Staatsschutz: Der Schweizer Geheimdienst sammelt wieder

Nr. 30 –

Die WOZ-Autoren Monnerat, Stutz und Ryser wurden vom Geheimdienst wegen ihrer journalistischen Tätigkeit fichiert. Ebenso fichiert, dies wegen politischer Tätigkeit: WOZ-Redaktor Gautier und der Grüne Zürcher Gemeinderat Glättli. Wie viele neue Fichen hat der Dienst für Analyse und Prävention gesammelt?


Die Verhaftung des WOZ-Redaktors Dinu Gautier auf dem Weg zu einer Demonstration im Januar 2008 gab den Anstoss: Rechtsanwalt Viktor Györffy bat für zehn KlientInnen, darunter Gautier und die WOZ, beim eidgenössischen Datenschutzbeauftragten um Auskunft, ob über diese aufgrund ihrer politischen oder journalistischen Tätigkeit beim Staatsschutz Daten gesammelt würden. Györffy ist Präsident des Vereins Grundrechte, der Nachfolgeorganisation der Stiftung Archiv Schnüffelstaat Schweiz, die im Zuge der Fichenaffäre vom Ende der achtziger Jahre gegründet wurde.

Die Antwort kam letzte Woche und erstaunte: Sie beweist einerseits, dass der Datenschutzbeauftragte unabhängig ist, andererseits, dass der Dienst für Analyse und Prävention (DAP) offenbar illegal wild Daten sammelt: Drei der zehn Anfragen waren positiv. Darüber informierte Györffy am Mittwoch an einer Pressekonferenz.

Es sei das erste Mal, dass ein Datenschutzbeauftragter derart detaillierte Informationen herausgebe, sagt Györffy. Das sei ein Durchbruch mit Signalwirkung: «Normalerweise teilt der Datenschutzbeauftragte der gesuchstellenden Person in einer stets gleich lautenden Antwort mit, dass in Bezug auf sie entweder keine Daten unrechtmässig bearbeitet wurden oder dass er bei vorhandenen allfälligen Fehlern in der Datenbearbeitung eine Empfehlung zu deren Behebung an das Bundesamt gerichtet habe. Im Gesetz über Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit (BWIS) steht zudem, dass der Datenschutzbeauftragte Auskunft erteilen kann, ‹wenn damit keine Gefährdung der inneren oder äusseren Sicherheit verbunden ist oder wenn der gesuchstellenden Person sonst ein erheblicher, nicht wieder gut zu machender Schaden erwächst.›»

Hier die Registrierten: Der Grüne Zürcher Gemeinderat Balthasar Glättli wurde vom DAP im Staatsschutzcomputer gespeichert, weil er 2005 ein Gesuch für eine Demonstration eingereicht hatte. «Ein Staat, der Bürger fichiert, die ihre Rechte wahrnehmen, ist ein Schnüffelstaat», sagte Glättli am Mittwoch. Nationalrat Daniel Vischer, der an jener Demonstration eine Ansprache hielt, habe sein Ficheneinsichtsgesuch bereits vorbereitet, «und viele andere werden folgen», so Glättli. Györffy sagte, bei einer Trefferquote von drei zu zehn müsse man davon ausgehen, dass der Staat massiv Gesinnungsschnüffelei betreibe.

Auch die WOZ landete in der Geheimdienstdatensammlung ISIS. Gespeichert wurden Artikel der Autoren Roger Monnerat, Hans Stutz und des Verfassers dieses Artikels. Stutz hat in seinem Artikel «Plötzlich sind sie richtig gefährlich» vom 29. März 2007 die Arbeit des DAP analysiert. Der Schreibende dieses Artikels landete in der ISIS für ein Interview mit Andrea Stauffacher vom Revolutionären Aufbau. Roger Monnerat wurde fichiert für ein Interview mit Efrem Cattelan, dem ehemaligen Chef der P-26. Monnerats Artikel zu P-26 und Fichenskandal trug den Titel: «Hör mal, es gibt in diesem Land eine Armee, die geheim ist ...»

Unklar ist, ob bloss die Artikel in einer gesamten WOZ-Fiche landeten oder ob aufgrund der Artikel auch über die drei Autoren eine persönliche Fiche angelegt wurde. Einsichtsgesuche der Betroffenen werden Klarheit bringen. Zudem will Györffy, dem aber nur die knappen Mitteilungen des Datenschützers vorliegen, nicht aber die ganzen Fichen, vor dem Bundesverwaltungsgericht die Herausgabe der Fichen erkämpfen. In der Auflistung zu Erwähnungen der WOZ im Geheimdienstcomputer steht zudem noch, dass der Geheimdienst 2001 einer ausländischen Behörde mitgeteilt hat, «dass die WOZ eine Zeitung ist».

Der dritte Treffer der Anfragen Györffys betraf WOZ-Redaktor Dinu Gautier. Die Fichen-Einträge beziehen sich jedoch nicht auf seine journalistische Arbeit, sondern auf seine frühere Tätigkeit als Politaktivist. Interessant ist dabei vor allem folgender Eintrag: «24.01.04: In Landquart durchgeführte Personenkontrolle im Rahmen des WEF 2004». Im Kessel von Landquart waren damals über tausend Personen kontrolliert worden. Der Staatsschutz hatte im Anschluss kommuniziert, dass die Daten gelöscht würden und man doch nicht vorhabe, Fichen anzulegen.

Zumindest bei Gautier war das aber doch der Fall, es ist also davon auszugehen, dass die Daten von Landquart nicht gelöscht wurden. Sind in der Schweiz also Hunderte, wenn nicht Tausende, fichiert? Klar ist: Alle Betroffenen können Einsichtsgesuche stellen. Györffy hofft, dass das geschieht, «um möglichst viel Licht ins Dunkel der Arbeit des Geheimdienstes zu bringen». Der Anwalt forderte an der Pressekonferenz uneingeschränktes Einsichtsrecht und will vom Bundesrat die Garantie, dass der Geheimdienst aufgrund der jetzigen Enthüllung keine Akten vernichtet, die zur Aufklärung des Skandals beitragen können.

Dass solche Fichierungen konkrete Auswirkungen haben können, zeigt der Fall Gautier:

Seine Einträge führten dazu, dass er im Januar 2008 mit einem konkreten WOZ-Auftrag und einem entsprechenden Schreiben in der Tasche seine Arbeit nicht ausführen konnte. Er wurde bei Verlassen des WOZ-Büros auf Anweisung eines Staatsschutzbeamten, der ihn mit Namen ansprach, verhaftet und über vier Stunden festgehalten.

Noch ist vieles unklar. Was bedeutet das, ganz konkret für mich: Blinkt am Zoll im Computer etwas auf? Wurde ich deshalb kürzlich derart genau kontrolliert, mein Auto durchsucht? Liest DAP-Chef Urs von Däniken meine privaten SMS? Sind die WOZ-Telefone angezapft? Mein Festnetz, von welchem aus ich damals mit Andrea Stauffacher ihre Interviewergänzungen diskutierte? Kann mir meine journalistische Tätigkeit zum Nachteil werden? Ist Journalismus ein Verbrechen? Wird in der Schweiz jede Person, die ein Gesuch für eine Demonstration einreicht, im Staatsschutzcomputer gespeichert? Wird jeder, der politisch aktiv ist, irgendwo aufgelistet? Wiederholt sich die Geschichte? Sind sie in meinem Computer?