Die Erbinnen: So viel Geld erwirtschaftet niemand selbst
Die meisten Superreichen sind ErbInnen. Ihr Einfluss über Thinktanks und Stiftungen gefährdet die Demokratie. Höchste Zeit für eine Erbschaftssteuerreform, gerade in der Schweiz, findet der Nationalökonom Hans Kissling. Eine Übersicht über Vermögen und Macht der ErbInnen.
Das kürzlich von Finanzministerin Eveline Widmer-Schlumpf und ihrem französischen Amtskollegen Pierre Moscovici unterzeichnete Erbschaftssteuerabkommen wird es dem französischen Fiskus künftig ermöglichen, Nachkommen verstorbener reicher FranzösInnen mit Wohnsitz in der Schweiz mit Erbschaftssteuern zu belasten. Damit wird Steuerumgehungen ein Riegel geschoben. Dagegen laufen die Bürgerlichen Sturm. Es drohe eine Abwanderung von reichen FranzösInnen, was der Schweiz schade. Einmal mehr wird suggeriert, viele Superreiche seien gut für das Land.
Das gibt Anlass zu grundsätzlichen Überlegungen zum Thema «Reichtum und ErbInnen». In der Schweiz lebt nur rund ein Promille der Weltbevölkerung, aber zehn Prozent der MilliardärInnen. Was bedeutet es für eine Gesellschaft, wenn sich so viele Superreiche im Land konzentrieren?
Reiche und Superreiche
Das reichste Prozent der Steuerpflichtigen besitzt in der Schweiz rund die Hälfte des privaten Vermögens. Jede dieser rund 50 000 Personen besitzt mehr als 3 Millionen Franken. Man kann diese Gruppe als reich erachten. Dabei gilt es allerdings zu beachten, dass nicht nur zwischen dem reichsten Prozent und den übrigen 99 Prozent die Verteilung der Vermögen sehr ungleich ist, sondern auch innerhalb des reichsten Prozents selbst.
Von den rund 50 000 Personen oder Familien des reichsten Prozents in der Schweiz besitzen gemäss neuster Vermögensstatistik des Bundes rund 40 000 zwischen 3 und 10 Millionen Franken. Von den restlichen 10 000 Reichen mit mehr als 10 Millionen Franken Vermögen gehören rund 123 Personen oder Familien zu den MilliardärInnen. Diese Superreichen besassen 2012 gemäss der Zeitschrift «Bilanz» zusammen 444 Milliarden Franken. Das sind rund 20 Prozent des privaten Vermögens. Zieht man die Grenze für Superreiche bei einem Vermögen von 100 Millionen, so sind es schweizweit rund 300 Personen. Es geht bei den Superreichen somit um wenige Hundert Personen oder Familien, das heisst, es geht um 0,1 Promille der Schweizer Haushalte oder, anders ausgedrückt, um einen von 10 000 Haushalten.
Es gibt also auch bei den Reichen eine «Unter- und eine Oberschicht». Die «gewöhnlichen» Reichen und die Superreichen spielen in ganz anderen Ligen: Während ein Reicher mit zum Beispiel 7 Millionen Franken Vermögen immer noch in der Gefahr lebt, sein Vermögen oder grosse Teile davon zu verlieren, und damit diesen Aspekt der gesellschaftlichen Situation immerhin noch mit den Mitgliedern der Mittelschicht teilt, können die Superreichen in dieser Hinsicht ruhig schlafen: Ihre riesigen Vermögen sind diversifiziert angelegt in eigenen Unternehmen, Immobilien und Beteiligungen. Sie lassen ihre Vermögen meist von sogenannten Family Offices verwalten. Das sind FinanzspezialistInnen, die die Anlagen und Investitionen einer einzigen reichen Familie professionell verwalten und vor Verlust bewahren.
