Bezos macht den Eimer voll

Diesen Artikel hören (2:38)
-15
+15
-15
/
+15

In Erziehungsfragen hält sich Amazon-Gründer Jeff Bezos gerne an den irischen Dichter William Butler Yeats: «Erziehung ist nicht das Anfüllen eines Eimers, sondern das Entfachen eines Feuers.» Schöner Gedanke, eigentlich. Zu dumm nur, dass Bezos sich auch als Besitzer der «Washington Post» gerne als Erzieher aufspielt und mit jedem Feuer, das er dort entfacht, zusehends den guten Ruf der Zeitung in Asche legt.

Mit einer neuen Direktive für die Redaktion hat er sich jetzt entschieden, die dortige Meinungsvielfalt abzufackeln. Auf den Meinungsseiten, so verkündete Bezos, werde man fortan jeden Tag zwei Säulen verteidigen: «persönliche Freiheiten und freie Märkte». Selbstverständlich seien daneben weiterhin auch andere Themen zu behandeln, aber was den Segen der freien Märkte angeht, sind auf den Meinungsseiten keine abweichenden Standpunkte mehr geduldet. Das, so Bezos, sei fortan anderen überlassen.

Es ist doch immer wieder erstaunlich, wie ungeniert gerade die Leute die Meinungsvielfalt einschränken, die sich als am lautesten als Kämpfer für die Meinungsfreiheit gebärden. Wie die Regierung in Bayern, die aus Angst vor dem Phantom einer woken Sprachpolizei selber zur Sprachpolizei wird und an Schulen und Behörden das Gendern verbietet. Oder jetzt Bezos: Duldet zwar keinen Widerspruch mehr, stört sich aber offenbar nicht einmal an den elementarsten Widersprüchen in seiner eigenen Direktive. Auf den Meinungsseiten der «Washington Post» sollen fortan also persönliche Freiheiten verteidigt werden – aber die persönliche Freiheit einer Redaktorin, die dort die segensreichen Wirkungen des Kapitalismus kritisch hinterfragen möchte, fällt offenbar nicht darunter.

«Freiheit ist ethisch – sie minimiert Zwang», schreibt Bezos, und man muss davon ausgehen, dass das nicht als Pointe gemeint ist. Aber stimmt schon, schliesslich lässt er seiner Redaktion alle Freiheit, sich dem Zwang seiner Weisung zu fügen. David Shipley, der bisherige Meinungschef der «Washington Post», war schon so frei und reichte prompt die Kündigung ein.

Wenn Jeff Bezos mit der Erziehung seiner Zeitung so weiter macht, bleibt er am Ende doch auf einem randvollen Eimer sitzen. Inhalt: die Asche der «Washington Post».