Schweizer Identität: «Ski Heil!»
Die Sportferien sind fast überall vorüber. Schweizer Familien fuhren ins Chalet und Schulklassen befanden sich im Skilager. Ach, ist der Schweizer Nationalsport herrlich! Körperliche Betätigung und Erholung für das gesamte Bergvolk. Aber bevor ich hier noch verdächtigt werde, möchte ich klarstellen: Ja, auch ich fahre Snowboard und ja, ich kenne dieses Gefühl von innerem Frieden, wenn man auf der Bergspitze steht und mit Vorfreude auf die Piste hinunterblickt.
Das habe ich meiner Mutter zu verdanken. Als «intelligente Ausländerin» hat sie früh gemerkt, dass sie etwas ganz Zentrales erfüllen musste, wenn ihre Kinder nicht als asoziale Ausländer abgestempelt werden sollten: Ski fahren! Schon als ich neun war, kaufte sie mir ein Snowboard und schickte mich in einen privaten Tageskurs auf den Flumserberg, damit ich danach mit der Klasse ins Skilager gehen durfte. Um sich im Skilager anzumelden, war es nämlich obligatorisch, das Skifahren schon zu beherrschen. Da ergibt es auch total Sinn, wenn ich sehe, wie Schweizer Eltern ihre zweijährigen Kleinkinder auf der Piste drangsalieren, die gerade vor drei Monaten ihre ersten Schritte auf wackeligen Beinen gemacht haben. Für viele «Ausländerfamilien» jedoch ist es eine Belastung, vor allem auch eine finanzielle. Skifahren ist eine schöne jährliche Familienaktivität, wenn man ein Chalet besitzt oder jemanden kennt, der eines besitzt. Es ist schön, wenn man tausend Franken ausgeben kann für eine Wochenkarte in Laax. Die Ausrüstung alleine kostet ein Vermögen – es ist kein Zufall, dass migrantische Kinder mit normalen Hosen an einen Wintersporttag kommen und auf dem Plastiksack den Hügel runterrutschen.
Wer gehört dazu? Das Skifahren mag als banales Thema erscheinen, aber es steht für die Ausgrenzung von Ausländer:innen, eine Ausgrenzung, die auf vielen Ebenen greift und die gefährlich ist. Was bedeutet eigentlich Schweizerischsein? Vom Wintersport werden zwei Gruppen von Menschen ausgeschlossen: Die sogenannten Ausländer:innen und arme Menschen – oft überschneiden sich diese Gruppen auch. Es sind dieselben Menschen, die Opfer des erstarkenden Rechtspopulismus sind, jene, die die SVP und Konsorten sowieso lieber nicht in diesem Land haben möchten. Nur ein aktuelles Beispiel: Nach deutschem Vorbild will die SVP Asylbewerber:innen statt Geld nur noch Bezahlkarten aushändigen. Die Asylbewerber:innen sollen über ihr weniges Geld nicht mehr selber verfügen können, in den Kantonen St. Gallen und Basel-Stadt wurden entsprechende Vorstösse eingereicht. Auf ihrer Webseite behauptet die SVP, es werde «Asylshopping» betrieben. Man findet dort eine Darstellung, die diese Behauptung unterstreichen soll: Mehrere Bündel von Hunderternoten mit der Aufschrift «Steuergelder» und eine braune Hand, die danach greift. Das Geld ist auch hier ein Hebel, um Menschen auszuschliessen.
Ich habe Glück: «Ich kann Snowboard fahren», werde ich sagen, falls die SVP mich eines Tages ausbürgern will. Vielleicht reicht das ja, dass sie mir das Schweizerinsein trotz meines Namens abkaufen.
An dieser Stelle lesen Sie immer freitags einen Text unserer Kolumnistin Migmar Dolma. Sie ist Gewerkschafterin, Vorstandsmitglied des postmigrantischen Thinktanks Institut Neue Schweiz und aktiv in der tibetischen Unabhängigkeitsbewegung. Dolma ist 32 Jahre alt und lebt in Zürich.