Erben bilden Dynastien
Wie wird man superreich? Durch ausserordentliche unternehmerische Leistung, sei es als Industrieller, Bankier oder Händler. Diesen Eindruck erhält, wer Ranglisten und Anekdoten aus Wirtschaftsmagazinen liest. Das ist aber nur die halbe Wahrheit. Zwar gibt es zahlreiche Beispiele für erfolgreiche UnternehmerInnen, die es in die Liga der MilliardärInnen geschafft haben, wie zum Beispiel Hansjörg Wyss, ehemaliger Besitzer von Synthes, oder der vor einem Jahr verstorbene Amag-Besitzer Walter Haefner. Der überwiegende Teil der Superreichen hat das Vermögen hingegen geerbt, zum Beispiel Nick Hayek, CEO der Swatch Group, oder Philippe Gaydoul, Verwalter des Vermögens aus dem Verkauf des Discounters Denner.
Dass viele Superreiche ihre gigantischen Vermögen Erbschaften verdanken, wird in den Wirtschaftsmedien kaum erwähnt. So ist weder Nick Hayek noch Philippe Gaydoul in der Kategorie «Erben» der «Bilanz»-Liste der Superreichen aufgeführt, sondern im Fall von Hayek in der Rubrik «Uhren» und im Fall von Gaydoul in der Gruppe «Händler». Mehr als die Hälfte der Superreichen sind durch Erbschaft zu ihrem Reichtum gekommen, Tendenz steigend. In absehbarer Zeit werden sämtliche zehn Spitzenpositionen der Schweizer Reichen durch ErbInnen angeführt.
Bemerkenswert ist auch, dass es keiner der ManagerInnen, die ihren Reichtum selbst erwirtschaftet haben, in die Gruppe der MilliardärInnen geschafft hat. Der überwiegende Teil der Manager, wie zum Beispiel Josef Ackermann, Ernst Tanner oder Marcel Ospel, hat es nur in die Vermögenskategorie 100 bis 200 Millionen gebracht.
Dynastiebildung nach aristokratischem Muster ist ein prägendes Merkmal des Superreichtums. Die Investmentpolitik von Superreichen ist eher auf Besitzstandswahrung ausgerichtet als auf risikoreiche Gewinnmaximierung. Dies gilt vor allem für jene, die durch Erbschaft zu ihrem Vermögen gekommen sind. Sie investieren in börsenkotierte Unternehmen und vor allem in Luxusimmobilien. Für die vermögenden GründerInnen von Unternehmen sind nicht nur der Erhalt und die Weitergabe der Familienvermögen wichtig. Sie praktizieren zur Absicherung der Dynastie häufig auch einen Nepotismus, eine Verwandtenbegünstigung bei der Besetzung von Führungspositionen in den Unternehmen.
Als typisches Beispiel dafür steht die Familie Blocher. Magdalena Martullo-Blocher wurde mit gut dreissig Jahren als CEO der Ems-Chemie eingesetzt und damit Chefin von rund 2000 MitarbeiterInnen. Wie die Beispiele Ems-Werke und Swatch zeigen, muss Nepotismus nicht schlecht fürs Unternehmen sein. Allerdings wird so verhindert, dass jene an die Unternehmensspitze gelangen, die sich im Leistungswettbewerb als die Tüchtigsten und Fähigsten erwiesen haben. Die häufig beschworene Meritokratie (Leistungsgesellschaft) wird so zur Farce.
Trotz Nepotismus: Über neunzig Prozent der Familienunternehmen überleben die dritte Generation nicht, sei es, weil keine geeignete Nachfolge vorhanden oder das Unternehmen in Schieflage geraten ist. Bei den Firmen Denner und Serono war schon bei der zweiten Generation Schluss. Heute betätigen sich sowohl Philippe Gaydoul als auch Ernesto Bertarelli, die Erben dieser Unternehmen, als Investoren.
Einige, vor allem US-amerikanische Superreiche, verzichten dagegen bewusst auf die Bildung einer Dynastie. So will Bill Gates von seinen geschätzten 61 Milliarden Dollar seinen direkten Nachkommen lediglich je 10 Millionen Dollar vererben. Und der Milliardär Warren Buffett hat für seine eigenen Kinder nur ein Erbe von «ein paar 100 000 Dollar» vorgesehen. Bei der Vererbung von Milliardenvermögen sehen die beiden die Gefahr einer Schwächung der Marktwirtschaft, weil Reichtum dann nicht (mehr) durch persönliche Leistung legitimiert ist.
