Sport und Gender: «Wie stärker, in Bezug auf was?»
Wieso ist der Profisport so hartnäckig nach zwei Geschlechtern organisiert? Wie könnte man die Kategorien stattdessen anders denken? Sportsoziologin Karolin Heckemeyer und Fabienne Peter, die erste lizenzierte trans Frau im Schweizer Eishockey, im Gespräch.
WOZ: Karolin Heckemeyer, Fabienne Peter, 2024 war ein Jahr der sportlichen Grossanlässe: Millionen von Menschen fieberten an der Fussball-EM der Männer, bei den Olympischen und den Paralympischen Spielen mit. Warum interessieren uns sportliche Wettkämpfe so sehr?
Karolin Heckemeyer: Das hat sicher damit zu tun, dass solche Sportereignisse die Leistungsfähigkeit menschlicher Körper vorführen. Es geht um eine Selbstvergewisserung, wozu der Mensch fähig ist.
Fabienne Peter: Bei mir ist es auf jeden Fall das Interesse, meine eigenen Fähigkeiten mit denjenigen anderer zu vergleichen. Ich finde es faszinierend, was man leisten kann, wenn man viel Zeit und Aufwand ins Training steckt, und was mit den heutigen Methoden und Hilfsmitteln möglich ist.
Untrennbar mit dem Sport verbunden ist das Konzept der Fairness. Wieso eigentlich?
Heckemeyer: Die Vorstellung, dass Fairness überhaupt möglich ist, ist ein Mythos, der den Sport seit jeher begleitet. Ganz oft ist mit Fairness Ausgangsgleichheit gemeint. Dafür müssen die Sportler:innen, die gemeinsam am Start stehen, zwei Prämissen erfüllen: Die erste ist Natürlichkeit. Es sollen also Leistungen verglichen werden, die auf die sogenannt natürlichen Fähigkeiten eines menschlichen Körpers zurückgeführt werden. In diesem Zusammenhang spielen auch die Dopingregularien eine Rolle, die sicherstellen sollen, dass menschliche Körper nicht «unnatürlich» verbessert werden. Die zweite Prämisse ist, dass die Teilnehmer:innen im Moment des Wettkampfs alle die gleichen Bedingungen vorfinden. Unter diesen Prämissen akzeptieren wir den ungleichen Ausgang des Wettkampfs.
Sport und Lehre
Fabienne Peter (38, links) ist die erste lizenzierte trans Frau im Schweizer Eishockey. Nach ihrer Transition spielte Peter von 2018 bis 2020 im Frauenteam des EHC Basel. Sie ist eine der wenigen trans Sportler:innen, die in der Schweiz in der Öffentlichkeit stehen. Sie leistet Aufklärungsarbeit, indem sie etwa bei Schulbesuchen ihre Geschichte erzählt. Peter lebt im Kanton Baselland, arbeitet beim Kanton Basel-Stadt und spielt immer noch Eishockey.
Karolin Heckemeyer (46) ist Sportsoziologin und Dozentin an der Fachhochschule Nordwestschweiz, wo sie angehende Lehrpersonen im Bereich Bewegung und Sport ausbildet. Heckemeyer forscht an der Schnittstelle von Geschlechterstudien und Sport.
Literatur:
Karolin Heckemeyer: «Leistungsklassen und Geschlechtertests. Die heteronormative Logik des Sports». Bielefeld 2018.
Katrina Karkazis und Rebecca Jordan-Young: «Testosterone. An Unauthorized Biography». Cambridge 2019.
Filme:
Julia Fuhr Mann: «Queer gewinnt. Eine Sport-Utopie». 2023. Zu sehen unter www.3sat.de/film/dokumentarfilmzeit.
Phyllis Ellis: «Sportlerinnen: Zu stark, um Frau zu sein». 2023. Zu sehen unter www.arte.tv.
Karolin Heckemeyer, Sie forschen zu Geschlechterfragen im Sport. Liegt es am Fokus auf Natürlichkeit, dass der Sport bis heute in einer binären Logik feststeckt, die in anderen gesellschaftlichen Bereichen bereits stärker aufgebrochen wurde?
