Noch im Dezember hiess es, die Verabschiedung der neuen EU-Lieferkettenrichtlinie sei bloss noch Formsache. Nach Jahren des Feilschens auf höchster Ebene hatten sich Kommission, Parlament und Rat auf ein neues Gesetz geeinigt, das Firmen ab einer bestimmten Grösse dazu verpflichtet, die Einhaltung von Menschenrechts- und Umweltstandards unter ihren Zulieferfirmen sicherzustellen. «Corporate Sustainability Due Diligence Directive» (CSDDD) wird die Richtlinie etwas umständlicher auch noch genannt, und sie soll neue internationale Massstäbe bei der Konzernverantwortung setzen.
Als am Freitag in Brüssel dann aber die Unterschriften der Mitgliedstaaten unter das Dokument gesetzt werden sollten, verschwand das Traktandum im letzten Moment von der Tagesordnung. Denn die notwendige qualifizierte Mehrheit – die Zustimmung von mindestens 15 der 27 EU-Länder, die zudem mindestens 65 Prozent der EU-Bevölkerung repräsentieren – ist nicht mehr gewiss: Deutschlands FDP hat sie seit Jahresbeginn gezielt ins Wanken gebracht.
Nachdem das Parteipräsidium die Richtlinie Mitte Januar in einem Beschlusspapier unter anderem als «völlig realitätsfern» und «unverhältnismässige bürokratische Belastung» gebrandmarkt hatte, blockierte das FDP-Spitzenpersonal in der Ampelregierung, namentlich Finanzminister Christian Lindner und Justizminister Marco Buschmann, Deutschlands Zustimmung. Als wäre diese urplötzlich vom Himmel gefallen – und nicht unter Mitarbeit der eigenen Regierung während Jahren ausgearbeitet worden.
Einige grosse internationale Konzerne hatten sich sogar offen für eine strenge Regulierung ausgesprochen, darunter etwa Ikea oder Unilever. Andere hingegen bekämpften die Richtlinie mit aggressivem Lobbying. Sie könnten nun damit durchkommen: Enthält sich nämlich Deutschland, ist die Unterschrift der ebenfalls bevölkerungsreichen Länder Frankreich und Italien zwingend. Aber gerade in Rom signalisierte Giorgia Melonis rechte Regierung zuletzt ebenfalls Zweifel. Der verschobene Entscheid soll nun am Mittwoch dieser Woche fallen, heisst es in Brüssel.
So drohen unzählige engagierte Befürworter:innen, von NGOs über linke Parteien bis hin zu aktivistischen Kollektiven in ganz Europa, um das Ergebnis ihrer harten Arbeit gebracht zu werden. Und Deutschlands FDP hätte sich einmal mehr erfolgreich als Saboteurin des Koalitionsvertrags betätigt, den sie 2021 mit SPD und Grünen ausgehandelt hat: «Wir unterstützen ein wirksames EU-Lieferkettengesetz», ist dort zu lesen. Nun hat es aber den Anschein, als ob die vorliegende Richtlinie der FDP dann doch etwas zu wirkungsvoll wäre.