In einer eigenen Welt
Nicht nur das ungleich grössere Vermögen hebt die Superreichen von den «ärmeren» Reichen ab. Sie leben auch in einer eigenen Welt. Am sichtbarsten ist das beim Wohnen. Während die Reichsten früher traditionell in den Städten lebten, wohnen sie heute meist in idyllisch gelegenen Agglomerationsgemeinden mit See- und Bergsicht wie zum Beispiel am Zürich-, Zuger-, Vierwaldstätter- oder Genfersee. Einzelne Gemeinden mit bevorzugter Wohnlage entwickelten sich mit den Jahren zu eigentlichen Reichenghettos. Treibende Kraft dieser Entwicklung ist die steuerliche Gemeindeautonomie: Ziehen Reiche in eine Gemeinde, so steigt die kommunale Steuerkraft, was eine Senkung des Steuersatzes erlaubt.
Lässt sich ein Superreicher in einer kleinen Gemeinde mit einigen Hundert EinwohnerInnen nieder, so sinkt der Steuersatz dieser Gemeinde sogar drastisch, was nichts anderes bedeutet, als dass Superreiche die Höhe ihrer Steuern weitgehend selbst bestimmen können. Sinkt durch die Zuwanderung von Reichen der Steuersatz einer Gemeinde, ziehen weitere Reiche in diese Gemeinde, was weitere Steuersenkungen erlaubt. Dieser seit Jahrzehnten laufende Prozess geht – trotz teilweise gut ausgebauten interkommunalen Finanzausgleichs – auch heute weiter und führt zu einer anhaltenden räumlichen Segregation von Reichen und weniger Begüterten. Immobilien in besonders privilegierten Wohngemeinden können sich heute nur noch Superreiche leisten.
Superreiche sind auch hoch mobil. Sie pendeln – meist mit dem eigenen Jet oder mit einer auf Reiche spezialisierten Fluggesellschaft – zwischen ihrem steuerlich attraktiven Hauptwohnsitz und weiteren Residenzen in mondänen Ferienorten und Global Cities. Weltweit halten sich Dutzende von Superreichen private Grossraumjets wie eine Boeing 747 und einige sogar einen Airbus 380, der eigentlich für 800 Passagiere vorgesehen ist. Seit einigen Jahren ist ein neues Phänomen zu beobachten: Superreiche, vor allem US-AmerikanerInnen, haben aus steuerlichen Gründen ihre Staatsbürgerschaft aufgegeben und sich vor den Steuerbehörden auf ihre Jachten gerettet und Kurs auf internationale Gewässer genommen. ExpertInnen schätzen ihre Zahl auf mehrere Tausend.
Superreiche unterscheiden sich von den «gewöhnlichen» Reichen nicht nur durch ihr Wohn- und Mobilitätsverhalten. Sie bilden eine eigentliche Parallelgesellschaft. Der gigantische Reichtum verändert ihre Ansichten, Lebensentwürfe und Verhaltensweisen. Sie leisten sich Exklusivität auch in den Bereichen Erziehung, Bildung, Gesundheit und Freizeit. Sie verzichten häufig auf öffentliche Dienstleistungen und senden stattdessen ihre Nachkommen an Privatschulen und Eliteuniversitäten, lassen sich in Privatkliniken und luxuriösen Altersresidenzen pflegen, verbringen ihre Ferien in exklusiven Resorts, treiben Sport nur unter ihresgleichen und vergnügen sich in ihnen vorbehaltenen Klubs.
Direkter und indirekter Einfluss
Nur vage Vorstellungen herrschen in der Öffentlichkeit auch über den Einfluss und die Macht der Superreichen. Macht wird meist Politikerinnen sowie Managern von transnationalen Unternehmen zugeschrieben. Wenn sich diese beiden Gruppen am jährlich stattfindenden World Economic Forum in Davos treffen, dann überbieten sich jeweils die Schlagzeilen in den Medien. Es wird der «Gipfel der Macht» oder das «Stelldichein der Weltführer» beschworen. Dabei geht völlig unter, dass die superreichen Kapitaleigner über eine unvergleichlich grössere Macht verfügen, weil diese im Unterschied zu den Politikern und Managerinnen zeitlich nicht beschränkt ist.
