Sachbuch: Krise der Arbeit, Krise der Natur

Nr. 14 –

Wie stehen Natur- und Klassenverhältnisse zueinander? Der Basler Soziologe Simon Schaupp geht dieser Frage in seinem sehr lesenswerten Buch «Stoffwechselpolitik» nach.

In der Klimadiskussion prallen oft zwei Positionen aufeinander: einerseits die, dass Umweltschutz nur sinnvoll sei, wenn er für die weniger wohlhabende Bevölkerungsmehrheit auch bezahlbar bleibe. Andererseits aber wird argumentiert, dass es bei der Klimapolitik keine faulen Kompromisse geben dürfe, weil die Menschheit kein Recht auf die Zerstörung der Natur besitze. Was denn nun?

Diese Gegenüberstellung steht exemplarisch für ein grosses Missverständnis in den politischen Debatten der Gegenwart: Soziale und ökologische Entwicklungen werden oft als voneinander getrennte Bereiche betrachtet. Dabei liegt auf der Hand, wie unsinnig eine derartige Trennung ist: Extremwetterereignisse führen zu Ernteausfällen, steigenden Lebensmittelpreisen und der Zerstörung von Wohnhäusern – was die unteren Klassen in Armut stürzt. Gleichzeitig ist es umgekehrt keineswegs so, dass «die Menschheit» die Natur zerstört. Vielmehr ist dafür das reichste Fünftel der Weltbevölkerung verantwortlich.

Dass Klassen- und Naturverhältnisse untrennbar miteinander verschränkt sind, ist die zentrale These von Simon Schaupps Buch «Stoffwechselpolitik». Seinen Titel entleiht es der marxschen Definition von Arbeit als «gesellschaftlichem Stoffwechsel». Eher soziologisch als politisch postuliert Schaupp: «Arbeit und Natur stehen in einem Verhältnis unauflöslicher Wechselwirkungen zueinander. Damit wird die Arbeit zu einem zentralen Ort für die Entstehung der ökologischen Krise – und möglicherweise auch zu ihrer Überwindung.»

Geformte Körper

Der Begriff der «Stoffwechselpolitik» dient dem Basler Soziologen, um Produktions- und Umweltpolitik zusammenzuführen. In diesem Sinne führt Schaupp auch eine ganze Reihe bekannter Fakten noch einmal auf: Er erinnert daran, dass «100 Unternehmen für 71 Prozent der Emissionen seit 1988 verantwortlich» sind, und verweist auf die Studie des französischen Ökonomen Lucas Chancel, derzufolge sich die Investitionen der Superreichen noch weitaus verheerender auswirken als ihr Luxuskonsum. Er geht den Parallelen bei der Nutzbarmachung von Mensch und Natur nach und lenkt den Blick darauf, dass auch Arbeitskraft als «Natur» interpretiert werden kann: nämlich als Körper, die zur Arbeitskraft geformt werden.

Hier wirft Schaupp die Frage auf, inwiefern sich von einer «Autonomie der Natur» sprechen lässt. Wie die Arbeit widersetzt sich auch die Natur ihrer Nutzbarmachung. Anders als Bruno Latour und andere Ökolog:innen blendet Schaupp den entscheidenden Unterschied allerdings nicht aus: Im Gegensatz zur Arbeit kann sich die Natur nicht strategisch organisieren.

Wirklich plastisch wird «Stoffwechselpolitik» allerdings erst dort, wo der Autor seinen Ansatz an konkreten Beispielen entfaltet. Am Fall der Hamburger Unternehmerfamilie Schimmelmann zeigt Schaupp, wie das aufstrebende Bürgertum eine «differenzielle Nutzbarmachung» hervorbrachte: Die Schimmmelmanns trieben, so Schaupp, gleichzeitig freie Lohnarbeit und Sklaverei, die Erschliessung von tropischen Naturräumen und eher progressive landwirtschaftliche Reformen in Europa voran. Gerade die Kombination unterschiedlicher Instrumente sei charakteristisch für den entstehenden Kapitalismus gewesen.

Fleischfabriken in den USA

Besonders gelungen ist der Abschnitt, in dem Schaupp das Entstehen von Fleischfabriken und kapitalintensiver Landwirtschaft in den USA in den Blick nimmt. In den 1860er Jahren entstand am Chicagoer Eisenbahnknotenpunkt der berühmte Viehmarkt: «eine gigantische Infrastruktur aus Gleisen, Viadukten, Produktionsstätten und Bürogebäuden», in der erstmals das moderne Fliessbandprinzip zur Anwendung kam.

