Milosevic half auch die Schweizer Pistole nicht: Nur einer sitzt im Hilton
Es war so gegen die Mittagszeit, als an diesem Montag eine schwarz gekleidete und schon etwas ältere Frau über den Hof zum Hauptgebäude des Belgrader Zentralgefängnisses schritt. In der Hand trug sie eine rote Tüte – wie jede andere Gattin, die ihrem Mann warmes Mittagessen in die Zelle bringt. Der Polizist neben ihr schleppte einen grossen Koffer, vermutlich mit frischer Wäsche, Lesestoff, Schreibzeug und anderen Utensilien, die einen Knastaufenthalt erträglicher machen.
Nicht alle Insassen geniessen solche Privilegien. Aber die Frau war auch nicht irgendwer, sondern die Universitätsprofessorin, Parlamentsabgeordnete und Chefin der jugoslawischen NeokommunistInnen, Mirjana Markovic. Vor allem ist sie aber die Ehefrau Slobodan Milosevics. Diese vom Fernsehen übertragene Szene erschien vielen ZuschauerInnen immer noch unwirklich – schliesslich haben alle RegimekritikerInnen dreizehn Jahre lang auf solche Bilder gewartet. Und so kursierten die Gerüchte. Ein ganzer Trakt des Zentralgefängnisses sei für Milosevic umgebaut worden, hiess es in Belgrad. Am Montag stellte sich jedoch heraus, dass die Umbauarbeiten gar nicht so umfangreich waren. Es sei «ein serbisches Balkan-Gefängnis», also ein Gefängnis wie alle anderen auch, berichtete Milosevics Anwalt Toma Fila – «kein Fernsehen, kein Radio, keine Sauna, kein Pool oder Kraftraum».
Der frühere Alleinherrscher muss sich dort mit zwölf Quadratmetern begnügen. Trotzdem wird der renovierte Trakt von den anderen Häftlingen als «Hilton» bezeichnet. Milosevic hat einen Tisch, einen Stuhl, einen neuen PVC-Boden, frisch gestrichene Wände, warmes Wasser und kann täglich Familienbesuch empfangen. Das haben alle anderen Häftlinge, von denen Milosevic vollkommen abgeschirmt ist, nicht. Auch beim Hofgang des 60-Jährigen sind keine anderen Gefangenen anwesend.
Eine Altlast mit Orden
Aber hat sich Serbien seit der Verhaftung Milosevics wirklich verändert? Bewies der Staat an diesem 1. April, dass er zum Rechtsstaat avanciert ist? Oder hat sich da jemand einen Aprilscherz erlaubt?
Seit dem Machtwechsel im letzten Oktober wurde im Rechts-, Justiz-, Polizei- und Militärbereich jedenfalls sehr wenig unternommen. Viele Polizei- und Geheimdienstoffiziere sitzen immer noch in hohen Positionen. Die gesamte Führungsriege der Armee ist immer noch dort, wo sie der neue Präsident Vojislav Kostunica vorfand. Bisher wurden nur einzelne Richter und Staatsanwälte ausgewechselt; sogar Milosevics Untersuchungsrichter ist derselbe, der vor einigen Jahren einen Prozess gegen den damaligen Oppositionellen und jetzigen Regierungschef, Zoran Djindjic, leitete – und dabei so gar nicht rechtsstaatlich vorging.
In den letzten Monaten sind nur wenige Ermittlungsverfahren wegen der zahlreichen schweren Verbrechen (einschliesslich der vielen politischen Morde) eröffnet worden; kein einziger Prozess hat bisher angefangen. Es wurde auch nur wenig gegen die Wirtschaftskriminalität und die überall präsenten Mafiagruppen unternommen – nicht einmal ein paar Razzien hat es da gegeben.
Die BürgerInnen sind ein halbes Jahr nach dem Wechsel nicht mehr allzu begeistert von der neuen Regierung, was freilich auch an der schlechten Wirtschaftssituation liegt. Allerdings geht die Gefahr für die Führung in Belgrad nicht vom Volk aus, sondern weiterhin von den immer noch mächtigen Teilen der früheren Nomenklatur. Doch die ist nun kopflos – und schon deswegen nützt Milosevics Verhaftung der Stabilisierung der Verhältnisse. Der sonst so grossmäulige Chef der chauvinistischen Serbischen Radikalen Partei (SRS), Vojislav Seselj, hat nach den Ereignissen am Sonntag eine Pressekonferenz abgesagt und später lediglich verkündet, US- und Nato-Spione hätten Milosevic ins Gefängnis gesteckt. Mehr wollte er aber nicht sagen. Ihm ist wohl bewusst, dass er bald Milosevic Gesellschaft leisten könnte.
Viele Funktionäre von Milosevics Sozialistischer Partei Serbiens (SPS) haben die Verhaftung eher verhalten kommentiert. Manche befürchten ein ähnliches Schicksal; andere SozialistInnen, die noch einen Sinn für Anstand und Realität bewahrt haben, sind hingegen eher erleichtert. Für sie ist Milosevic zur gefährlichen Altlast geworden. Eine Rückkehr zur Macht ist nur ohne Milosevic vorstellbar. Der serbische Präsident Milan Milutinovic, ein alter Milosevic-Kumpan, trat diese Woche von seinen Ämtern in der Sozialistischen Partei zurück. Trotzdem haben etliche Parteifreunde Milosevics angekündigt, ab Freitag zu Demonstrationen aufzurufen, sollte sich der Expräsident nicht in Freiheit auf seinen Prozess vorbereiten können. Bisher bekundeten vor der Villa im Nobelviertel Dedinje, wo Milosevic festgenommen wurde, jedoch vorwiegend RentnerInnen ihre Solidarität mit dem gestürzten Despoten.
