Kein Fussball den Antidemokraten!

Mit Fussball konnte ich lange Zeit wenig anfangen. Ich habe Trompete im Orchester gespielt, fand als Kind eine Gemeinschaft in der Kirchgemeinde meiner Eltern, und als ich älter wurde, sind Klima- und Antifabewegung zu meinem Safe Space geworden. Mein Bild vom Fussball war vor allem eines von toxischer Männlichkeit, Vereinskonkurrenz, Nationalismus oder Mackertum. Wie sich das geändert hat?

Nun ja, saufende, grölende, homophobe Fussballfans gibts bei uns in Sachsen und auch bei meinem Verein, dem FSV Zwickau, noch immer zu Genüge – das ist ein Problem, wenn auch kein fussballspezifisches. Was mich im Stadion aber fasziniert, ist die Gemeinschaft. Eine Gemeinschaft, in der alle sozialen Schichten und auch unterschiedlichste politische Ansichten zusammenkommen. Manchmal auch solche, die schwer auszuhalten sind.

Es war irgendwann im Sommer 2023, als ich aus dem Stadion nach Hause kam und nach einem beschissenen Spiel diesen Tagebucheintrag schrieb:

Ich bin im Stadion, ich singe mit, ich schalte ab. Ein Bier, noch ein Bier, und dann kommts aus allen herausgeschrien: «Dass wir Zwickauer sind, weiss ein jedes Kind, bei Lila-Weiss sehen wir rot, Zwickau bis in den Tod!» Lila-Weiss steht für den Verein, dessen Namen man bei uns nicht ausspricht. Ich machs trotzdem: «FC Erzgebirge Aue»  die sogenannten «Schachtscheisser».

Das Stadion ist für mich ein Ort der Widersprüche. Schon wieder bin ich im Zwiespalt. Menschen umarmen sich, Menschen sind in der Gemeinschaft emotional und lieb zueinander, auf der anderen Seite sind viele aber toxisch männlich, rechts, neonazistisch oder einfach eklig. In diesem Chaos fallen Tore, Tore für das Gegnerteam. Zwickau verliert das wichtigste Derby des Jahres.

Der Capo, also derjenige Fan, der die Sprüche anstimmt, greift zum Megafon, schreit seinen letzten Spruch und sagt, dass es weitergehen muss. Was dann passiert, blieb mir im Kopf: Der Capo kommt auf mich zu, als ich Trauer, Wut und Hass wegen dem verlorenen Spiel erwarte. Doch er fängt an zu grinsen: «Jakob, ich muss sagen, das passt vielleicht gerade nicht, aber ich freue mich so, dass du und deine Freunde hier mit im Block steht und so laut mitsingt.»

Solche Momente haben mich immer stärker für den Fussball begeistert. Natürlich gibt es viele kritikwürdige Aspekte in der Fankultur – manche davon gehören zu Recht auf den Prüfstand. Doch Fussball bloss zu verteufeln, wäre zu einfach. Kritik und Reflexion bleiben wichtig, doch die Arbeit von sozialen Initiativen wie dem Zwickauer Fanprojekt, das zum Beispiel immer wieder Bildungsreisen in ehemalige NS-Konzentrationslager organisiert, zeigt, dass kein Sport, keine Musik, kein Treffpunkt der Welt den Antidemokraten und Faschisten überlassen werden sollte.

Jakob Springfeld (22) ist eines der Gesichter der linken Gegenöffentlichkeit Ostdeutschlands. Sein 2022 erschienenes Buch «Unter Nazis» trägt auch deshalb den Untertitel «Jung, ostdeutsch, gegen Rechts». In seiner wöchentlichen Kolumne berichtet er bis zum Jahresende jeweils freitags aus seiner Lebensrealität als antifaschistischer Aktivist in Sachsen.