Realitätsleugner Lindner

Ein deutsches Trauerspiel, nächster Akt: Finanzminister Christian Lindner (FDP) provoziert gerade wieder einmal den Rauswurf aus der Koalition. Nachdem er seine Koalitionspartner, die Grünen und die SPD, mit einem Grundsatzpapier herausgefordert hat, folgt ein Krisengespräch auf das nächste. In dem am Freitag veröffentlichten Papier mit der Überschrift «Wirtschaftswende Deutschland» greift Lindner vor allem sozialdemokratische und grüne Herzensprojekte an. Unter anderem will er eine Neuausrichtung der Wirtschaftspolitik, und er will den Klima- und Transformationsfonds streichen. Er will Steuern für Unternehmen und Topverdiener:innen senken und in der Sozialpolitik im grossen Stil Ausgaben streichen. So soll Bürgergeldempfänger:innen statt der Miete nur noch eine Mietpauschale gezahlt werden. Im Wahlkampf hatte die SPD versprochen, die Renten anzuheben. So steht es auch im Koalitionsvertrag, den Lindner unterschrieben hat. Jetzt will Lindner jedoch auch Kürzungen bei der Rente. Alles realpolitische Forderungen, die einer wirtschaftsliberalen Ideologie entstammen, die eigentlich nicht mit der SPD und den Grünen zu vereinbaren ist.

Seit Monaten schon hangelt sich die Ampelregierung von Tag zu Tag. Am Mittwoch gibt es ein Treffen des Koalitionsausschusses. Sollte es hier keine Einigung geben, werden Neuwahlen vor dem regulären Wahltermin im September 2025 immer wahrscheinlicher. Aber auch wenn sich die Parteien morgen einigen sollten, steht noch ein Termin am 14. November an. Bei der dann geplanten Regierungssitzung sollen die Haushaltspolitiker:innen der Koalition das Milliardenloch stopfen. Sollte das nicht gelingen, ist ein Auseinanderfallen der unbeliebten Regierung fast nicht mehr zu vermeiden. 

Unterdessen erfasst die Wirtschaftskrise, in der sich Deutschland befindet, immer mehr Branchen. Besonders betroffen sind die Schlüsselindustrien: die Automobilindustrie, die Stahlindustrie, die Bauindustrie und die Elektroindustrie. Aufgrund der Rahmenbedingungen ist die deutsche Wirtschaft in weiten Teilen nicht mehr wettbewerbsfähig. Erst heute verkündete der Autozulieferer Schaeffler, in Deutschland 2800 Stellen abbauen zu wollen. 

Doch Lindner scheinen diese Nachrichten nicht alarmierend genug, um seine Ideologie beiseite zu räumen. Seine parteitaktischen Manöver sind alles andere als eine Lösung der Wirtschaftskrise oder der angeschlagenen Beziehungen zwischen den Regierungsparteien. Das weiss auch Lindner, der mit seinem Amtsantritt eigentlich Verantwortung für Deutschland übernommen hat. Ihm scheint es jedoch vor allem darum zu gehen, es irgendwie in den nächsten Bundestag zu schaffen. Die FDP steht bei Umfragen im Bundestrend schon länger unter fünf Prozent. Bei Neuwahlen, so verspricht sich Lindner wohl, würden ihm die Wähler:innen danken, dass er bei den unliebsamen linken Parteien nicht nachgegeben hat. Der Applaus aus seiner Bubble ist ihm wichtiger als die Zukunft des Landes.