Russland: Das Ende der Kunstfreiheit
Sie sei im Land geblieben, um «für ein anderes Russland zu kämpfen», hatte Jewgenija Berkowitsch stets betont, als ihr Freund:innen rieten, sich mit ihrem Mann und den beiden Töchter schnellstmöglich in Sicherheit zu bringen. Dieser Kampf ist der russischen Theatermacherin nun zum Verhängnis geworden. Vergangene Woche wurden Berkowitsch und die Dramatikerin Swetlana Petrijtschuk zu je sechs Jahren Strafkolonie verurteilt. Ihr Stück «Finist – Heller Falke», in dem es um russische Frauen geht, die islamistischen Kämpfern aus Liebe nach Syrien folgen, sah das Militärgericht als «Rechtfertigung des Terrorismus». Dies, obwohl das Stück im Gegenteil eine starke Botschaft gegen den Terror ist.
Es ist noch nicht lange her, dass die russische Theaterwelt Berkowitsch und Petrijtschuk für ihre Arbeit mit Preisen überhäuft hatte. Doch dann kam Russlands Krieg gegen die Ukraine – und damit die Repression gegen all jene, denen das Sterben im Nachbarland nicht gleichgültig ist. Klar ist, dass dem Regime die konsequente Antikriegshaltung der beiden Frauen ein Dorn im Auge war: Noch am 24. Februar 2022, als die russische Armee in die Ukraine einfiel, stand Berkowitsch schon mit einem Plakat gegen den Wahnsinn auf einem der zentralen Plätze Moskaus – und landete dafür in Administrativhaft. Später schrieb die heute 39-Jährige Gedichte gegen den Krieg, fasste ihre Gedanken über zertrümmerte Städte und zerstörte Existenzen in poetisch-eindringliche Verse.
Viele Beobachter:innen sehen in dem hohen Strafmass denn auch ein Signal an die Kunstszene als Ganzes. Man könnte sogar sagen: Falls sie zuletzt überhaupt noch bestand, symbolisiert das Urteil auch das endgültige Ende der Kunstfreiheit im heutigen Russland. Im Anschluss an die Verhandlung wandte sich Jewgenija Berkowitsch in einem Post auf Social Media an ihre Unterstützer:innen. «Das Leben ist nicht vorbei. Das Gefängnis ist kein Grab», gab sich die Regisseurin kämpferisch.
Nachtrag zum Artikel «Verurteilt für ein Like auf Instagram» in WOZ Nr. 47/22.