.

Aktuell sind 6 Millionen Hausbesitzer in den USA nicht mehr versichert. Ihre Häuser haben massiv an Wert verloren. Der kleinste Unfall kann sie in die Pleite treiben, und wenn sie ihre Kredite nicht zurückzahlen, könnte das zu einer Kettenreaktion im Banken- und Immobiliensektor führen. Um eine solche Krise zu vermeiden, springt der Staat ein. Louisiana etwa subventioniert Versicherungsunternehmen, damit sie sich nicht aus dem Bundesstaat zurückziehen. Die Einzigen, die kein Risiko eingehen, sind die Versicherer selbst.

Benoît Bréville