Bei seiner Festnahme trug Milosevic eine 9-Millimeter-Pistole vom Typ «SIG-Sauer» bei sich. Die Polizei stellte auch grössere Mengen an Waffen und Munition sicher (inklusive zwei Panzerfahrzeuge). Generalstabschef Nebojsa Pavkovic bestritt, mit dem Arsenal irgendetwas zu tun zu haben, allerdings fand sich in Milosevics Privaträumen auch eine Pistole mit dem eingravierten Antlitz und einer persönlichen Widmung von Pavkovic. Auch andere Details wurden offenbar. So berichtete die Polizei von einem 670 Gramm schweren Goldorden in Milosevics Schublade. Mit solchen hochkarätigen «Orden des Volkshelden» pflegte Genosse Tito vor vielen Jahrzehnten alte PartisanInnen und sozialistische Funktionäre auszuzeichnen. Milosevic hat sich offenbar stillschweigend selber so einen Orden verliehen.
Nicht minder bizarr erscheint allmählich auch der unterschwellige Konflikt zwischen dem jugoslawischen Staatspräsidenten Kostunica und dem serbischen Ministerpräsidenten Djindjic. So deutet einiges darauf hin, dass der erste Verhaftungsversuch in der Nacht von Freitag auf Samstag unter anderem scheiterte, weil sich die Armee – offenbar mit Kostunicas Billigung – dagegenstellte. Nach Ansicht des jugoslawischen Innenministers Zoran Zivkovic war dies ein Miniputsch der Armee. Am Samstag jedoch trat Kostunica vor die Presse und sagte, dass Begonnenes auch zu Ende gebracht werden müsste. Wenige Stunden danach sass Milosevic in der Zelle. Den Generalstabschef Pavkovic hat Kostunica allerdings nicht entlassen, obwohl sich diesmal eine gute Gelegenheit bot.
Im Westen überwiegt die Überzeugung, dass Djindjic (im Unterschied zu Kostunica) Milosevic am liebsten umgehend nach Den Haag ausliefern würde. Tatsächlich gibt sich der serbische Regierungschef ausgesprochen pragmatisch: Eine Auslieferung würde Serbien den Weg in die internationale Gemeinschaft ebnen. Der Westen (insbesondere die USA) hätte dann keinen Anlass mehr für politischen Druck und die ständige Drohung, finanzielle Hilfe zurückzuhalten. Kostunica hingegen sieht in der Kontroverse um Milosevics Auslieferung eine der wenigen verbliebenen Möglichkeiten, seine Position zu stärken. Der Präsident ist zwar noch immer viel populärer als sein Gegenspieler Djindjic, doch die Zeichen stehen nicht günstig für ihn. Sollte sich in den nächsten Monaten die Teilrepublik Montenegro von der Bundesrepublik Jugoslawien lösen (was derzeit wahrscheinlich ist), wäre er ein «Vojislav ohne Land». So verspotten ihn jetzt schon Kreise, die ihm nicht wohlgesinnt sind.
Kostunica deutete bereits, kaum zufällig, die Möglichkeit vorgezogener Neuwahlen in Serbien an. Seine Hoffnung ist, dass dann neben traditionellen NationalistInnen auch enttäuschte Milosevic-AnhängerInnen für seine Demokratische Partei Serbiens (DSS) stimmen werden. Djindjic jedoch pocht auf die volle Amtszeit, schliesslich sei das serbische Parlament Serbiens erst im letzten Dezember für vier Jahre gewählt worden. Mit Djindjic und seiner Demokratischen Partei (DS) identifizieren sich vor allem junge TechnokratInnen, die auf einen ökonomischen Aufschwung setzen. Sie versuchen, alle Hindernisse für eine gute Zusammenarbeit mit dem Westen aus dem Wege zu räumen. Deswegen sind sie auch bemüht, den Nato-Krieg gegen Serbien und Zweifel an der Unabhängigkeit des Haager Tribunals in den Hintergrund zu rücken.
Moralgewinn durch Tauschgeschäfte?
Kostunica und Djindjic kommen aus derselben nationaldemokratischen Ecke. Beide versuchen aber, möglichst viel Distanz zueinander zu gewinnen, um im Kampf um die zukünftige Führungsrolle bessere Ausgangspositionen zu haben. Am Dienstag schloss Kostunica eine Auslieferung Milosevics an Den Haag aus; das Tribunal weise zu viele politische Elemente auf und zeige zu viel Bereitschaft zu Tauschgeschäften etwa mit Kroatien, sagte er. Über eine Zusammenarbeit mit Den Haag könne erst dann nachgedacht werden, wenn auch gegen «andere Verantwortliche» ermittelt werde. Dazu zählt er vor allem die Nato.
Was gut ist für das Land, müssen aber die demokratisch gewählten ParlamentarierInnen und die Öffentlichkeit entscheiden, nicht nur zwei Politiker. Dreizehn Jahre lang spielte Belgrad eine Hauptrolle bei den mörderischen Auseinandersetzungen im ehemaligen Jugoslawien. Aber noch immer wollen viele BürgerInnen Serbiens nicht wahrhaben, dass es in ihren Reihen nicht nur Opfer, sondern auch sehr viele TäterInnen gegeben hat.
Darüber werden sie auf jeden Fall besser entscheiden können (und auch entscheiden müssen) als ein US-Präsident oder die Chefanklägerin des Tribunals.