Flüchtlingspolitik: Die grosse Entrechtung

Nr. 19 –

Hohe Mauern an den Aussengrenzen, fragwürdige Deals mit Autokraten und alte Rezepte, deren Untauglichkeit längst erwiesen ist, die aber als «historische Durchbrüche» verkauft werden: So lässt sich die europäische Asylpolitik zusammenfassen. Was sie seit Jahren ausmacht, sind immer neue Verschärfungen, begleitet von einem Diskurs, der stetig nach rechts verschoben wird. Was früher undenkbar war, scheint inzwischen längst Konsens. Und wer die Missstände anprangert, wird unter Druck gesetzt. So musste zuletzt die Gruppe Mare Liberum ihre Arbeit in der Ägäis einstellen, weil sie der Repression der griechischen Regierung nicht standhalten konnte.

Politische Entscheide zielen bloss noch darauf ab, die Geflüchteten zum Verschwinden zu bringen – egal wie brutal die Folgen für die Betroffenen sind. Von dieser Entrechtung nimmt die breite Öffentlichkeit kaum noch Notiz, sind viele doch damit beschäftigt, die Krisen des Kapitalismus mental von sich wegzuschieben. Ebenfalls nicht mehr Gegenstand breiter Debatten sind die tödlichen Folgen der Abschottung. Allein in den ersten vier Monaten dieses Jahres haben fast tausend Menschen die Flucht nach Europa nicht überlebt – und das sind bloss die offiziellen Zahlen.

Die Aushöhlung des Asylrechts, die mit den Verschärfungen einhergeht, zeigt sich zumeist in wenig beachteten Nachrichtenschnipseln. Das litauische Parlament etwa hat «summarische Rückführungen», also kollektive Pushbacks, nach Belarus kürzlich offiziell erlaubt – ohne dass die Behörden einen Asylantrag überhaupt noch prüfen. Die Legislative schafft damit die Grundlage für eine völkerrechtswidrige Praxis – eine, die Länder wie Polen, Spanien oder Griechenland seit Jahren verfolgen. Exemplarisch steht dafür auch Kroatiens brutales Pushbacksystem. Entsprechend fordern Flüchtlingsorganisationen schon lange, die Ausschaffungen aus der Schweiz dorthin auszusetzen – bisher ohne Erfolg.

Erschreckend ist vor diesem Hintergrund die Diskussion um die Asylreform der EU, die nach Jahren des Stillstands nun Fahrt aufnimmt. Ausgelöst hat die Dynamik die deutsche Innenministerin: Mit Einverständnis ihrer SPD und der Grünen spricht sich nun auch Nancy Faeser für Verfahren an den Aussengrenzen aus – eine Idee, die CSU-Hardliner Horst Seehofer einst eingebracht hatte. Das Prinzip: Geflüchtete werden an den Aussengrenzen in Lager gesperrt, wo rasch geprüft werden soll, ob sie überhaupt einen Asylantrag stellen dürfen. Falls ja, durchlaufen sie ein Schnellverfahren; falls nein, werden sie zurückgeschafft. So zumindest die Theorie.

Den Plan trägt auch die Schweiz mit, wie SP-Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider letzte Woche bestätigte. Diese erneute diskursive Verschiebung verleiht aber bloss den Abschotter:innen weiter Auftrieb. Bis Anfang Juni wollen sich die Mitgliedstaaten verständigt haben, danach sollen Verhandlungen mit der Kommission und dem Parlament folgen. Bevor dieses kommenden Frühling neu gewählt wird, soll der «Migrationspakt» Realität sein. Die Blaupause für diese Entrechtung Geflüchteter lässt sich seit Jahren auf den griechischen Inseln beobachten. Das Modell nun auszuweiten, nennt die Organisation Pro Asyl einen «menschenrechtlichen Dammbruch».

Offen bleiben aber nicht nur Fragen der Umsetzung. Denn solange nicht geregelt ist, wie sich die Menschen nach den Verfahren auf die Länder verteilen lassen – und hier zeichnet sich kein Konsens ab –, wird der gewünschte Erfolg ausbleiben. Daran, dass Menschen weiter fliehen, wird der Plan ohnehin nichts ändern – stattdessen bedeutet er rechtswidrige Schnellverfahren in menschenunwürdigen Haftzentren. Und das endgültige Ende des Asylrechts.

Gegen die Kehrtwende der deutschen Regierung regt sich im nördlichen Nachbarland nun immerhin lautstarker Protest aus der Asylbewegung. Auch in der Schweiz sind mit dem Kampf gegen Frontex im vergangenen Jahr neue Netzwerke geknüpft, junge Leute politisiert worden. Für eine starke transnationale Bewegung gegen die Abschottung wäre es höchste Zeit.