Wirtschaftliche Macht üben Superreiche vor allem als Verwaltungsräte aus. Mit dem Gewicht ihrer Aktienpakete geben sie die strategische Richtung der Unternehmen vor, auf der die Entscheidungen der Manager basieren, bestimmen die Entschädigungen der Managerinnen und beschliessen Übernahmen und Fusionen. Zur Verfolgung ihrer wirtschaftlichen Interessen halten sie sich ein Heer von Anwälten und Beraterinnen.
Weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit ist auch der Einfluss der Superreichen auf Gesellschaft und Politik. Wichtigste Vehikel zur Einflussnahme sind die Thinktanks, von denen es heute weltweit zirka 5000 gibt. Bei diesen Denkfabriken handelt es sich um private Organisationen, die ihre Analysen und Empfehlungen, die von Insinuationen bis zu expliziten politischen Forderungen reichen, über die Medien in die Gesellschaft hineintragen.
Vor allem in den USA finanzieren zahlreiche konservative als auch liberale MilliardärInnen Thinktanks zur Beeinflussung der Innen- und der Aussenpolitik. Ein Beispiel unter vielen für eine konservative Denkfabrik ist das von Reichen finanzierte American Enterprise Institute for Public Policy Research, das sich für die Deregulierung der Wirtschaft und einen schlanken Staat einsetzt und den Irakkrieg befürwortete. Einer der wenigen liberalen Thinktanks ist die unter anderen vom Milliardär George Soros gegründete Gruppe Move On, die sich gegen den Irakkrieg engagierte.
Auch in der Schweiz gibt es privat finanzierte Denkfabriken und Stiftungen, die – mit einer Ausnahme – wirtschaftsliberale Positionen vertreten, allen voran die von vierzehn Unternehmen grosszügig finanzierte Avenir Suisse, die pro Jahr rund ein Dutzend Publikationen zu diversen Themen herausgibt und in den Medien eine grosse Präsenz erreicht. Die mit wissenschaftlichem Touch versehenen und attraktiv aufgemachten Publikationen sind zumeist auf stramm neoliberalem Kurs und fordern etwa mehr Markt für den Service public oder machen für die Probleme des Mittelstands die zu grosszügige Unterstützung des Staats für die Unterschicht verantwortlich. Das 2003 gegründete systemkritische «Denknetz», das sich gegen die Tendenzen der Entsolidarisierung und die zunehmende Ungleichheit richtet, muss dagegen ohne Unterstützung von vermögenden GeldgeberInnen auskommen: Seine MitarbeiterInnen engagieren sich fast alle unentgeltlich.
Denkfabriken haben mit ihren Publikationen einen erheblichen indirekten Einfluss auf Gesellschaft und Politik. Superreiche nehmen aber immer öfter auch direkten Einfluss auf die Politik. Am augenfälligsten ist dies in den USA, wo MilliardärInnen via die sogenannten PACs, Political Action Committees, Gelder in den Wahlkampf investieren, wie zum Beispiel der texanische Milliardär Harold Simmons, der im Wahlkampf 2011 Dutzende von Millionen mit dem Ziel spendete, den amtierenden Präsidenten Barack Obama zu diskreditieren.
In der Schweiz finden keine Präsidentschaftswahlen statt, wo das grosse Geld zum Einsatz kommen könnte. Das Geld von Superreichen kann aber im direktdemokratischen System der Schweiz trotzdem eine wichtige Rolle spielen. Wie etwa 1992 bei der Volksabstimmung zum EWR. Zu Beginn des Abstimmungskampfs lagen gemäss Umfragen die BefürworterInnen leicht vorn. Nachdem der Milliardär Christoph Blocher Millionen in die gegnerische Kampagne investiert hatte, wurde die Vorlage knapp verworfen. Man muss kein Prophet sein, um voraussagen zu können, dass das Geld von Superreichen in künftigen Abstimmungen vermehrt zum Einsatz kommen wird, etwa bei der vermutlich in zwei Jahren stattfindenden Abstimmung über die Erbschaftssteuerreform, wo es um einen Beitrag der Reichsten zugunsten der AHV geht. Vor kurzem hat Blocher in der «Arena» des Schweizer Fernsehens bereits angekündigt, dass er bei der Abstimmung über die «Volksinitiative gegen die Masseneinwanderung» wiederum Geld investieren werde.
