Konzernverantwortung: Es droht ein «Swiss Finish»

Nr. 23 –

Ein bürgerliches Komitee lanciert die Diskussion um Konzernverantwortung neu. Ziel ist eine Anpassung an das neue EU-Lieferkettengesetz. Geht dieses weit genug? Die Frage stellt sich auch angesichts einer neuen Recherche über Glencore in Kolumbien.

Mitte-Politikerin Elisabeth Schneider-Schneiter bei einem Interview
Mitte-Politikerin Elisabeth Schneider-Schneiter will verhindern, dass NGOs das Gesetz für die Schweiz ausarbeiten. Foto: Peter Klaunzer, Keystone

Überwiegend bürgerliche Politiker:innen haben Anfang dieser Woche einen «Appell für Konzernverantwortung im internationalen Gleichschritt» veröffentlicht. Zu den Unterzeichnenden zählen mehrere Politiker:innen, die bei der Abstimmung über die Konzernverantwortungsinitiative (Kovi) im November 2020 diese noch abgelehnt hatten.

Die politischen Rahmenbedingungen haben sich seither geändert: Die EU hat Ende Mai die Einführung ihres neuen Lieferkettengesetzes beschlossen. Dieses entspricht in weiten Teilen den Forderungen der Kovi und verpflichtet Firmen in der EU, ihre Lieferketten hinsichtlich der Einhaltung von Menschenrechten und Umweltstandards zu überprüfen. Das Gesetz sieht eine Aufsichtsbehörde vor sowie die Möglichkeit, im Fall eines Verstosses zivilrechtlich zu klagen. Und es gilt für Firmen mit mehr als 450 Millionen Euro Umsatz und mit mehr als tausend Angestellten. Direkt treffen diese Kriterien innerhalb der EU bloss auf rund 4500 Firmen zu, wie die niederländische NGO Somo berechnet hat.

Auswirkungen wird das neue Gesetz aber weit über die Union hinaus haben, namentlich auch auf die Schweiz. Erstens, weil viele hiesige Firmen solche in der EU beliefern und damit zu deren Lieferkette gehören. Zweitens gilt das Gesetz explizit auch für Unternehmen mit Hauptsitz in Drittländern wie der Schweiz, sofern diese innerhalb der EU einen Nettoumsatz von 450 Millionen Euro erzielen.

Dass sich jetzt auch bürgerliche Politiker:innen für «Konzernverantwortung» einsetzen, ist also eine weitgehend obsolete Selbstinszenierung. Es ist absehbar, dass die EU bald ohnehin Druck auf die Schweiz ausüben wird, damit diese ihre Gesetzgebung den neuen europäischen Standards anpasst.

Diese gingen aber nicht weit genug, sagt Human Rights Watch. Die NGO kritisiert, dass die Umsatzschwelle viel zu hoch angesetzt sei; dass das Gesetz den Finanzsektor weitgehend ausklammere; und dass es keine Regulierung der Produkte vorsehe, die die betroffenen Firmen auf Basis ihrer Lieferketten herstellen und dann weiterverkaufen. So bleibt es etwa erlaubt, giftige Chemikalien in andere Länder zu exportieren.

Bespitzelt und abgeworben

In der Schweiz wäre es noch nicht zu spät, entsprechende Verschärfungen zu implementieren. Auch deshalb rennt das neue bürgerliche Komitee mit seinem Appell erstaunlich offene Türen ein. Glaubt man den Wirtschaftsverbänden, hängt er seit Jahren über dem Erfolgsrezept Schweiz wie ein Damoklesschwert: der «Swiss Finish» – schärfere Regeln, als von der EU vorgegeben. Die Nationalrätin Elisabeth Schneider-Schneiter, die im Vorstand von Economiesuisse sitzt, beschwört die Drohkulisse gerade wieder. Gegenüber dem «Tages-Anzeiger» sagte die Mitte-Politikerin, dass es jetzt einfach darum gehe, die Führungsrolle bei der Ausarbeitung eines Gesetzes nicht den NGOs zu überlassen; also darum, strengere Regeln zu verhindern, eben diesen Swiss Finish.

