«Wer hat Sie gefragt, Lance Armstrong?»

Manchmal lassen gerade kurze Wortmeldungen tief blicken: Als Lance Armstrong, Exradprofi und Dopingskandalnudel, sich am 24. Juno auf Twitter mit einem kurzen Videoclip meldete, hat er aus Versehen einen ganzen öffentlichen Diskurs auf den Punkt gebracht. Und zugleich klargestellt, was in diesem falsch läuft.

Im besagten Clip ist Armstrong auf dem Weg zum Haus der Olympionik:in Caitlyn Jenner, die bei den Spielen 1976 als Mann die Goldmedaille im Zehnkampf gewonnen hat. Mit ihr wolle er ein Thema ansprechen, über das «wir» angeblich nicht genug sprechen: trans Personen im Sport. 

Geschenkt, dass es zumindest in den USA mehr Artikel über das Phänomen gibt als Sportler:innen, die tatsächlich trans sind. Geschenkt auch, dass durch ein Gespräch zwischen Tour-de-France-Gewinner und Olympionik:in das Hauptaugenmerk klar auf den Spitzensport gerichtet wird, obgleich die Panik wegen trans Personen im Sport vor allem im Schulsport verbreitet ist – wo Kindern, seien sie nun trans oder in ihrer «gender presentation» nicht ganz eindeutig, das Leben schwer gemacht wird. 

Er wolle einfach noch mal die Frage besprechen, ob die Gegenwart von trans Personen im Sport an sich «unfair» sei, so Armstrong. Dass sich ausgerechnet der Dopingsünder plötzlich Gedanken über Fairness macht, hat im Internet dann doch für viel Häme gesorgt. Wie auch die Tatsache, dass Armstrong, der sich bisher kaum mit dem Phänomen auseinandergesetzt hat, nun Fragen aufwirft, über die seit Jahren von weitaus qualifizierteren Zeitgenoss:innen gesprochen wird und die zum Grossteil von den Sportvereinigungen bereits beantwortet sind. 

«Wer hat Sie eigentlich gefragt, Lance Armstrong?», schreibt die Journalistin Parker Molloy ganz treffend. 

Dass Armstrong sich auch ohne jegliche Expertise zum Thema bemüssigt fühlte, sich zu äussern, ist bezeichnend: «Sind wir wirklich in einer Zeit und an einem Ort angelangt, wo lebhafte Debatten nicht nur verpönt, sondern auch gefürchtet sind?», fragt er und spielt sich zum Märtyrer für die geschundene Meinungsfreiheit auf. Er spricht im Clip in der wohl mächtigsten Position, die sich unsere Mächtigen heute zuschanzen können: als Gecancelter. «Die grösste Sorge der Menschen», so Armstrong, «besteht darin, gefeuert, beschämt oder gecancelt zu werden.» Und er fährt fort: «Als jemand, der mit diesem Phänomen nur allzu gut vertraut ist, habe ich das Gefühl, dass ich in der einzigartigen Position bin, diese Gespräche zu führen.» 

So lächerlich und eigennützig Armstrongs Logik hier sein mag: Diese Sprechposition ist – gerade wenn es um trans Personen geht – mittlerweile ein Grundmotiv unserer Diskurse. Es erfordert keine Expertise, um sich über trans Personen das Maul verreissen zu dürfen. Die ominöse Andeutung von Dingen, die man angeblich nicht mehr sagen darf, genügt. Das vermeintliche Nicht-zu-Wort-Kommen macht schon zur Expert:in. Je mehr man gedankenlos uralte und teilweise längst beantwortete Fragen rezykliert, desto mehr Redeberechtigung hat man offenbar. Und je mehr man mit der Materie vertraut ist oder gar betroffen ist, desto eher wird einer oder einem das Rederecht implizit abgesprochen –  denn man ist ja Aktivist:in und der «lebhaften Debatte» abträglich, die andere über die reine Existenz von bestimmten Gruppen führen wollen.

Immer freitags lesen Sie an dieser Stelle die Kolumne unseres Gastautors Adrian Daub. Der Autor, Kritiker und Literaturwissenschaftler lehrt als Professor für vergleichende Literaturwissenschaften und Germanistik an der Universität Stanford. Er lebt in San Francisco und Berlin.