Syrien: Das nächste Trauma
Massenexekutionen von unbewaffneten Männern, Leichen auf den Strassen zahlreicher Dörfer, ganze Familien, die in ihren Häusern ermordet wurden: Über 800 Zivilist:innen wurden laut der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte bei den Massakern im Westen Syriens in den letzten Tagen brutal ermordet. In der ganzen Küstenregion flohen Alawit:innen, die Ziel der Attacken waren, in die umliegenden Berge und harrten dort tagelang ohne Wasser und Essen aus.
Am 6. März griffen zunächst bewaffnete Assad-Loyalisten unter dem Kommando hochrangiger ehemaliger Generäle des gestürzten Regimes einen Konvoi der Sicherheitskräfte der syrischen Übergangsregierung im Dorf Beit Ana an. Dutzende Sicherheitskräfte der neuen Regierung unter Interimspräsident Ahmed al-Scharaa wurden getötet. Daraufhin stürmten die Assad-Loyalisten zahlreiche Sicherheitsposten der Übergangsregierung in der gesamten Küstenregion. Zur Unterstützung der Regierungstruppen rückten zahlreiche Milizen aus anderen Regionen Syriens an die Küste vor, unter ihnen Milizionäre der von der Türkei kontrollierten syrischen Nationalarmee sowie radikalislamische ausländische Kämpfer. Diese richteten das Massaker unter den alawitischen Zivilist:innen an.
Die Massenmorde sind ein Horror für die Alawit:innen, deren schlimmste Befürchtungen vor Racheakten sich nun bestätigten. Sie sind aber auch eine Katastrophe für die syrische Gesellschaft als Ganzes, die noch immer vom Krieg und von den Verbrechen des Assad-Regimes traumatisiert ist. Eine Gesellschaft, die noch immer auf Gerechtigkeit wartet, darauf, dass die Verbrechen der vergangenen Jahre und Jahrzehnte in einem umfassenden juristischen Prozess aufgearbeitet werden. Mit der Gewalteskalation der vergangenen Tage wurde deutlich, wie dringend ein solcher Prozess für die Zukunft Syriens ist.
Als das Assad-Regime am 8. Dezember 2024 stürzte, war dies ein Moment voller Hoffnung für alle Syrer:innen. Doch der Ansturm der Assad-Loyalisten sowie Scharaas Unvermögen, die Massenmorde an den Alawit:innen zu verhindern, zeigen, wie brüchig die Sicherheitslage in Syrien ist.