Gesundheit für alle!

«Ich habe gerade meine Krankenkassenprämie bezahlt!», sagt mir eine Bekannte mit leuchtenden Augen. Sie ist sichtlich erleichtert. Seit zehn Jahren lebt sie in der Schweiz und arbeitet Vollzeit als Pflegehelferin in einem Altersheim im Kanton Aargau. Ihr Lohn: 3800 Franken brutto. Da sind 350 bis 600 Franken, die für die Krankenkassenprämie anfallen, ein grosser Fixkostenpunkt. Und er wird grösser werden: Wie kürzlich bekannt geworden ist, steigen die Prämien auch 2024: dieses Mal gar um 8,7 Prozent!

Angeblich ist das Schweizer Gesundheitssystem solidarisch und sozial. Die Kosten tragen wir alle gemeinsam, ja. Aber mit einer Kopfprämie. Das heisst: Christoph Blocher, mit einem Familienvermögen von vierzehn bis sechzehn Milliarden Franken einer der reichsten Menschen der Schweiz, bezahlt die gleiche Prämie wie meine Bekannte, die Pflegehelferin mit einem Einkommen von 3800 Franken. Sollte meine Bekannte ihre Prämie nicht bezahlen können, wird sie in letzter Konsequenz betrieben und verschuldet sich. Ist das solidarisch?

Weil viele Geringverdienende die hohen Prämien fürchten, wählen sie die Franchise mit dem Maximalbetrag von 2500 Franken. Das führt zu tieferen Prämien, jedoch setzen sie damit auch ihre Gesundheit aufs Spiel: Da sie das Geld nicht haben, um anfallende Gesundheitskosten zu bezahlen, gehen sie gar nicht erst zum Arzt. Paradox: Ärmere Menschen beteiligen sich vollumfänglich an den Gesundheitskosten dieses Landes, beziehen aber selbst weniger häufig Leistungen. Ist das sozial? 

Solidarisch und sozial wäre ein Gesundheitssystem, dessen Kosten wir gemeinsam tragen, ja. Aber nicht pro Kopf, sondern nach Einkommen und Vermögen. Wer mehr hat, soll auch mehr geben. Ganz einfach.

Momentan geht die Diskussion jedoch in eine total entgegengesetzte Richtung: Nathalie Rickli, SVP-Regierungsrätin und Vorsteherin der Gesundheitsdirektion des Kantons Zürich, schlägt die Abschaffung der «obligatorischen Krankenversicherung» vor. Somit würden wir offiziell ein Zweiklassensystem in der Gesundheitsversorgung einführen. Folglich könnte eine Person in der Schweiz, die keine Prämien bezahlen kann und nicht versichert ist, von einem Spital abgewiesen werden. Dieser Vorschlag beweist lediglich eines: dass Ricklis Partei dazu bereit ist, die Gesundheit und letztlich das Leben und das Wohl der ärmeren Menschen zu gefährden. Dazu passt, dass Rickli erst kürzlich den Kreis der Personen, die im Kanton Zürich Anspruch auf Prämienverbilligungen haben, enger gezogen hat.

Wen überraschts: Die SVP hat keine Achtung für das Leben und das Leid der ärmeren Menschen. In ihrer Politik zielte sie schon immer auf die Schwächsten der Gesellschaft. Es wird Zeit, zurückzuschlagen: Wählen wir links am 22. Oktober. Auch für eine Gesundheitspolitik, die alle schützt.

An dieser Stelle lesen Sie immer freitags einen Text unserer Kolumnistin Migmar Dolma. Dolma ist Gewerkschafterin bei der Syna, im Vorstand des postmigrantischen Thinktanks Institut Neue Schweiz und aktiv in der tibetischen Unabhängigkeitsbewegung. Sie ist 32 Jahre alt und lebt in Olten.