Einen weiteren Einfluss auf Gesellschaft und Politik haben Superreiche via Medien in ihrem Besitz. Viele halten sich Medienunternehmen – wie ein anderes Investment –, um Geld zu verdienen, manche auch aus Passion. Eine zunehmende Anzahl von MilliardärInnen kauft sich hingegen Zeitungen und TV-Stationen, um politischen Einfluss zu nehmen. Der ehemalige italienische Premier Berlusconi ist hier nur das schlagendste und unappetitlichste Beispiel.
Stiftungen und Spenden
Superreiche sehen sich gern als PhilanthropInnen, vor allem in den USA. Die Carnegie Hall, das Rockefeller Center und die Bill & Melinda Gates Foundation sind die bekanntesten Zeugen für die Spendierfreudigkeit der Superreichen in diesem Land. Nirgendwo sonst werden so viele Universitäten, Konzerthallen, Kunstinstitute und Sportstadien mit teils riesigen Geldbeträgen finanziert. Jährlich fliessen 300 Milliarden Dollar – das sind 2,1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts der USA – in den «philanthropischen Wirtschaftssektor». Gemäss Robert Reich, dem ehemaligen Arbeitsminister der Regierung Bill Clinton, kommen allerdings nur rund zehn Prozent der Spenden den wirklich Armen zugute. Der grösste Teil, nämlich ein Drittel, geht an religiöse Organisationen. Grössere Anteile fliessen auch an Bildungseinrichtungen, Krankenhäuser, Gesundheitseinrichtungen und in die Forschung.
Aufsehen erregt hat die im Jahr 2010 von Bill Gates und Warren Buffett gestartete Initiative The Giving Pledge, die Superreiche verpflichten soll, mindestens fünfzig Prozent ihres Vermögens für wohltätige Zwecke zu spenden. Bis Mitte 2013 sind 114 Familien dieser Initiative beigetreten. Die grosse Spendierfreudigkeit amerikanischer MilliardärInnen täuscht allerdings nicht darüber hinweg, dass Arme in den USA relativ mehr spenden als Reiche. Laut Aussage eines Experten spenden die bestverdienenden Personen 1,3 Prozent ihrer Einkommen, jene mit den tiefsten Einkommen hingegen 3,2 Prozent.
Bisher hat sich noch kein Schweizer Superreicher der Initiative The Giving Pledge angeschlossen. Zwar gibt es in der Schweiz rund 13 000 Stiftungen. Es sind aber nur vereinzelte Fälle bekannt, in denen Superreiche im grossen Stil wie in den USA spenden, wie zum Beispiel die Milliardäre Stephan Schmidheiny und Hansjörg Wyss. Sind die Schweizer Superreichen demnach geizig? Mag sein – vielleicht betreiben sie aber einfach ein geschickteres Spendenmanagement als ihre amerikanischen KollegInnen. Mit vielen kleineren Spenden macht man sich mehr Freunde als mit wenigen grossen, und man erhält erst noch mehr Publizität. «Roche-Erbin stiftet Refugium für Schreibkünstler» war kürzlich im «Tages-Anzeiger» zu lesen. Solche Berichte über das philanthropische Wirken der Superreichen finden sich fast täglich in den Medien. Besondere Publizität erhalten jeweils Spenden oder Stiftungen für den Kulturbereich, beispielsweise die Fondation Beyeler. Diese tragen jedoch keinen gemeinnützigen Charakter und dienen vorwiegend dazu, das Image des Spenders in der Öffentlichkeit als kultivierte Person zu etablieren.
