Überreich, nicht superreich

Was uns Menschen bewegt, sind die Geschichten, die wir einander erzählen, und die Worte, aus denen sich unsere Gefühle speisen. Oft genügt ein Wort, und unsere Körper reagieren: Zitrone – und schon sammelt sich Wasser in unseren Mündern. Vernehmen wir «super», kreiert unser Gehirn positive Assoziationen. Wenn wir von den Reichsten in glorifizierender Weise als den «Superreichen» sprechen, macht das etwas mit unserem Blick auf Verteilung. 

Das Präfix «super-» spielt dabei eine entscheidende Rolle: Es erzeugt einen positiven Wahrnehmungsrahmen, eine kritische Haltung fällt schwerer – was wiederum eine breite gesellschaftliche Auseinandersetzung geradezu verunmöglicht. Bei näherer Betrachtung wird deutlich, dass das Phänomen und dessen Bezeichnung unvereinbare Kognitionen sind. Schaffen wir also Klarheit, um diese Dissonanz aufzulösen. Das ist leider leichter gesagt als getan, denn eine Definition von Reichtum und «Superreichtum» gibt es nicht.

Während wir bei Armut konkrete, begreifbare Grenzen ziehen – ob absolut bei 2.15 US-Dollar am Tag oder relativ gesehen bei 60 Prozent des mittleren Einkommens –, ist die Dimension des Reichtums unendlich. Diese fehlende Klarheit ist für sich genommen problematisch: Die Reichen sind das Phantom der Politik. Auf der Flucht vor Verantwortung können sie sich im Vagen und Geheimen einrichten. 

Aus eben dieser Verantwortung entliess Bertolt Brecht den «reichen Mann» nicht, als er 1934 schrieb: «Reicher Mann und armer Mann standen da und sahn sich an. Und der Arme sagte bleich: Wär’ ich nicht arm, wärst du nicht reich.» Nur wenige Jahre zuvor hatte Papst Pius XI. die Gleichzeitigkeit aufs Schärfste kritisiert und den Begriff «Überreichtum» geprägt: Er schrieb von den Massen eigentumsloser Menschen auf der einen und dem exzessiven Reichtum, dem Überreichtum der wenigen, auf der anderen Seite. 

Der österreichische Ökonom und Psychoanalytiker Martin Schürz hauchte dem Begriff des Überreichtums in seinem gleichnamigen Buch kürzlich neues Leben ein. Wie Schürz in seiner grandiosen Arbeit zeigt, zeichnet unsere Gesellschaft heute ein anderes Bild als zu Zeiten von Pius und Brecht: Menschen in Armut werden mit Faulheit und Dummheit in Verbindung gebracht, während wir andererseits dazu neigen, besonders vermögenden Menschen Wohlwollen und Bewunderung entgegenzubringen: Super halt!

Wer extreme Ungleichheit als extrem problematisch begreift, tut sich selbst und den Debatten einen grossen Gefallen damit, die Macht der Worte anzuerkennen. Von Überreichen anstatt von Superreichen zu sprechen, hilft, um anstelle von unterbewussten, positiven Assoziationen kritische Auseinandersetzungen mit dem Phänomen anzuregen. Darum meine Bitte: Wenn sich Ihnen das nächste Mal «superreich» auf die Lippen drängt, beissen Sie sich auf die Zunge: Weil super einfach super klingt – und exzessiver Reichtum vieles, aber gewiss nicht super ist. 

An dieser Stelle lesen Sie immer freitags einen Text von Martyna Berenika Linartas. Linartas forscht zu Vermögensverteilung und Umverteilung. Dazu lehrt sie in Berlin und in Koblenz. 2022 hat sie die Wissensplattform ungleichheit.info mitgegründet. Im Frühjahr 2025 erscheint ihr Buch «Unverdiente Ungleichheit. Wie der Weg aus der Erbengesellschaft gelingen kann».