Konzernverantwortung: Wieder einmal unter Druck

Nr. 50 –

Die EU will Unternehmen zur Einhaltung von Menschen- und Umweltrechten zwingen. Die Schweiz wird nachziehen müssen. Doch die Strategie des Bundesrats ist altbekannt: hinauszögern und zuwarten.

Jetzt ist die Schweiz bereits wieder «unter Zugzwang», «der Druck der EU wächst», Firmen müssen sich «auf strengere Regeln einstellen». Die Schlagzeilen zu Beginn des Monats klangen konsterniert. Sie machten deutlich, wie weit die Schweiz in Sachen Konzernverantwortung bereits ins Hintertreffen geraten und wieder zum Reagieren auf Impulse von aussen verdammt ist. An diesem Punkt steht das Land, bloss zwei Jahre nachdem es mit der Abstimmung über die Konzernverantwortungsinitiative (Kovi) für einmal mit dem internationalen Trend hätte Schritt halten können. Zumindest in Europa geht dieser nämlich deutlich in Richtung einer stärkeren Regulierung von Konzernen und deren Lieferketten.

«Die Kovi hatte eine Leuchtturm­wirkung für Europa.»
Miriam Saage-Maass, Legal Director beim EECHR

Für Nervosität sorgen in der Schweiz insbesondere zwei konkrete Vorhaben, bei denen die EU zuletzt mächtig vorangekommen ist. Bereits verabschiedet ist eine Ausweitung der Berichterstattungsvorschriften für Unternehmen: Schon bald sind mehr Firmen als bislang dazu verpflichtet, umfangreicher und detaillierter als bis anhin über ihre Tätigkeiten in Bezug auf Sozial-, Umwelt- und Menschenrechte zu berichten. Die Vorlage ist grundsätzlich vergleichbar mit dem Kovi-Gegenvorschlag, der seit Beginn dieses Jahres in Kraft ist, geht aber in einigen Punkten etwas weiter. Für grössere Aufregung sorgt aber eine Richtlinie zu den Sorgfaltspflichten von Firmen in Bezug auf Menschenrechte und Umwelt. Vorgesehen sind neue Aufsichtsbehörden, Sanktionierungskompetenzen und Haftungsmechanismen. Diese gelten auch für Tochtergesellschaften und Geschäftspartner:innen – sowohl im In- wie im Ausland und damit auch in der Schweiz. Im nächsten Jahr soll sie verabschiedet und dann von den Mitgliedstaaten innerhalb von zwei Jahren ins nationale Recht überführt werden.

«International abgestimmt»

In einem Bericht kam das Bundesamt für Justiz Ende November zu einem deutlichen Befund: «Das Schweizer Recht stellt in verschiedener Hinsicht weniger strenge Anforderungen als die Richtlinienentwürfe.» Vor allem in Bezug auf die Sorgfaltspflichten zeichnet sich demnach ab, dass diese auch Unternehmen in der Schweiz tangieren, sofern diese im EU-Raum mindestens 150 Millionen Euro Umsatz machen. Und aufgrund der grenzüberschreitenden Verflechtung der hiesigen Wirtschaft dürften auch «Lieferanten, insbesondere KMU» von den Sorgfaltspflichten betroffen sein. Mögliche Wettbewerbsnachteile für Schweizer Firmen werden ebenfalls skizziert. Der Eindruck, der entsteht: Die Schweiz wird von der internationalen Entwicklung überrollt.

Dabei trat der Bundesrat im Kovi-Abstimmungskampf im Herbst 2020 – allen voran Justizministerin Karin Keller-Sutter – noch mit dem Hauptargument auf: Die Schweiz dürfe nicht im Alleingang vorpreschen, sie müsse stattdessen «international abgestimmt» agieren. Dass bereits drei Jahre zuvor ein weitreichendes Lieferkettengesetz in Frankreich in Kraft getreten war und etwa auch in Deutschland, den Niederlanden und Norwegen Gesetze mit vergleichbarem Ansinnen auf den Weg gebracht wurden, wird sie gewusst haben. Während aber rundherum an Lieferkettengesetzen gezimmert wurde, sollte «international abgestimmt agieren» offenbar vor allem heissen: abwarten und verzögern, bis äussere Umstände die Schweiz zwingen, sich so geringfügig wie möglich anzupassen.

Laufend zerzauste Initiative

Diese Haltung hat System. Seit über zehn Jahren gibt es hierzulande politische Bestrebungen, Unternehmen zur Einhaltung von Menschenrechten und Umweltschutz auf der ganzen Welt zu zwingen – und immer treffen sie im Bundeshaus auf die Hinhalte- und Verhinderungstaktiken der bürgerlichen Mehrheit. Zum Beispiel 2015, als der Nationalrat eine Motion zur Einführung von Sorgfaltspflichten zunächst annahm – aber nach einem Rückkommensantrag der CVP unter dem Druck der Wirtschaftsverbände doch noch ablehnte. Im selben Jahr wurde die Kovi lanciert mit dem Ziel, Unternehmen für Vergehen im Ausland in der Schweiz haftbar zu machen. Im Oktober 2015 reichten die Initiant:innen die nötigen Unterschriften ein, und während Jahren wurde in der Folge zwischen den Räten und den zuständigen Kommissionen um einen indirekten Gegenvorschlag gefeilscht.