Spenden und Stiftungen von Superreichen fördern Musik, Theater, Literatur und bildende Kunst, und sie können den Zugang des breiten Publikums zur Kunst erleichtern. Sie ergänzen die staatlichen Leistungen im Bildungs- und Gesundheitsbereich und ermöglichen wertvolle Projekte in der Entwicklungshilfe. Das Spendenverhalten der Superreichen hat zum Teil aber auch unerwünschte Nebeneffekte. Spenden im Bildungs- und Gesundheitsbereich beeinflussen das staatliche Verhalten und führen zu einer privaten Steuerung öffentlicher Mittel: Private bestimmen, wohin die Reise geht. Private Stiftungen stehen auch in Konkurrenz zu Universitäten und stellen häufig renommierte WissenschaftlerInnen ein, die dann den Universitäten nicht mehr zur Verfügung stehen.
Dass längst nicht alle Superreichen einen grösseren Teil ihres Reichtums für wohltätige Zwecke spenden und dass Spenden oft auch unerwünschte Wirkungen haben, lässt den Schluss zu, es würde der Gesellschaft mehr dienen, die Superreichen dazu zu verpflichten, mehr Steuern zu zahlen. Damit könnte der Staat aus eigener Kraft die nötigen Investitionen im Gesundheits- und Bildungsbereich vornehmen. Das finden sogar einige Superreiche in den USA, in Frankreich und Deutschland, die sich öffentlich für eine höhere Besteuerung der Reichen einsetzen. Aus der Schweiz hat sich dem Appell bisher keiner angeschlossen.
Demokratie wird zur Plutokratie
Die wirtschaftliche, politische und gesellschaftliche Macht der Superreichen lässt Demokratien zunehmend zu Plutokratien, zu Geldherrschaften, mutieren. Mit den Superreichen ist eine Oberschicht entstanden, die – wie der frühere Adel – jeder gesellschaftlichen Konkurrenz enthoben ist. Ist dieser Prozess zu stoppen? Können es demokratische Gesellschaften hinnehmen, dass die Superreichen immer noch reicher werden? Dass einzelne bald hundert Milliarden besitzen, was dem privaten Vermögen aller EinwohnerInnen eines mittelgrossen Kantons entsprechen würde? Dass die Kluft zwischen einerseits den Armen und dem Mittelstand und den Superreichen andererseits ständig weiterwächst? Oder soll privatem Reichtum eine Grenze gesetzt werden und falls ja, wie?
Wirksam wäre etwa die überfällige Einführung einer nationalen Erbschaftssteuer, wie es die Initiative «Millionen-Erbschaften besteuern für unsere AHV» – mit einem Steuersatz von zwanzig Prozent bei Nachlässen von mehr als zwei Millionen Franken – vorsieht. Damit liesse sich zumindest das weitere Auseinanderklaffen der Reichtumsschere stoppen. Für einen Abbau der Vermögensungleichheit bräuchte es mehr, nämlich eine einmalige Abgabe auf die höchsten Vermögen, wie es bereits 1922 eine Eidgenössische Volksinitiative der SP forderte. Jüngst haben ÖkonomInnen die Idee einer Vermögensabgabe im Zusammenhang mit der Bekämpfung der Eurokrise wieder aufgegriffen. Sogar die renommierte Unternehmensberatung Boston Consulting hat zu einer einmaligen Vermögensabgabe in ganz Europa geraten.
Hans Kissling
Der Nationalökonom Hans Kissling (73) leitete lange Jahre das Statistische Amt des Kantons Zürich. 2008 erschien sein Buch «Reichtum ohne Leistung. Die Feudalisierung der Schweiz». Kissling ist Mitglied im Initiativkomitee für eine Erbschaftssteuerreform.
Wer wie viel hat
In den Global Wealth Reports, die die Credit Suisse nach 2010 veröffentlicht hat, fällt die Vermögensverteilung in der Schweiz moderater aus. Die Grossbank erteilt keine Auskunft, wie und weshalb sie die Berechnungsgrundlage geändert hat. Der Autor vermutet, dass neu die Pensionskassenkapitalien zu den Vermögen gezählt werden. Weil diese aber von der überwiegenden Mehrheit als Rente bezogen werden, stellen sie kein privat verfügbares Vermögen dar: Sie tragen den Charakter von aufgeschobenem Einkommen. Er hält deshalb die Zahlen von 2010 für plausibler als die späteren.