Ein blaues Häkchen für Musk-Fans

Elon Musk hat kürzlich verfügt, dass auf seinem Nachrichtendienst Twitter das Wort «Cisgender» als Schimpfwort gilt. Die Verwendung des Wortes könne «zumindest zur vorübergehenden Suspendierung» führen. Willkommen im Zeitalter des digitalen Neofeudalismus, wo sich der reichste Mann der Welt eine milliardenschwere Echokammer gekauft hat und diese nicht nur als narzisstisches Spiegelzimmer nutzt, sondern Reichweiten reguliert, Stimmen und Beiträge priorisiert oder ausschliesst und Debatten radikalisiert.

Wer heute auf einen durchschnittlichen Tweet, sagen wir, zum Pride Month klickt, bekommt zuerst einmal hart rechte Propaganda über «Groomers» und die Gefahr, die angeblich von trans Personen ausgeht, serviert. Die Art Accounts, die mässigend auf den Diskurs wirken könnten, werden weniger oder gar nicht angezeigt. 

Diese Entwicklung dürfte mit den «blue checks» angefangen haben: «Blue checks» sind «verified users» – anders als etwa Accounts ohne Klarnamen. Wer früher über ein solches blaues Häkchen verfügte, war prominent, hatte sich in der Gesellschaft eine gewisse Autorität oder auf Twitter eine beachtliche Zahl Leser:innen erarbeitet und stand mit eigenem Namen und eigener Reputation für seine Beiträge ein. Wie jede Meritokratie war auch dieses System ein Stück weit selbstreferenziell und lächerlich, und die meisten, die das blaue Häkchen hatten, machten sich über das Insigne lustig. Für Twitter-Nutzer wie mich, die nie Gefahr liefen, je eines zu erhalten, aber sie ganz praktisch fanden, um sicherzustellen, dass der Account, dessen Tweet ich kommentierte, auch die echte «New York Times» war, war das Häkchen eigentlich egal.

Anderen auf Twitter war es hingegen alles andere als egal: In rechten, «antiwoken», technologieaffinen Bubbles war man überzeugt, dass das ganze ein Zensursystem sei, dem vor allem konservative Stimmen zum Opfer fielen. Als Elon Musk 2022 – im Namen der «Meinungsfreiheit» – das Unternehmen übernahm, zeigte sich sehr schnell: Er meinte, mit «der» Twitter-Öffentlichkeit eigentlich nur jene, in der er sich selbst bewegt.  So designte er Twitter in den nächsten Monaten auf diese Zielgruppe und ihre Steckenpferde hin. Und änderte auch die Bedingungen bezüglich des blauen Häkchens: Es kostete plötzlich einfach Geld. Der neue Twitter-Chef verkaufte das als demokratisierende Geste. Alle möglichen wichtigen Accounts weigerten sich zu zahlen, und alle möglichen, häufig rechtslastigen Musk-Fans kauften sich das Privileg. Wer heute auf einen Tweet klickt, dem werden zuerst die Kommentare von Accounts mit dem blauen Häkchen gezeigt. Oder anders ausgedrückt: was Elon Musks Fans zum jeweiligen Thema so denken. 

Darin besteht, soweit man es überblicken kann, Musks derzeitiges Geschäftsmodell: Was, wenn seine Echokammer einfach ganz Twitter kapert? Was, wenn man, egal wo man auf Twitter unterwegs ist, die Obsessionen und fixen Ideen von Musk und seinem Milieu aufgetischt bekommt? Dass dieser doch einigermassen dystopische Pitch, nebenbei gesagt, keine riesigen Profite abwirft, ist nicht wirklich überraschend. 

Damit aus Twitter eine echte Agora werden könnte, wie es Musk angeblich einmal vorschwebte, müsste er sich darüber Gedanken machen, warum sich jemand das noch antut. Stattdessen dürfte Musk – sein Werkeln am Algorithmus machts möglich – fast nur noch mit den Sorgen seiner Bubble konfrontiert werden. Wie eben denen eines irischen Psychologen, dessen Account nicht mit institutionellen oder professionellen Profilen verlinkt ist, sondern zu einem Spendenaufruf führt. Und der sagt, dass er sich durch das Wort «cis» bedroht fühlt.

Immer freitags lesen Sie an dieser Stelle die Kolumne unseres Gastautors Adrian Daub. Der Autor, Kritiker und Literaturwissenschaftler lehrt als Professor für vergleichende Literaturwissenschaften und Germanistik an der Universität Stanford. Er lebt in San Francisco und Berlin.