Keine Klimakrise im klimatisierten Gerichtssaal
Und wieder einmal steht ein Klimaaktivist vor Gericht. Es ist das erste Mal, seit der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) die Schweiz für ihre Tatenlosigkeit im Bereich des Klimaschutzes gerügt hat. Ob das wohl etwas am Umgang der Justiz mit zivilem Ungehorsam angesichts der Klimakrise verändert?
Im September 2020 besetzten rund 400 Menschen den Bundesplatz in Bern, um auf die Dringlichkeit der Klimakrise aufmerksam zu machen. Zeitgleich wurde im Parlament über das CO2-Gesetz debattiert. Als das friedliche Camp mitten in der Nacht polizeilich geräumt wurde, ketteten sich einige Aktivist:innen aneinander, klebten sich fest und leisteten passiven Widerstand. Das passte der Berner Staatsanwaltschaft nicht. Sie verschickte Strafbefehle an Dutzende Beteiligte. Die Vorwürfe: Verhinderung einer Amtshandlung und Ungehorsam gegen eine amtliche Verfügung.
Einige der Empfänger:innen wehrten sich und stehen nun vor Gericht. In einem ersten «Pilotprozess» wurde ein Aktivist im November 2022 verurteilt – die Angeklagten hatten zuvor noch erfolglos versucht, alle Verfahren zusammenzulegen. Die Justiz bevorzugt offenbar die Strategie von «teilen und herrschen». Ein Jahr später folgte der nächste Schuldspruch. Heute – im dritten Prozess – sass nun ein 28-jähriger Aktivist und soziokultureller Animator auf der Anklagebank des Regionalgerichts Bern-Mittelland. Bereits vor drei Jahren wurde er in Zürich für die Blockade der Quaibrücke im Juni 2020 verurteilt. Jetzt kommen der zivile Ungehorsam auf dem Bundesplatz sowie eine Farbaktion vom Februar 2023 am Sitz der Credit Suisse in Genf dazu.
In beiden Fällen spricht der Einzelrichter den jungen Mann schuldig. Der passive Widerstand habe eine Schwelle überschritten, über der er nicht mehr straffrei bleibe, begründet er sein Urteil. Selbst den kreativen Verteidigungsversuch, dass die Credit Suisse seit wenigen Wochen juristisch nicht mehr existiere und deswegen auch nicht mehr geschädigt sein könne, lässt der Richter nicht gelten. Ein Strafantrag bleibe auch dann bestehen, wenn die mutmasslich geschädigte (juristische) Person nicht mehr existiere.
Die Frage der Legitimität zivilen Ungehorsams bleibt dabei aussen vor: Muss die Gesellschaft Protestcamps, Strassenblockaden oder Farbaktionen erdulden, wenn Menschen damit auf die Gefahren der Klimakrise und die Zerstörung unserer Lebensgrundlage aufmerksam machen? Dazu äussert sich der Richter kaum – ausser mit der schwammigen Floskel, dass dabei «legitime Ziele mit illegitimen Mitteln» verfolgt würden. Die Motivation mindere zwar die Strafe, doch das unerlaubte Mittel dürfe nicht ungestraft bleiben. Und auch der EGMR erlaube in ähnlichen Fällen geringe Sanktionen.
So verhallt im angenehm klimatisierten Gerichtssaal das Plädoyer des Aktivisten: Die demokratischen Prozesse würden der Dringlichkeit der Krise nicht gerecht. Und die Schweizer parlamentarische Politik bewege sich – im Angesicht überwältigender wissenschaftlicher Fakten – zu langsam. Man ist versucht hinzufügen, dass dasselbe auch für die Justiz gilt.