Heckemeyer: Ja und nein. Die gesellschaftlich gängigen Normen von natürlicher Zweigeschlechtlichkeit haben sich auf jeden Fall auch in die Strukturen des Sports eingeschrieben. Gleichzeitig wird Zweigeschlechtlichkeit über die Strukturen des Sports auch produziert. Das ist für mich ein ganz wichtiger Punkt: Die Strukturen, insbesondere des Spitzensports, prägen unsere Vorstellungen davon, was Männer und Frauen sind, was Männerkörper und was Frauenkörper können. Ich finde es ausserdem wichtig, daran zu erinnern: Der moderne Leistungssport hat sich, wenn wir ihn historisch vereinfacht am Beginn der modernen Olympischen Spiele 1896 verorten, zuerst nur an Männerkörpern ausgerichtet. Und Frauen, die daran teilnehmen wollten, werden teilweise bis heute immer wieder marginalisiert. Fabienne, du kennst das sicher aus dem Eishockey …
Peter: Ja, selbst innerhalb desselben Eishockeyvereins werden Frauen- und Männerteams zum Teil anders behandelt: Die Männer kriegen je nach Liga eine Entschädigung von bis zu mehreren Hundert Franken im Jahr. Die Frauen desselben Vereins erhalten nichts oder zahlen gar Beiträge fürs Training – auch wenn sie in einer höheren Liga spielen. Den Männern wird die Ausrüstung gestellt und die Sponsorengelder fliessen mehrheitlich zu ihnen. Auch das Publikum geht eher an die Spiele der Männer.
Sie haben vor Ihrer Transition in Männereishockeyteams, danach im Frauenteam des EHC Basel gespielt. Sie haben also den direkten Vergleich.
Peter: Genau. Aber in den Männerteams war ich nicht so beständig, da habe ich immer wieder Pausen eingelegt, weil ich mich nie so richtig wohlfühlte. Heute bin ich auch in männerdominierten Gruppen ganz entspannt.
Welches sind die grössten Unterschiede?
Peter: Anders als bei den Männern ist der Bodycheck, also der harte Körpereinsatz, bei den Frauen in der Schweiz nicht erlaubt. Du darfst drücken oder abdrängen, solange es um den Puckgewinn geht, nicht aber auf dem offenen Eis. Es gibt aber langsam etwas Bewegung in dieser Sache: In Schweden dürfen die Frauen seit kurzem auch checken. Spannend ist, dass dadurch die Zahl der Hirnerschütterungen abnahm – was wohl daran liegt, dass man stabiler auf den Schlittschuhen steht, wenn man davon ausgeht, dass man gecheckt werden könnte. Dabei hatte man das Checkingverbot eigentlich eingeführt, um das Verletzungsrisiko zu reduzieren. Der zweite grosse Unterschied bei den Frauen ist der Helm: Dieser muss im Gesichtsbereich ein Gitter haben.
Unterschiedliche Ausrüstungen und Regeln in Männer- und Frauenkategorien gibt es in verschiedenen Sportarten. Wieso ist das so, Karolin Heckemeyer?
Heckemeyer: Das Beispiel aus dem Eishockey zeigt, dass mit solchen Regeln die Vorstellung verbunden ist, dass Frauenkörper fragiler und verletzungsanfälliger sind als Männerkörper. Aber es wird damit auch eine Hierarchisierung hergestellt: Männerkörper gelten als leistungsfähiger. Beim Kugelstossen werden den Geschlechtern zum Beispiel unterschiedliche Gewichte zugeteilt: 7,26 Kilogramm schwere Kugeln für die Männer, 4 Kilogramm schwere für die Frauen.* Fairness würde für mich nun aber nicht bedeuten, dass alle das gleiche Gewicht stossen müssten. Es gibt sicher Frauen, die eine 7,26-Kilogramm-Kugel wuchten könnten, genauso Männer, für die 4 Kilogramm geeigneter wären. Hier zeigt sich, dass die blosse Einteilung in Männer- und Frauenwettbewerbe unzureichend ist.
Liegt in der Vorstellung, dass Frauenkörper per se schwächer und schutzbedürftig sind, auch die Begründung für Ausschlüsse von inter und trans Personen aus der Frauenkategorie?
