Schutzschild einmal mit, einmal ohne Waffe: Alter Kämpfer ohne Illusionen

Im Krieg um Kuwait war er noch Soldat. Diesmal will Ken Nicols O’Keefe als menschlicher Schutzschild Krieg verhindern.

Wo die «Human Shields», die menschlichen Schutzschilde, in Bagdad anzutreffen sind, erfährt man am besten an der Pinnwand des Apartmenthauses «Andalus», eines einfachen Hotels im Zentrum der Stadt. Dort werden fünf Orte angegeben, an denen sich insgesamt rund hundert FriedensaktivistInnen aus verschiedenen Ländern eingerichtet haben: in einem Lebensmittellager im Norden Bagdads, in den Elektrizitätswerken in al-Masbah und Durah, in der Ölraffinerie Dorah und in der Wasseraufbereitungsanlage 7. April. Dort verbringen die «Schutzschilde» ihre Nächte, ausgestattet mit Schlafsäcken, Videokamera und Satellitentelefon. Die Abende vergehen bei Diskussionen, gegenseitigem Kennenlernen und gemeinsamen Essen. Die irakische Regierung stellt nach Möglichkeit Häuser, Wohnungen oder Container mit Betten, Zahnbürsten und -pasta, Handtüchern sowie eine Küche zur Verfügung.

«Wir haben uns die Orte selbst ausgesucht», sagt der 32-jährige Ken Nicols O’Keefe, der seit Mitte Februar in Bagdad ist. Der ehemalige US-Marine-Soldat gilt als Gründer der «Human Shields»-Bewegung in den USA. Wer es endlich schafft, zum viel gefragten Mann vorzudringen, erhält von O’Keefe bereitwillig Auskunft. Der mediengeübte Golfkriegsveteran war 1991, damals 20-jährig, an der kuwaitisch-saudischen Grenze stationiert. Im Zuge des Bodenkrieges rückte seine Einheit zur Hauptverbindungsstrasse zwischen Kuwait-Stadt und Basra vor – der «Strasse des Todes». Hier wurden die irakischen Truppen auf ihrem Rückzug mehrere Tage lang aus der Luft angegriffen. Über den Irak und die arabische Region habe er nicht viel gewusst, sagt O’Keefe, so etwas gehöre nicht zum normalen amerikanischen Schulplan. Er sei, wie die Mehrheit der US-Bürger, «total ignorant» gewesen in Bezug auf die Völker, die Kultur und Geschichte dieser Region.

Seinen Sinneswandel, der ihn vom US-Marine zum «Schutzschild» für die irakische Bevölkerung gemacht hat, erklärt O’Keefe mit seiner Sorge über die «Zerstörung der Welt und der Menschen». Der «Hauptgrund dafür ist Gier und Macht», sagt er, wie dieser Krieg zeige: «Jene, die vom Krieg profitieren, sind die gleichen, die ihn führen», ist Ken O’Keefe überzeugt. «Ich bin nicht bereit zuzusehen – ich will mein Bestes tun, um den Krieg zu stoppen.» Er erinnert sich an 1991, als die kuwaitischen Ölfelder brannten, während er in Richtung irakische Grenze fuhr. «Während Tagen war es mitten am Tag schwarz wie die Nacht, die Sonne kam nicht durch», erzählt er. Er habe einige Monate mit seiner Einheit die «Strasse des Todes» abgesichert, bevor er wieder abgezogen und in die USA zurückgeschickt wurde. Ob er von der Munition mit abgereichertem Uran verseucht worden sei, weiss er nicht. «Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass Golfkriegsveteranen verseucht wurden», sagt er. «Meine Regierung hat mich weder über den Einsatz dieser Waffen informiert noch mich davor gewarnt», sagt O’Keefe und fügt hinzu: «Wenn die Regierung schon die eigenen Soldaten und ‘Helden’ so behandelt, kann man sich vorstellen, wie sie Araber und Iraker behandeln wird.»

Nachdem Ken O’Keefe die Armee im Jahr 1994 verlassen hat, habe er sich geschworen, «meine Freiheit zu nutzen und zu verteidigen». Mit der «Schutzschild»-Aktion ist er zufrieden, wenn auch nicht tausende gekommen seien, wie er sich dies gewünscht hätte. Immerhin seien Menschen aus aller Welt dabei, das sei «ein historisches Ereignis, das hat es noch nie gegeben». Auf die Frage, ob die weltweite Friedensbewegung und die «menschlichen Schutzschilde» den Krieg gegen den Irak noch verhindern könnten, antwortet Ken O’Keefe: «Ich bin Realist. Dieser Krieg wurde vor langer Zeit beschlossen, noch vor der Regierungszeit von George Bush.» Der Krieg sei «Teil der US-Absicht, die gesamte Welt zu beherrschen» und «die Kontrolle über die grossen Ölvorkommen des Irak ist wesentlicher Bestandteil dieser Strategie.» Und selbst wenn ein Krieg in letzter Minute noch verhindert werden könnte, ist Ken O’Keefe sicher: «Die grösste Bedrohung für die Sicherheit unser Welt ist ohne Frage die US-Regierung und George Bush.»