Serbien: Das Duell Djindic-Kostunica geht weiter: Neue Runde, altes Patt

Auch die Präsidentschaftswahl am kommenden Wochenende wird den serbischen Machtkampf nicht entscheiden. Denn Vojislav Kostunica, der nun Serbiens Präsident werden will, erhält Zulauf von den Armen. Und davon gibt es viele.

Vor genau zwei Jahren fieberten die WählerInnen in Serbien schon einmal dem Ausgang einer Präsidentschaftswahl entgegen. Damals, am 27. September 2000, ging es darum, ob die Bundesrepublik Jugoslawien mit Slobodan Milosevic an der Spitze weiter isoliert bleibt oder ob die damalige Demokratische Opposition Serbiens (DOS) mit ihrem Kandidaten Vojislav Kostunica die Wahl gewinnen kann. Die demokratische Wende gelang.
An diesem Wochenende wird wieder ein Präsident gewählt, der von Serbien, und die Wahl ist fast genauso spannend. Diesmal geht es darum, ob das Land mit Kostunica als möglichem neuem Präsidenten vielleicht wieder in der Isolation versackt oder ob der reformfreudige Kandidat Miroljub Labus die Oberhand gewinnt. Es ist eine Wahl zwischen Traditionalisten und ReformerInnen, und wieder zittern viele.
Noch heisst der Präsident Serbiens Milan Milutinovic. Milutinovic war früher ein guter Freund des Belgrader Alleinherrschers Milosevic und ist, wie auch Milosevic, vom Haager Tribunal wegen Kriegsverbrechen angeklagt. Allerdings hat es der serbische Ministerpräsident Zoran Djindjic abgelehnt, den amtierenden Staatschef Serbiens vor Ablauf seiner Amtszeit auszuliefern. Milutinovic selbst hat in den letzten zwei Jahren sein Amt diskret ausgeübt. Er war bemüht, nicht aufzufallen, und unterschrieb fleissig alle Gesetze und Ernennungsurkunden, die man ihm vorlegte. Allgemein wird vermutet, dass er in der Ära Milosevic möglicherweise eine wichtige Rolle spielte, als Gelder ausser Landes geschafft wurden. Aber kaum jemand glaubt, dass er – langjähriger Botschafter in Athen – massgeblich an der Vorbereitung der Kriege der neunziger Jahre beteiligt war.