Heckemeyer: Diese Vorstellung begleitet den modernen Sport seit langem: Frauenkörper sollen vor unterschiedlichen Dingen geschützt werden. Wir finden dieses Muster etwa in den fünfziger und sechziger Jahren in der Debatte über Frauen im Fussball. Es gab in Deutschland bis 1970 ein sogenanntes Frauenfussballverbot, unter dem Vorwand, Weiblichkeit schützen zu wollen. Konkret wollte man Frauen davor schützen, dass sie ihren Körper verunstalten und für sportliche Höchstleistungen «missbrauchen». Ähnliche Beispiele finden sich auch in anderen Sportarten. In den aktuellen Debatten geht es hingegen um den Schutz von ganz spezifischen Frauen, und zwar von cis-geschlechtlichen oder endogeschlechtlichen Frauen, also von Athletinnen, deren Körper als eindeutig weiblich gilt. Sie sollen vor Frauenkörpern geschützt werden, die den medizinisch-biologischen Kriterien des Sports nicht entsprechen – und dazu gehören inter und trans Frauenkörper.
Die Aufregung und der Hass in den Debatten um die trans Paraathletin Valentina Petrillo oder um die olympische Boxerin Imane Khelif, in deren Fall die Öffentlichkeit spekulierte, ob sie trans oder inter sei, waren so intensiv, dass man den Eindruck gewinnt: Hier geht es um viel mehr als um die Teilnahme an einem sportlichen Wettbewerb.
Peter: Ich habe in letzter Zeit versucht, diese Debatten zu meiden, weil ich finde, sie sind stark aufgeheizt. Es gibt klare Pro- und Kontralager und nichts dazwischen. Aus diesem Grund verzichte ich mittlerweile vollständig auf Social Media und diskutiere meine Meinung lieber persönlich bei einem Bier und einem Apéroplättli. Eigentlich sollte es doch darum gehen, wie wir zusammenleben wollen und respektvoll aufeinander zugehen können. Stattdessen fühlt es sich für mich so an, als müsste ich ein Lager wählen und dann alle damit verbundenen Erwartungen erfüllen, die zum Teil sehr überhöht sind.
Heckemeyer: Am Beispiel Imane Khelif beschäftigt mich die Wucht, mit der diese Person zu einer Nichtfrau erklärt wird. Das kann ich so nicht stehen lassen, das ist für mich menschenverachtend.
Peter: Ich frage mich, ob sich wirklich eine Mehrheit der Menschen für diese Debatten interessiert. Ich spiele aktuell in einem gemischten Plauschteam mit Menschen unterschiedlicher politischer Ausrichtungen Eishockey, und meine ganz persönliche Erfahrung im Alltag ist, dass mein Geschlecht niemanden interessiert.
Heckemeyer: Ich finde es wunderbar, dass du diese Erfahrung machst. Die mediale Berichterstattung und auch die Regeln internationaler Sportorganisationen zeigen jedoch, dass die Debatte wichtig ist.
Fabienne Peter, nach Ihrer Transition 2018 haben Sie beim Dachverband des Schweizer Eishockeys angefragt, ob Sie im Frauenteam des EHC Basel spielen können. Der Verband hat daraufhin das Reglement angepasst: Seither sind trans Frauen im Schweizer Eishockey zugelassen. Gab es kritische Fragen oder Bemerkungen, als Sie damals zum Frauenteam stiessen?
Peter: Nein, erstaunlicherweise überhaupt nicht.
Wie erklären Sie sich, dass es bei Ihnen kein Problem war, während die öffentlichen Debatten gerade ganz anders verlaufen?
Peter: Ich glaube, zum einen bin ich einfach nicht so wichtig, vom sportlichen Aspekt her. Und ausserdem habe ich nichts eingefordert, sondern nachgefragt, ob es für mich als trans Frau eine Möglichkeit gebe, Eishockey zu spielen. Ich habe selbst vorgeschlagen, dass sich der Verband an den Richtlinien des IOC, des Internationalen Olympischen Komitees, orientiert – was dieser dann auch getan hat.
Heckemeyer: Deine Geschichte zeigt in der Tat, dass geschlechterinklusiver Sport möglich ist. Es gibt immer wieder positive Beispiele in ähnlichen Situationen – gerade dann, wenn es um kleinere Kontexte und einzelne Vereine geht. Es gibt also nicht nur Widerstand, sondern auch viele Akteur:innen, die da eine grosse Offenheit zeigen. Zugleich finde ich es ganz wichtig, darauf hinzuweisen, dass es in Fällen wie jenen von Khelif oder Petrillo um internationale Sportorganisationen geht, die sehr viel Macht haben. Da kann es nicht angehen, dass trans, inter und nichtbinäre Athlet:innen als Bittsteller:innen auftreten müssen – es geht schlichtweg um deren Recht, im Sport zu partizipieren.