WOZ Debatte

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Kommentare

Kommentar von RegulaEugster

Mo., 16.10.2023 - 11:47

Kurz nachdem mein Vater Präsident der ansässigen Sektion der OSKA-Krankenkasse geworden war, durfte ich mit ihm nach Lüchingen fahren zu Zellwegers. Sie wohnten an der Landstrasse in einem alten Haus, sie selber ein altes Ehepaar. Es fand eine Sektionsfusion statt, Lüchingen schloss sich Altstätten an. Die neue Sektion fand seither zu einem guten Teil in unserer Wohnstube statt.
Ich durfte also mit dem Vater zu Zellwegers. Ich war klein, im Kindergartenalter. Es war eher ein bisschen langweilig dem Gespräch zuzuhören. Allerdings lagen viele Papiere auf dem Tisch, auch eine Geldkassette und verschiedene Stempel. Frau Zellweger war auch am Gespräch beteiligt und wies einmal auf diesen, einmal auf jenen Stapel der Papiere oder auf die Geldkassette. Die war aus Bakelit und enthielt mehrere Geldrollen. Die Noten lagen sicher im uneinsehbaren Unterteil. Mein Vater nahm alles mit. Zellwegers halfen mit, all die Papiere, Couverts und weiteren Bürodinge ins Auto zu tragen. Auch ich durfte einen kleinen Stapel tragen. Zuhause kam alles auf den Schreibtisch in der Wohnstube. Die Mutter war nicht gerade begeistert. Sie wusste, dass da einiges auf sie zukommen würde. Die Schreibmaschine stand im Koffer neben dem neuen Pult. Zellwegers hatten noch alles von Hand geschrieben. Meine Mutter durfte mit Maschine. Eine Hermes mit Farbbändern. Schwarz und rot. Sie hatte nur die Krankenscheine auszustellen, die man zum Arzt mitbrachte, um diesem gegenüber sicherzustellen, dass die Krankenkasse die Kosten übernehmen würde. Und sie nahm den Teil der Prämien, die noch persönlich einbezahlt wurden, entgegen und quittierte sie. Viele Leute erledigten dies bereits per Post. Die Buchhaltung wurde zum Teil laufend von meiner Mutter gemacht, die Quartals- und Jahresabschlüsse von einem Buchhalter. Die Mutter erledigte die Geschäfte, die im Kundenkontakt anfielen, der Buchhalter die übergeordneten und die Angelegenheiten, die mit Post und Bank zu tun hatten. Einige Leute kamen zu uns, durch den Korridor in die Stube, und warteten, bis meine Mutter den Schein ausgestellt oder den Prämienbetrag quittiert hatte. Es gab auch Leute, die den Krankenschein per Telefon bestellten. Die Mutter kaufte einen grau-braunen Läufer quer durch den Korridor, damit nicht der ganze Teppich verschmutzt wurde von all den Schuhen, die bei uns ein- und ausgingen. Von Zeit zu Zeit wurde der Läufer geklopft und gewaschen und an der Teppichstange im Hinterhof trocknen gelassen. Dies konnte nur eine Übergangslösung sein, bis das Krankenkassenbüro im Amtshaus eröffnet wurde. Der Buchhalter hatte seine bisherige Stelle gekündigt und übernahm nun das ganze Büro der OSKA Sektion Altstätten-Lüchingen-Hinterforst. Mit dem Telefon war es für viele nicht mehr nötig, selber herzukommen, das ging auch von weiterher. Meine Mutter arbeitete tage- oder stundenweise im Büro mit, sobald alle Kinder im Schulalter waren. Als Jugendliche bekam auch ich dort einen Ferienjob, rechnete Krankenscheine ab, berechnete die Selbstbehalte und den Franchiseanteil. Jährlich gab es eine Mitgliederversammlung, an der die Finanzlage übersichtlich dargestellt wurde. Anteil Ärzte, Spitäler, Kuraufenthalte, medizinische Geräte, Medikamente. Und die Lohngelder für den Bürochef und die Angestellten. Die Prämieneinnahmen. So lief das jahrelang. Selber war ich immer noch in dieser Krankenkasse versichert. Und ich kannte mich aus, wusste, wie das lief. Heute ist das nicht mehr der Fall. irgendwann hiess sie nicht mehr OSKA Krankenkasse sondern SWICA Krankenversicherung. Eine Einladung an die Hauptversammlung erhielt ich längst nicht mehr. Ein Büro habe ich nie mehr aufgesucht. Die Prämien einbezahlt, ja, das schon, immer mehr. Und immer weniger verstanden wozu, da ich glücklicherweise kaum krank war.