Silicon Valley: Die seltsame Welt der Studienabbrecher

Nr. 16 –

In seinem Essay «Was das Valley denken nennt» nimmt sich Literaturwissenschaftler Adrian Daub die Ideologie der US-Digitalbranche vor.

Der universitäre Betrieb wird gerne als von der Realität abgekoppelter Elfenbeinturm geschmäht, dem jedes Gespür für die gegenwärtigen Verhältnisse abgehe. Doch wenn sich ein an der kalifornischen Stanford University tätiger Intellektueller wie Adrian Daub daran macht, die Ideenwelt des Silicon Valley zu untersuchen, dann laufen ressentimentgeladene Vorbehalte allein schon aus geografischen Gründen ins Leere: Vom Campus der Elite-Universität nach Palo Alto, dem Herzen des Digitalkapitalismus, kann man bequem zu Fuss spazieren.

Sehr viel näher an seinem Gegenstand könnte Daub also gar nicht sein, und das ist seinem Essay «Was das Valley denken nennt» deutlich anzumerken. Der schmale Band bietet zwar keine systematische Kritik der Ideologie des digitalen Kapitalismus, dafür aber scharfsinnige Beobachtungen und Anekdoten. In der Summe ist das ziemlich entlarvend: Die schon aus der Ferne schal wirkenden Heilsversprechen, mit denen die Techkonzerne ihre Geschäftsmodelle verbrämen, erscheinen durch die analytische Brille des ortsansässigen Literaturwissenschaftlers betrachtet noch deutlich abgestandener.

Nur die halbe Wahrheit

Dies gilt etwa für den Universalismus, der den Diskurs von «Big Tech» auszeichnet, also das von Facebook, Google und Co. gern bemühte Werbeversprechen, ihre Innovationen würden das Leben aller Menschen verbessern. «Das Silicon Valley liebt die Worte ‹jedermann›, ‹universell› und ‹die Menschen›», schreibt Daub, «aber gemeint sind damit normalerweise ‹die Leute, mit denen ich auf der Uni war›.» So setzen die Erfindungen der Digitalkonzerne eine Kundschaft voraus, die sich auch die Endgeräte leisten kann, um diese nutzen zu können.

Als etwa der Fahrdienstvermittler Lyft seinen neuen Service «Lyft Shuttle» einführte, bei dem Vans statt Autos auf festgelegten Routen verkehrten, spottete ein Twitter-Nutzer, der hippe Techkonzern sei wohl endlich dahintergekommen, dass Linienbusse praktisch sind. Dies sei nur die halbe Wahrheit, ergänzt Daub: «Lyft hatte Buslinien nur für Personen erfunden, die ein Smartphone besassen, es zu verwenden verstanden und eine Kreditkarte hatten, die Voraussetzung für die Installation der App war.»

Ähnliches liesse sich auch über andere Hypes behaupten. Ist Uber tatsächlich eine Verkehrsrevolution – oder handelt es sich bei der Taxi-App nicht einfach um die digitale Variante der studentischen Mitfahrzentrale? Krempeln Dating-Apps wie Tinder wirklich unser Beziehungsleben um – oder sind sie nicht das funktionale Äquivalent einer Verbindungsparty? Solche Überlegungen legen den Schluss nahe, dass die die digitale Revolution vorantreibenden Köpfe die Uni vor allem deswegen verlassen haben, «um eine Welt einzurichten, die immer mehr Ähnlichkeit mit der verlassenen akademischen hat», wie Daub feststellt.

Der Literaturwissenschaftler knüpft in seiner Analyse auch an die von den beiden britischen Valley-Kritikern Andy Cameron und Richard Barbrook bereits in den Neunzigern herausgestellte Beobachtung an, dass zahlreiche Motive der Gegenkultur im Digitalkapitalismus der US-Westküste fortleben. Wobei diese eine spezifische Transformation erfahren: So lässt sich Daub zufolge der Studienabbrecher, der ein Start-up gründet, um damit die Welt zu verändern, als Update des «Aussteigers» dechiffrieren, der in den Sechzigern und Siebzigern der bürgerlichen Welt den Rücken kehrte. Von diesen eher speziellen RebellInnen haben es einige zu gewaltigem Reichtum und globaler Prominenz gebracht: Bill Gates, Steve Jobs, Mark Zuckerberg – sie alle verliessen die Universität ohne Abschluss.

Die behauptete Revolution

Das gilt auch für Elisabeth Holmes, die mit einem gigantischen Betrugsfall Schlagzeilen machte: Die Stanford-Abbrecherin hatte das Start-up Theranos gegründet, das ein bahnbrechend neues Bluttestverfahren etablieren sollte. Holmes galt als weiteres Beispiel genialer «Dropouts» und wurde zur Milliardärin – ehe dann 2015 klar wurde, dass ihre Tests gar nicht funktionieren. Anders als von ihr behauptet, wurde Holmes in Stanford auch nicht zur Ingenieurin ausgebildet, sondern belegte lediglich Grundkurse. Gerade dort, so Daub, blieben StudienabbrecherInnen häufig «in einem geistigen Niemandsland zwischen allgemeinen Binsenweisheiten und einer sehr begrenzten und überpragmatischen Betrachtung von Problemen gefangen» – die vertiefenden Lehrstoffe hätten erst später auf dem Vorlesungsplan gestanden.

Kein Wunder also, dass die Verlautbarungen der TechvisionärInnen oft heisse Luft sind. «Das Silicon Valley hat einen Hang dazu, revolutionär zu sein, ohne irgendetwas zu revolutionieren», resümiert Daub lakonisch. Seine abgeklärte Herangehensweise an den Gegenstand ist vermutlich genau die richtige, schliesslich laufen gerade die glühendsten KritikerInnen von «Big Tech» Gefahr, die Propaganda der Digitalkonzerne noch zu reproduzieren, wenn sie die von der Branche ausgehenden Gefahren in allzu düsteren Farben malen. Besser die Energien darauf konzentrieren, die dringend gebotenen Regulierungen der Branche politisch voranzutreiben.

Adrian Daub: Was das Valley denken nennt. Suhrkamp. Berlin 2020. 159 Seiten. 24 Franken