Vojislav sucht Land

Eine Bundesrepublik Jugoslawien gibt es praktisch nicht mehr. Schon bei Kostunicas Wahl vor zwei Jahren hat die serbisch-montenegrinische Föderation kaum noch funktioniert. Die montenegrinischen WählerInnen haben, angespornt von ihrem Präsidenten Milo Djukanovic, die Wahl damals boykottiert und verspotteten den Sieger später als «Vojislav ohne Land». Denn dessen Hauptaufgabe bestand in der Folgezeit vor allem darin, einen Staat zu repräsentieren, der real nicht mehr existierte. Mit seiner Kandidatur zum Präsidenten Serbiens möchte sich Kostunica endlich auch ein Land und damit eine Hausmacht sichern.
Kostunica hat lange Zeit gezögert, bis er seine Kandidatur bekannt gab, obwohl diese wahrscheinlich seine letzte Chance ist, eine mit tatsächlichen Befugnissen ausgestattete politische Funktion zu übernehmen. Sein derzeitiges Amt wird noch überflüssiger werden, sollte sich die Bundesrepublik Jugoslawien in die neue Einheit «Serbien und Montenegro» umwandeln. Aber nachdem er sich entschieden hatte, nutzte Kostunica den Wahlkampf, um seine alte Fehde mit dem serbischen Ministerpräsidenten Zoran Djindjic eskalieren zu lassen. So attackierte er vor allem Djindjics Regierung, in der bis vor kurzem noch Minis-ter seiner Demokratischen Partei Serbiens (DSS) sassen. Seine Kritik an der seit Anfang 2001 amtierenden Regierung kleidete er dabei in Formulierungen, die auch von Milosevic hätten stammen können: «Die Wahl am 29. September bietet eine weitere Gelegenheit zu sagen: wir oder sie!», rief er in der Schlussphase des Wahlkampfs aus. «Jetzt kommt es zur Trennung zwischen jenen, die für den Rechtsstaat sind, und den anderen, die einen Mafia-Staat wollen, zwischen jenen, die den gemeinsamen Staat erhalten möchten, und den anderen, die gegen ihn sind.» Djindjic und seine Regierung beschuldigte er wiederholt, eine «Kolumbianisierung» Serbiens voranzutreiben.
Unmittelbar nach seinem Sieg über Milosevic vor zwei Jahren hatte Kostunica eine einmalige Popularität genossen. In Meinungsumfragen bekam er regelmässig über 80 Prozent Zustimmung. Anfang dieses Sommers sprachen sich zwar immer noch 49 Prozent für ihn aus, aber der Trend war eindeutig. In jüngsten Meinungsumfragen gaben 27 Prozent der Befragten Labus den Vorzug, nur 25 Prozent waren für Kostunica. Allerdings dürfte Kostunica in der zweiten Runde gewinnen. Sollte an diesem Sonntag keiner der vielen Kandidaten die absolute Mehrheit erzielen, kommt es am 13. Oktober zur Stichwahl zwischen den beiden bestplatzierten Kandidaten. Und dann, so wird allgemein erwartet, stellt sich das rechte Lager geschlossen hinter ihn.
Die anderen Kandidaten haben schlechte Aussichten. Bata Zivojinovic zum Beispiel, ein aus Partisanenfilmen allseits bekannter Schauspieler, kandidiert für die Sozialistische Partei und versucht, mit Fantasien über ein neues «Zusammenleben mit Bosnien und Mazedonien» zu begeistern. Etwas mehr Chancen werden da dem ehemaligen stellvertretenden Ministerpräsidenten Serbiens, dem Ultranationalisten Vojislav Seselj, eingeräumt, der vor allem unter kroatischen und bosnischen Flüchtlingen und Vertriebenen auf Stimmenfang geht. Er hat Unterstützung von Slobodan Milosevic erhalten, der Seselj aus seiner Gefängniszelle in Den Haag empfiehlt, «um das vom Ausland gelenkte Regime in Belgrad zu stürzen». Prognosen geben dem Chef der chauvinistischen Serbischen Radikalen Partei 10 bis 12 Prozent.

«Historisches Interesse»

In Seseljs Umfeld fischt freilich auch Kostunica, der die WählerInnen des früheren Staatschefs Milosevic in den Mittelpunkt seiner Wahlkampagne gerückt hat. So erklärte er Anfang September bei einer Wahlkundgebung an der Grenze zu Bosnien wörtlich: «Ich werde die Republika Srpska so betrachten wie bisher – als Teil der Familie, der uns lieb und teuer ist, der uns nahe steht und nur vorübergehend abgetrennt wurde, aber uns immer noch am Herzen liegt.»
Als es daraufhin Proteste von allen Seiten hagelte, sagte sein Wahlkampfleiter Dragan Marsicanin, dass er an Kostunicas Äusserung nichts Strittiges erkennen könne. Schliesslich wolle Kostunica nicht mehr als «früher Ost- und Westdeutschland», die auch «danach strebten, sich wieder zu vereinigen». Ob dieses «historische Interesse des serbischen Volkes» jemals Realität werde, hänge allein von «den Umständen, den politischen Möglichkeiten und den Kräfteverhältnissen» ab.
Wie Seselj umwirbt auch Kostunica die Flüchtlinge aus Bosnien und Kroatien; von ihnen sind mittlerweile mehrere Hunderttausend wahlberechtigt. Für sie wie auch das übrige nationalistische Publikum war auch Kostunicas Kritik an jenen Experten in der Regierung Djindjic gedacht, die neben der serbischen Staatsbürgerschaft auch die eines westlichen Landes besitzen. «Ein Teil der Leute in der Regierung verfügt über einen anderen Ort, an den sie sich begeben können», sagt Kostunica an einer Wahlkundgebung. Seine Leute hingegen würden nirgendwo anders hingehen. Serbien sei «stark, einfallsreich und fähig genug, eigene Kräfte zu finden». Kostunicas Attacke richtet sich vor allem gegen jene Fachleute, die jahrelang in internationalen Finanzinstitutionen gearbeitet hatten und bei der Bevölkerung viel Sympathie geniessen. Immerhin tauchten ihre Namen bisher nie in Korruptionsaffären auf. Und im Unterschied zu etlichen anderen serbischen Politikern haben sie auch nie den Eindruck erweckt, persönlichen Nutzen aus ihren Funktionen ziehen zu wollen.