Dabei hat solche strengere Regeln anscheinend gar niemand im Sinn. Die Koalition für Konzernverantwortung, die schon die erste Kovi lanciert hatte, arbeitet zwar gerade eine zweite Initiative aus, wie das Vorstandsmitglied Isabelle Bamert mitteilt. Die Formulierung des neuen Initiativtexts soll sich aber weitgehend an der EU-Richtlinie orientieren. Und falls der Bund von sich aus ein griffiges Gesetz verabschiede, werde die Koalition ihre Initiative zurückziehen, so Bamert. Die Lösung, die sich hier gerade abzeichnet, entspräche also einem tatsächlichen Swiss Finish: erst auf Druck von aussen, mutlos, möglichst wenig Regulierung.

Ende des letzten Jahres hat eine Recherche des französischen Fachmagazins «Intelligence Online» aufgezeigt, was das für viele Anwohner:innen entlang der entsprechenden Lieferketten bedeutet. Das Magazin deckte auf, dass die Glencore-Tochter Prodeco in der kolumbianischen Provinz Cesar jahrelang mit Sicherheitsfirmen zusammenarbeitete, um lokale Kritiker:innen zweier Kohleminen auszuspionieren. Demnach hätten Spitzel Gewerkschaften, einen Bäuer:innenverband sowie eine Umweltschutzorganisation ausgehorcht. Sogar ein vertrauliches Treffen von Aktivist:innen mit dem niederländischen Botschafter in Kolumbien sei ausspioniert worden. Personen, die so als Meinungsführer:innen identifiziert worden seien, seien dann mit lukrativen Angeboten gezielt von ihrem Aktivismus abgebracht worden.

Stephan Suhner überrascht das nicht. Er ist im Vorstand der Arbeitsgruppe Schweiz-Kolumbien (Ask) und begleitet die Proteste gegen die Minen seit Jahren. «Ich war eher überrascht, dass laut der Recherche nicht noch mehr Gruppen überwacht worden sein sollen», sagt Suhner. Es sei üblich gewesen, dass Glencore Prodeco gut über die Treffen von Aktivist:innen informiert gewesen sei, auch über solche, die eigentlich vertraulich gewesen seien. Und: «Immer wieder erhielten beteiligte Aktivist:innen daraufhin Drohanrufe.»

Milliardengewinn und «grosse Armut»

Sowohl gegenüber «Intelligence Online» als auch auf Nachfrage der WOZ schreibt Glencore, dass es Routine sei, sich über lokale Politik im Umfeld von Geschäftsoperationen zu informieren. «Viele unserer Geschäftsoperationen erfolgen an Orten, wo die Bevölkerung unter grosser Armut leidet», schreibt ein Sprecher. «Das kann oftmals zu Protesten gegen die Operationen führen und die Sicherheit unserer Mitarbeitenden, Vertragspartner:innen und den Communitys gefährden.» In diesem Fall sei ein einzelner Mitarbeiter aber nicht ordnungsgemäss vorgegangen. Man habe sich, als das Management davon erfahren habe, 2018 von ihm getrennt. «Intelligence Online» behauptet dagegen, dass Dokumente eine Bespitzelung über 2018 hinaus belegen würden. Und dass auch Führungspersonen von Prodeco darüber informiert gewesen seien.

Mittlerweile hat Glencore den Betrieb in den beiden betreffenden Kohleminen eingestellt – sie seien nicht mehr rentabel genug. Der globale Rohstoffmarkt ist im Wandel, und Glencore hat ein hartes Geschäftsjahr hinter sich. 2023 erzielte der Konzern mit Sitz im Kanton Zug «nur noch» einen Reingewinn von 4,3 Milliarden US-Dollar – nach gut 17 Milliarden im Vorjahr.

Ob entsprechende Spionageaktionen überhaupt unter das Lieferkettengesetz fallen, ist unklar. In dessen Anhang sind die Rechte aufgelistet, die die betroffenen Firmen den Anwohnern und Arbeiterinnen entlang ihrer Lieferketten garantieren müssen. Verboten sind «willkürliche Eingriffe in das Privatleben, die Familie, die Wohnung oder den Schriftverkehr». Von Abhöraktionen ist keine Rede. Isabelle Bamert glaubt trotzdem, dass Firmen mit Sitz in der EU künftig für solche Spionageaktionen geradestehen müssten: «Zweifellos zeigt der Fall, wie wichtig es nun ist, auch griffige Regeln für multinationale Konzerne mit Sitz in der Schweiz zu verabschieden.»