Schweizer Versicherungen und der Klimawandel: Zwiespältige Investments
Die grossen Schweizer Versicherungen werden nicht müde, ihr verantwortungsvolles Handeln gegenüber der Umwelt zu betonen. Doch auf Geschäfte mit klimaschädigenden Kohle-, Öl- und Gasunternehmen wollen sie nicht verzichten. Jetzt müssen sie sich erklären.
Wer von der Zurich Insurance Group und der Swiss Re wissen will, wie viel Umsatz sie im Geschäft mit Öl-, Gas-, und Kohleunternehmen machen, erhält keine Antwort. Diese Art von Fakten scheinen irgendwie anrüchig. Also werden sie unter den Tisch gekehrt. Denn schliesslich wollen sich beide Versicherungen als möglichst verantwortungsvolle Unternehmen darstellen, als Firmen, die den Klimawandel ernst nehmen. So erhält der Fragesteller dafür von den Medienstellen beider Unternehmen ungefragt jede Menge Angaben über deren «nachhaltiges Risikomanagement» und Hinweise auf Investitionen in «erneuerbare Energien» und «Green Bonds».
Die grossen internationalen Versicherungskonzerne müssen sich zunehmend erklären. Lange war es den PR-Abteilungen gelungen, ihre Unternehmen als «die Guten» darzustellen, die sich der Probleme des Klimawandels bewusst seien. Dies auch deshalb, weil es zum Kerngeschäft von grossen Versicherungskonzernen gehört, Risiken weit im Voraus zu analysieren, um entsprechende Versicherungen anbieten zu können. So gesehen weiss man in den Analyseabteilungen der Versicherungskonzerne längst, was bei einem starken globalen Temperaturanstieg auf die Menschheit zukommt und welche Schäden zu erwarten sind.
Gegen das eigene Know-how
Doch trotz ihres Wissens machen viele Versicherungskonzerne genau das Gegenteil dessen, was nötig wäre. Sie versichern beispielsweise den Bau und Betrieb von Kohleminen und Kohlekraftwerken. Dabei ist inzwischen klar: Falls tatsächlich wie geplant Hunderte neue Kohlekraftwerke gebaut werden, lassen sich die Ziele des Pariser Klimaschutzabkommens niemals erreichen, wie es in einem Bericht des renommierten Forschungsinstituts Climate Analytics heisst. Im Gegenteil müssten die Industrieländer der OECD sämtliche bestehenden Kohlekraftwerke bis 2030, China bis 2040, der Rest der Welt bis 2050 stillgelegt haben.
Versicherungen spielen im Kohlegeschäft, aber auch in der Öl- und Gasförderung eine entscheidende Rolle. Sie haben das Know-how, um abzuschätzen, wie hoch das Risiko von Unfällen ist. Und sie verfügen vor allem über die nötigen Rücklagen, um bei einem Schadensfall hohe Entschädigungssummen auszuzahlen. Ohne sie wären die Risiken für Investoren zu hoch. Immerhin: Bei der Axa-Gruppe scheint das Management die Verantwortung erkannt zu haben. Im April kündigte der grösste französische Versicherungskonzern an, keine Gebäude- und Unfallversicherungen mehr mit Firmen abzuschliessen, die mehr als fünfzig Prozent ihres Umsatzes mit Kohle machen. Ein erster Schritt, immerhin.
Die beiden Schweizer Versicherungskonzerne Swiss Re und Zurich Insurance Group lassen sich hingegen bis jetzt davon nicht beeindrucken. Den Axa-Entscheid wollen sie nicht kommentieren. Und beide bleiben sowohl im Kohle- wie auch im Öl- und Gasgeschäft aktiv. Die Swiss Re wendet sich in Werbeprospekten an «grosse und mittelgrosse Unternehmen rund um den Globus». Mit ihrem «Energie-, Strom- und Minenteam» verspricht sie professionelle Beratung in allen Belangen der Technik, Finanzierung und Versicherung. Laut Charlotte Nelson, Pressesprecherin der Swiss Re, würde allerdings keine Versicherung für Offshore-Ölbohrungen in der Arktis angeboten. Auch Geschäfte in den Bereichen «Teersand, Fracking sowie Schieferöl» würden nur «unter definierten Voraussetzungen» getätigt. So werden keine Unternehmen versichert, die Teersand im Tagebau abbauen.