Wie unterscheidet sich der Diskurs in der Öffentlichkeit je nachdem, ob es um trans, inter oder nonbinäre Personen geht?
Heckemeyer: Ich glaube, es gibt Parallelen in den Debatten; denn es geht im Sport immer um die Frage, wer in die zwei Kategorien passt und wer nicht. Das Interessante bei Personen, die sich als nonbinär verstehen und in keiner der beiden Kategorien antreten wollen, ist erst einmal, dass die ganzen körpergeschlechtlichen Elemente wie etwa der Testosteronwert gar nicht diskutiert werden. Vielmehr geht es da um die Perspektive von Menschen, die sagen: Wir identifizieren uns nicht mit den beiden Kategorien, die angeboten werden. In den USA gibt es zum Beispiel eine Bewegung nonbinärer Personen, die für sich eine dritte Startkategorie bei Laufwettbewerben fordern.
Bei inter oder trans Personen wird die Debatte fremdbestimmter geführt?
Heckemeyer: Genau. Wenn wir von Läuferinnen wie Caster Semenya oder Dutee Chand sprechen, dann ist mir wichtig zu betonen: Sie haben sich nie als inter Personen identifiziert, sondern sich immer als Frauen verstanden. Sie wurden aber vom internationalen Leichtathletikverband zu inter Athlet:innen gemacht, pathologisiert. Spannend finde ich, dass sich praktisch niemand dafür interessiert, welche Chancen eigentlich trans Männer im Leistungssport haben – es geht fast ausschliesslich um trans Frauen. Zahlreiche Verbände haben nun die Regel eingeführt, dass nur trans Athletinnen starten dürfen, die vor dem zwölften Lebensjahr transitioniert sind.
Peter: Da medizinische Massnahmen selten so früh eingeleitet werden, bedeutet dies faktisch den Ausschluss von trans Personen aus dem Wettkampfsport – was ich sehr bedauere.
Heckemeyer: Übrigens hat auch der Internationale Schachverband diese Regel eingeführt.
Dass es beim Schach Männer- und Frauenkategorien gibt, klingt erst mal absurd – gleichzeitig entlarvt diese Reaktion, dass es in anderen Sportarten weniger absurd wirkt. Was sagen Sie zur oft geäusserten Frage, ob es nicht statistisch erwiesen sei, dass Männer körperlich stärker seien als Frauen?
Peter: Wie stärker, in Bezug auf was?
Heckemeyer: Dem schliesse ich mich voll und ganz an – in Bezug auf was stärker? Ich denke, diese Frage wird meist nur gestellt, um zu rechtfertigen, dass wir im Sport die Kategorien Mann und Frau verwenden. Dabei wäre die Frage doch eher: Wen stecken wir in diese Kategorien?
Männlichkeit wurde und wird nicht geprüft. Die Frage, wer in welcher Kategorie starten darf, ist also immer die Frage, wer bei den Frauen starten darf. Das wurde in der Geschichte des Sports unterschiedlich beantwortet: etwa durch das Abtasten von Geschlechtsteilen, mit Chromosomentests oder durch die Messung des Testosteronwerts. Fabienne Peter, können Sie etwas zu Ihren Erfahrungen mit Testosteron sagen?
Peter: Seit der Hormonersatztherapie, das heisst, seit ich Östrogen zu mir nehme, bewegt sich mein Testosteronwert im unteren Bereich der Frauen. Seither ist meine Kraft sehr stark zurückgegangen. Ich merke es unter anderem in der Feuerwehr: Wenn ich da die Ausrüstung trage und dazu noch mit einem Kollegen eine sechzig Kilogramm schwere Puppe aus einem Haus ziehen soll, ist mir das irgendwann zu viel. Es fällt mir auch auf, wenn ich mit meinem siebzehnjährigen Sohn Eishockey spiele: Er hat mehr Kraft und ist leistungsfähiger als ich, obwohl wir ähnlich viel trainieren.
Heckemeyer: Was du beschreibst, empfinden viele trans Athletinnen ähnlich. Das ist eine körperliche Realität, und ich würde nie sagen, dass Hormone im Sport keine Bedeutung haben. Mir ist aber wichtig, der Frage nachzugehen, wann Testosteron herangezogen wird, um Ausschlüsse aus dem Sport zu legitimieren.
Ist die Wirkweise von Testosteron im Sport nicht viel komplexer, als es etwa ein klar definierter Grenzwert suggeriert?