Mittelschicht für Labus

Aber hat nicht Djindjic mit seiner kompromissreichen Politik Kostunica die Gelegenheit geboten, ihn als prinzipienlos zu attackieren? Diese Sicht ist etwas zu einfach. Denn beide Politiker haben in den vergangenen zwei Jahren wenig von dem getan, was sie einst versprachen. So hat es Djindjic versäumt, sich der kriminellen Verhältnisse in Serbien anzunehmen. Auftragsmorde, Entführungen, Korruptionsskandale und vieles mehr sind ungeklärt geblieben. Zahlreiche wichtige Posten, vor allem im Polizei- und Armeeapparat, werden immer noch von Stützen des Milosevic-Regimes besetzt. Auch Djin-djics Versprechen, die Wirtschaftslage zu bessern und den Wohlstand zu mehren, hat sich bisher nicht erfüllt. Vieles von dem, was angekündigt war – Ankurbelung der darniederliegenden Industrieproduktion, mehr Beschäftigung, höhere Einkommen und grössere ausländische Investitionen –, ist bis heute nicht gelungen, trotz den Finanzspritzen aus dem Westen, für die Djindjics «Westexperten» gesorgt hatten. So ist es kein Wunder, dass Kostunica vor allem bei Menschen mittleren Alters und bei sozial Schwächeren Anklang findet, während Miroljub Labus von jüngeren Menschen, StudentInnen, UnternehmerInnen und Angehörigen der freien Berufe unterstützt wird.
Auf der anderen Seite hat aber auch der jugoslawische Staatspräsident Kostunica sehr wenig erreicht. Eine demokratische Reform der Armee, der Polizei und der Geheimdienste ist ausgeblieben. Mit der Aufnahme Jugo-slawiens in die internationalen Finanz- und Handelsorganisationen kann sich Kostunica auch nicht brüsten – denn dafür war ausgerechnet sein Gegenspieler, der Wirtschaftsexperte und stellvertretende jugoslawische Regierungschef Miroljub Labus zuständig. Und dann hat Kostunica, der die Auslieferung Milosevics nach Den Haag mit dem Argument ablehnte, die Verarbeitung der jüngsten Vergangenheit müsse zu Hause beginnen, die von ihm aus der Taufe gehobene «Wahrheits- und Versöhnungskommission» nicht aktiviert.
Als wahrscheinlich nächster Präsident Serbiens hat Kostunica wenig Gestaltungsmacht. Laut der noch aus der Milosevic-Zeit stammenden Verfassung kann er nicht viel Positives bewirken, im besten Falle nur Negatives verhindern. Und so wird die Rivalität zwischen ihm und Djindjic weiter zunehmen und wohl jede Reform blockieren. Damit besteht jedoch die Gefahr, dass sich InvestorInnen und die internationalen Institute wieder von Serbien abwenden. Die ohnehin stockenden Verhandlungen über eine Verfassung des neu geplanten Staates «Serbien und Montenegro» könnten endgültig scheitern. Auch die fragilen Beziehungen zu den Nachbarstaaten würden gestört, sollte Kostunica seine Vereinigungs-wünsche etwa wiederholen. Im besten Falle kann er vorgezogene Parlamentswahlen erzwingen, um Djindjic als Ministerpräsidenten zu stürzen. Auf wessen Seite sich dann die Bevölkerung stellt, ist allerdings unklar. Bisher haben die MeinungsforscherInnen keine Mehrheit ausmachen können.