Auch die Zurich umwirbt aktiv Unternehmen, die ihr Geld mit fossilem Treibstoff verdienen. Sie rühmt sich in Nordamerika eines spezialisierten «Energie-Teams». Der Konzern versichert nach eigenen Angaben alle Arten von Öl- und Gasabbau, Transportanlagen und Raffinerien, aber explizit auch Kohleminen und Kohlekraftwerke. Auf Nachfrage bei der Medienstelle der Zurich legt man allerdings Wert auf die Feststellung, dass Kohle «nur einen sehr kleinen Teil unserer Tätigkeit ausmacht». Generell hält die Zurich Insurance Group am Geschäft mit Unternehmen aus dem Bereich «fossile Brennstoffe und Energie» fest, weil es, wie es in einem Mail heisst, «im Interesse unserer Kunden und der Gesellschaft ist, dass wir möglichst kostengünstig und sicher Energie gewinnen und gleichzeitig den CO2-Ausstoss möglichst niedrig halten». Die Zurich will gemäss ihrem Sprecher Pavel Osipyants ihre Kunden davon überzeugen, den CO2-Ausstoss möglichst klein zu halten. Das sei besser, als Kunden von vornherein auszuschliessen. Denn wenn nicht die Zurich Insurance Group solche Kunden versichere, dann würden es eben andere tun, etwa chinesische Versicherungen.
Versicherer als Grossinvestoren
Neben ihrem eigentlichen Geschäft stehen die grossen Versicherungskonzerne schon länger wegen ihrer Milliardeninvestitionen in die fossile Industrie in der Kritik. Nach den Pensionskassen sind die Versicherungen die grössten Investoren weltweit. Eine aktuelle Studie des niederländischen Forschungsbüros Profundo hat bei fünfzehn grossen europäischen Versicherungskonzernen fossile Anlagen im Umfang von über 130 Milliarden US-Dollar festgestellt, vorab in Form von Firmenobligationen. Die Swiss Re soll dabei 2,6 Milliarden in die fossile Industrie investiert haben, während es bei der Zurich gar 3,7 Milliarden Dollar seien. Die Swiss Re hält fest, dass sie «seit Februar 2016 nicht mehr in Unternehmen investiert, welche einen substanziellen Teil ihrer Einnahmen mit thermischer Kohle erwirtschaften». Die Zurich hingegen vertritt den Standpunkt, dass es besser sei, «sich mit den Kunden zu engagieren».
Versicherer als eine Art Sozialarbeiter ihrer Kunden, die sie «zum Guten» bewegen? Dieser Ansatz scheint ein Auslaufmodell. So wurden vergangenes Jahr alle Versicherungsunternehmen, die im US-Bundesstaat Kalifornien Geschäfte betreiben, von der Regulierungsbehörde aufgefordert, vorerst freiwillig ihre Investitionen in Kohleunternehmen abzustossen. Kalifornien ist besonders vom Klimawandel betroffen und geht deswegen politisch in die Offensive. Die Versicherungen wollen es sich mit dem Staat kaum verscherzen. Denn der «Golden State» ist nicht nur der grösste Versicherungsmarkt der USA, er ist auch der sechstgrösste der Welt. Kalifornien fordert ausserdem Transparenz: Vergangenes Jahr hat die kalifornische Regierung von allen Versicherungen Angaben darüber eingefordert, welche Summen sie in die fossile Industrie investiert haben und ob sie Divestments planen. Die Zurich-Versicherung hat mit vier ihrer US-Tochterunternehmen an der vorerst noch freiwilligen Umfrage teilgenommen. So weiss man jetzt, dass 2015 allein diese vier US-Töchter 272 Millionen Dollar in der Kohleindustrie angelegt hatten. Zudem ist jetzt auch bekannt, dass die Zurich bislang nicht daran denkt, diese Investments abzustossen.
Nachtrag vom 23. November 2017 : Die Zurich bewegt sich
Und plötzlich geht es doch: Die Versicherung Zurich hat Mitte November angekündigt, sie wolle künftig keine Kohlekraftwerke mehr neu versichern und auch keine Unternehmen, die mehr als die Hälfte ihres Umsatzes mit Kohlekraftwerken erwirtschaften. Damit will der laut «Forbes» siebtgrösste Versicherungskonzern der Welt einen Beitrag im Kampf gegen den Klimawandel leisten. Denn Kohlekraftwerke sind die grössten Emittenten des Treibhausgases CO2.
Die Zurich macht mit ihrem Schritt eine Kehrtwende. Noch im Juli dieses Jahres erklärte ein Firmensprecher gegenüber der WOZ, dass es besser sei, Kunden zu Einsparungen beim CO2-Ausstoss zu bewegen, als sie von vornherein auszuschliessen.
Mit ihrem jetzigen Schritt haben sich die Zürcher an die Spitze derjenigen Versicherungen gestellt, die konkrete Schritte zur Eindämmung des Klimawandels unternehmen. Dies geht aus einem neuen Bericht von Umweltorganisationen wie Greenpeace hervor. Generell stellt die Studie fest, dass sich unter den europäischen Versicherungskonzernen ein Trend zur Abkehr von der Kohle feststellen lässt. Auch Swiss Re sei auf einem guten Weg. Die US-amerikanischen Versicherungen würden sich dagegen bislang kaum bewegen. Ziel müsse es sein, so der Bericht, dass Kohleunternehmen nicht mehr versichert würden und deshalb aufgeben müssten.
Daniel Stern