Heckemeyer: Zum Thema Testosteron ist vor ein paar Jahren ein sehr gutes Buch erschienen: «Testosterone. An Unauthorized Biography». Darin beschäftigen sich die Autorinnen Katrina Karkazis und Rebecca Jordan-Young auch mit der Wirkung des Hormons im Sport. Sie kommen zum Schluss, dass die Frage, ob Testosteron ein leistungsbestimmender Faktor ist, sehr stark von der Sportart und der Bewegungsform abhängt. Klar ist, dass es nicht den einen kausalen Zusammenhang zwischen sportlicher Leistungsfähigkeit und Testosteron gibt. Die Autorinnen behaupten aber auch nicht, Testosteron habe keinen Einfluss auf die sportliche Leistung.
Peter: In der vorletzten Jahreskontrolle meiner Blutwerte hat mir der Endokrinologe mitgeteilt, dass mein Testosteronwert mittlerweile so niedrig sei, dass er, wenn ich keinen Sport treiben würde, eine Testosterongabe prüfen würde.
Und das geht also nicht?
Peter: Sobald ich Liga spiele, das heisst, lizenziert bin, zählt es als Doping, wenn ich Testosteron einnehme – das ist also ein absolutes No-Go.
Der Testosteronwert wird nicht bei allen Frauen gemessen, sondern nur bei Personen, deren Weiblichkeit infrage gestellt wird.
Heckemeyer: Genau. Ausserdem: Wenn Testosteron ein leistungsbestimmender Faktor ist, müsste man auch überlegen, wie man damit in der Leistungsklasse der Männer umgeht. Für die Teilnehmerinnen der Frauenkategorie gab es eine Zeit lang ein obligatorisches Geschlechterverifikationsverfahren, bei dem man ein Weiblichkeitszertifikat erhielt: beim Internationalen Leichtathletikverband bis 1990 und beim IOC bis 1999. Aktuell werden aber nur ausgewählte, unter Verdacht stehende Körper getestet. Bei Athletinnen wie Caster Semenya oder Dutee Chand geht es eben nicht nur um deren erbrachte Leistung, sondern auch um ihr körperliches Erscheinungsbild – und dabei spielt eine rassisierte Vorstellung von Geschlecht eine zentrale Rolle. Denn oft sind es Schwarze Athlet:innen und Athlet:innen of Color, die unter Verdacht geraten. Das hat mit der kolonialen Geschichte zu tun, mit einer entmenschlichenden Perspektive auf Schwarze Körper – wo dann auch wieder die paternalistische Vorstellung der Schutzbedürftigkeit greift, die vor allen Dingen weisse, weibliche Normkörper schützen will.
Wie könnte man Leistungssport inklusiver gestalten? Bräuchte es eine dritte Geschlechtskategorie, sollten wir uns eher an Gewicht oder Grösse orientieren, oder müsste man die Teilnehmer:innen je nach Sportart sowieso ganz unterschiedlich einteilen?
Peter: Ich würde mir wünschen, dass wir den Leistungssport weniger wichtig nehmen und stattdessen mehr auf Bewegungsförderung und die gesellschaftlichen Funktionen des Sports fokussieren. In der Breite, im Plauscheishockeyteam: Da ist es gemischt und man hat Spass zusammen. Aber die Strukturen basieren halt auf dem Ligabetrieb, in dem es immer darum geht, zu selektionieren.
Heckemeyer: Ich finde es auch wichtig, den sogenannten Breitensport und die Möglichkeiten, die da bestehen, nicht aus dem Blick zu verlieren. Gleichzeitig gibt es auch dort sehr viele ausschliessende Zusammenhänge. Eine dritte Leistungskategorie im Kontext von Geschlecht ergibt meiner Meinung nach nur dann Sinn, wenn es eine selbstbestimmte Kategorie ist, so wie sie beispielsweise nonbinäre Athlet:innen zum Teil erfolgreich eingefordert haben. Mich interessieren im Moment die Fragen: Wie können wir uns Sport anders vorstellen? Welche Funktion kann dieser für Menschen haben? Und wie können wir Fairness anders denken?
* Korrigenda vom 3. Oktober 2024: In der gedruckten Ausgabe sowie der früheren Onlineversion dieses Textes wurde das Gewicht der Kugel bei den Männern fälschlicherweise mit 6,25 Kilogramm angegeben.