Bereits die gewaltsame Ausrottung der Bisons durch europäische Siedler:innen habe eine gewaltige Veränderung des Stoffwechsels bedeutet. Dieses «Terraforming», wie Schaupp es ironisch nennt, führte zur Auslöschung der indigenen Subsistenzwirtschaft und zog die Durchsetzung reiner Marktbeziehungen nach sich. Durch die Eisenbahn mussten Bäuer:innen nämlich mit billigerer Produktion aus weiter entfernten Gebieten konkurrieren und ersetzten ihre eigene Weidewirtschaft schnell durch Mastbetrieb oder den Futteranbau.

Auch der Viehmarkt selbst setzte radikale Veränderungen in Gang: Weil für die Unterbringung der Schlachttiere Gebühren zu zahlen waren, musste schnell verkauft und geschlachtet werden. Damit das Fleisch nicht verdarb, wurden Schlachtprozesse und Transportwege industrialisiert. In der fliessbandähnlichen Arbeitsorganisation entstanden Zehntausende Jobs unter fürchterlichen Bedingungen, aber mit grosser Handlungsmacht für die Arbeiter:innen: Ein Streik verursachte innerhalb kürzester Zeit enorme Kosten.

Auf diese Weise entwickelten sich Massentierhaltung, kapitalintensive Landwirtschaft, der Ausbau des Eisenbahnnetzes, industrielle Kühlsysteme, Fliessbandarbeit und gewerkschaftliche Kämpfe parallel zueinander. Doch das Beispiel zeigt nicht nur, wie der «Stoffwechsel der Arbeit» gesellschaftliche und ökologische Prozesse miteinander verschränkt, sondern verweist auch auf deren Krisenhaftigkeit. Die industrielle Landwirtschaft führte in den 1930er Jahren nämlich zu einer schweren Krise, als es wegen der Bodenerosion zu Sandstürmen und Missernten kam.

Es folgten Massenverarmung und -migration. Diejenigen Bauernfamilien, die sich verschuldet hatten, um die Motorisierung ihrer Höfe zu finanzieren, verloren ihr Land an die Banken und mussten als Tagelöhner:innen durch Nordamerika vagabundieren. Viele von ihnen legten Tausende Kilometer zurück, bis sie neue Einkommensmöglichkeiten fanden.

Krise und autoritärer Charakter

Schaupps zentrale politische These lautet, dass es im Prozess der Nutzbarmachung immer auch eine «Autonomie» von Mensch und Natur gebe: Arbeiter:innen können sich verweigern, die Inwertsetzung der Natur führt zu ökologischen Krisen. Weil sich «die Natur» jedoch nicht organisieren kann, um Interessen geltend zu machen, plädiert Schaupp dafür, den Fokus weiter auf die Arbeitswelt zu richten. Wenn es die Arbeit sei, die die Naturtransformationen vorantreibe, müsse sie auch der zentrale Ort sein, um für einen anderen Stoffwechsel zu kämpfen.

Schaupp verhehlt nicht, wie schwierig das ist. Er beschreibt anschaulich, wie sich abstiegsbedrohte Teile der Gesellschaft an den Fossilismus klammern, und vergleicht das Phänomen mit dem «autoritären Charakter», den Erich Fromm in den 1930er Jahren bei der deutschen Arbeiter:innenschaft ausmachte. Als Reaktion auf die Systemkrise identifizierten sich damals Millionen erst recht mit den herrschenden Autoritäten.

Schaupp hätte an einigen Stellen klarer formulieren können, was seine Überlegungen praktisch bedeuten. Hinter dem eher soziologischen Begriff der Stoffwechselpolitik steht letztlich die sehr politische Frage, wie sich soziale und ökologische Kämpfe bereits begrifflich zusammenführen lassen. Schaupp hätte sich hier trauen sollen, seine Thesen zuzuspitzen. Dennoch ist sein Buch Pflichtlektüre: Es zeigt, dass sich soziale und ökologische Krisen stets gemeinsam entfalten und ihnen deshalb auch nur gemeinsam begegnet werden kann.

Buchcover von «Stoffwechselpolitik. Arbeit, Natur und die Zukunft des Planeten»
Simon Schaupp: «Stoffwechselpolitik. Arbeit, Natur und die Zukunft des Planeten». Suhrkamp Verlag. Berlin 2024. 422 Seiten. 30 Franken.