Gemäss Umfragen genoss die Initiative in dieser Zeit durchgehend einen grossen Rückhalt in der Bevölkerung. Dies war das Verdienst des Initiativkomitees, das mit Dutzenden NGOs, Verbänden, Gewerkschaften, Parteien und auch kirchlichen Organisationen sehr breit abgestützt war, teils weit bis ins bürgerliche Lager hinein. Das änderte aber nichts daran, dass die Initiative laufend zerzaust wurde.

Im Gegenteil. Im Sommer 2019 preschte Justizministerin Karin Keller-Sutter sogar mit einem gänzlich wirtschaftshörigen Vorschlag in die Debatte. Unternehmen sollten demnach lediglich zu einer jährlichen Berichterstattung in Bezug auf Menschenrechts- und andere Themen verpflichtet werden, während Haftungsbestimmungen gänzlich fehlten und Sorgfaltspflichten nur begrenzt vorgesehen waren. Das Parlament entschied am Ende in ihrem Sinne; bequemerweise aber erst nach den damals anstehenden eidgenössischen Wahlen, weil FDP-Ständerat Ruedi Noser mittels Ordnungsantrag einen finalen Verzögerungsakt vollzog. 2020 kam es dann zum Abstimmungskampf, bekanntlich einem der teuersten in der Geschichte der Schweiz. Wirtschaftsverbände und Bundesrat stemmten sich mit vollem Einsatz gegen die Kovi – und trotzdem reichte es mit 50,7 Prozent zum Volksmehr. Einzig das verpasste Ständemehr besiegelte die Niederlage.

Noch immer mobilisierungsfähig

Das positive Resultat in der Schweiz, dem Land der Banken und des Rohstoffhandels, wurde auch im Ausland mit Interesse registriert. «Es war ein wichtiges Signal für andere Kampagnen in Europa», sagt Miriam Saage-Maass, die als Legal Director beim European Center for Constitutional and Human Rights (EECHR) in Berlin die aktuellen Gesetzgebungsprozesse eng verfolgt. «Bereits in den Jahren vor der Abstimmung hatte die Kovi eine Leuchtturmwirkung», so Saage-Maass. Die dafür verantwortliche Koalition für Konzernverantwortung besteht weiterhin, und in diesem Jahr hat sie bewiesen, dass sie noch immer fähig ist zu mobilisieren: 217 000 Menschen haben innert hundert Tagen eine Petition unterschrieben, in der Bundesrat und Parlament aufgefordert werden, «ein griffiges Konzernverantwortungsgesetz» auszuarbeiten. «Die Bewegung ist noch da und das Interesse am Thema ebenfalls», sagt Rahel Ruch, Geschäftsleiterin der Koalition. Jetzt gehe es darum, den Bundesrat an sein Versprechen aus dem Abstimmungskampf zu erinnern: dass er also «international abgestimmt» vorgehen solle. So könne er etwa «ein Gesetz mit einer unabhängigen Aufsichtsbehörde und Haftungsregeln nach EU-Vorbild» schaffen, so Ruch.

Im Bericht des Justizdepartements werden verschiedene Handlungsoptionen angedeutet, die der Bundesrat jetzt habe: etwa eine Übernahme der EU-Richtlinien oder auch nur punktuelle Anpassungen. Und schliesslich sei es «auch denkbar, im Moment nichts weiter zu unternehmen», denn die grössten Schweizer Unternehmen seien ohnehin von den neuen EU-Richtlinien erfasst. «Dieser Weg ist eine Mogelpackung», sagt Rahel Ruch dazu: Aus juristischer Sicht sei nämlich klar, dass Schweizer Unternehmen mit mehr als 150 Millionen Euro Umsatz in der EU zwar der neuen Richtlinie unterstünden. Aber Haftungsklagen müssten sie nicht fürchten, denn für sie bestünde in der EU gar kein Gerichtsstand.

Was der Bundesrat Anfang Dezember ankündigte, klang dann allerdings wieder sehr stark nach Hinauszögern. Erst bis Mitte 2024 will er einen Vorschlag in die Vernehmlassung geben, was mögliche Anpassungen an die EU-Berichterstattungspflicht für Unternehmen betrifft. Und zu den EU-Sorgfaltspflichten liess er lediglich verlauten, dass die endgültige Ausformung der Richtlinie abzuwarten sei. Rahel Ruch bezweifelt, dass sich mit der neuen linken SP-Justizministerin Elisabeth Baume-Schneider neue Handlungsspielräume auftun. «An den Mehrheiten im Bundesrat hat sich ja nichts gerändert», so Ruch. Nun gehe es aus zivilgesellschaftlicher Perspektive vor allem darum, Druck aufzubauen. Und mit Blick auf die Koalition für Konzernverantwortung fügt sie an: «Die Koalition hat mit 217 000 Unterschriften gezeigt, dass sie weiterhin mobilisierungsfähig ist, wenn es nötig ist.»