Rechte Gewalt in Deutschland: «Das ist heute die Normalität»

Nr. 19 –

Der tätliche Angriff auf einen SPD-Politiker in Dresden hat viele schockiert. Jakob Springfeld, Autor und Aktivist aus Sachsen, sieht eine lange Kontinuität politischer Ignoranz gegenüber dem Rechtsextremismus.

Demonstration in Berlin vom Buendnis #TogetherAgainstRights
Demo gegen rechte Gewalt am Sonntag in Berlin: «Viele Akti­vist:in­nen beklagen, dass es zwar Applaus gibt, aber kaum politische Konsequenzen», sagt Jakob Springfeld. Foto: Ullstein

WOZ: Jakob Springfeld, am vergangenen Freitag haben in Dresden mutmasslich rechtsextreme Jugendliche den sächsischen SPD-Spitzenkandidaten Matthias Ecke angegriffen, als dieser am Plakatieren war. Ecke musste danach mit gravierenden Gesichtsverletzungen notoperiert werden. Hat Sie diese Gewalt überrascht?

Jakob Springfeld: Nein. Wir erleben eine zunehmende Normalisierung solcher Taten in Sachsen. Nur wenige Stunden vor der Attacke auf Ecke kam es zu einem Angriff mit Steinen auf eine Unterkunft für Geflüchtete im Landkreis Zwickau. Das ist bestenfalls eine Randnotiz in den Lokalmedien, niemand empört sich. Solche Sachen passieren so häufig, dass es gar nicht mehr möglich ist, zu allem Stellung zu beziehen.

Kennen Sie Ecke, der mittlerweile angekündigt hat, seinen Wahlkampf trotz des Angriffs fortzuführen, eigentlich persönlich?

Ja, ich habe ihn 2021 bei einer Onlineveranstaltung der Friedrich-Ebert-Stiftung über «Zukunfts(t)räume Ostdeutschlands» kennengelernt. Wir redeten auch darüber, wie gefährlich es ist – zumindest in Kleinstädten Sachsens –, allein Parteiplakate aufzuhängen. Dass ein brutaler Gewaltakt dieser Art nun auch in Dresden, einer Grossstadt, möglich ist, zeigt den Ernst der Lage. Und es hat in den letzten Tagen ja längst nicht «nur» Ecke getroffen. Dieser Eindruck darf gar nicht erst entstehen. Es betrifft auch nicht nur Ostdeutschland: In Essen kam es letzten Donnerstag zu Angriffen auf Grünen-Politiker.

SPD-Innenministerin Nancy Faeser sprach von einer «neuen Dimension antidemokratischer Gewalt». Teilen Sie diese Einschätzung?

Nein. Ich frage mich eher, in der wievielten Dimension wir mittlerweile leben. Ob NSU-Komplex, die tödlichen Anschläge in Hanau, München, Halle oder der Mord am Kasseler CDU-Regierungspräsidenten Walter Lübcke – seit 1990 starben mindestens 219 Menschen durch rechts motivierte Gewalt in Deutschland. Jetzt traf die Gewalt Faesers Parteigenossen Matthias Ecke. Das ist bedauerlich und zu verurteilen, aber es ist keine neue Dimension.

In Sachsen stehen wichtige Wahlen an: Im Juni Europawahlen, im September folgen dann die Landtagswahlen. Sie sind als Autor und Aktivist sehr viel unterwegs, wie nehmen Sie die Stimmung im Bundesland wahr?

Sie ist angespannt: Auf der einen Seite haben die jüngsten bundesweiten Massenproteste gegen die AfD und den politischen Rechtsruck vielen antifaschistischen Initiativen Auftrieb gegeben. Andererseits beklagen viele Aktivist:innen, dass es zwar viel Applaus gegeben hat, aber kaum politische Konsequenzen. Bedrohungen gehören für sie gerade im Osten zum Alltag. Das treibt die Hürde, gegen den Rechtsruck anzukämpfen, nach oben.

In kaum einem anderen Bundesland sind extrem rechte Parteien und Gruppen wie die AfD oder die Freien Sachsen so erfolgreich. Haben Sie eine Erklärung dafür?

Es gibt keine einfache Antwort darauf. Und eine vertiefte Analyse würde den Rahmen dieses Gesprächs deutlich sprengen. Ein Grund ist sicherlich, dass die extreme Rechte jahrelang kleingeredet und ignoriert wurde. Und das Problem ist nicht neu. Schon zu DDR-Zeiten kam es in Sachsen zu rassistischen Angriffen auf Gastarbeiter:innen aus Moçambique oder Vietnam. Hinzu kommt, dass die etablierte Politik versucht, den Rechtsruck zu bekämpfen, indem sie selbst nach rechts rückt. Das scheitert, da es keine realen Probleme löst und der Kulturkampf damit auch von bürgerlichen Kräften befeuert wird. Richtig ist auch, dass die Brandmauer zur AfD auf kommunaler Ebene kaum mehr besteht, in Bundesländern wie Sachsen oder Thüringen ist das besonders drastisch.

Sind Sie selbst auch rechter Gewalt ausgesetzt?

Ja. Meine Lesungen können oft nur unter Polizei- oder Securityschutz stattfinden. Ich erhalte Hass- und Drohnachrichten. Das fing schon als Jugendlicher an, als ich in Zwickau in der Klimabewegung aktiv war und mich für Geflüchtete einsetzte. Das ging so weit, dass vor vier Jahren ein lokaler Neonazikader vor der Haustür meiner Eltern stand. Ich bin deshalb auch aus Zwickau weggezogen.

Gibt es auch Entwicklungen, die Anlass zu Hoffnung geben?

Seit den Recherchen über die AfD-Vertreibungspläne Anfang des Jahres ist viel passiert. Neben den Protesten in Leipzig, Berlin oder Hamburg wurde auch in weniger grossen sächsischen Städten wie Pirna, Zwickau oder Bautzen demonstriert. Das ist bemerkenswert, da die extrem rechte Raumnahme an diesen Orten schon weit vorangeschritten ist und es viel Mut braucht, dagegen aufzustehen. An diesem Momentum müssen wir festhalten, denn es gibt überall, auch in Sachsen, grossartige Menschen und Initiativen.

Jakob Springfeld (21) lebt und studiert in Halle an der Saale (Sachsen-Anhalt). Über seine Erfahrungen mit rechter Gewalt hat er ein vielbeachtetes Buch geschrieben: «Unter Nazis. Jung, ostdeutsch, gegen Rechts», das 2022 im Quadriga-Verlag erschienen ist.

WOZ Debatte

Loggen Sie sich ein und diskutieren Sie mit!

Login

Kommentare