Bildung gegen Ungleichheit?
Für mein Buch «Unverdiente Ungleichheit» sprach ich mit den mächtigsten Menschen Deutschlands. Ich wollte von ihnen wissen, wie sie zu Ungleichheit stehen. Tatsächlich erachten viele unter ihnen die steigende Ungleichheit als ein zunehmend drängendes Problem für den sozialen Zusammenhalt. Auf die Frage nach dem wichtigsten Werkzeug gegen Ungleichheit herrschte grosse Einigkeit: Bildung. Diese Einschätzung halte ich jedoch für äusserst fragwürdig.
Wer sagt, Bildung sei entscheidend im Kampf gegen Ungleichheit, denkt vermutlich daran, dass ein höherer Abschluss zu besseren Einkommen führt – und damit zur Möglichkeit, Ersparnisse anzulegen und der Armut zu entkommen. Doch Demokratien sind bereits Stand heute Erbengesellschaften, in denen mehr als die Hälfte aller Vermögen nicht aus dem eigens Angesparten besteht, sondern aus Erbschaften und Schenkungen. Wie wichtig kann es da sein, ob man einen Uniabschluss in der Tasche hat oder nicht? Die reichsten Menschen sind meist nicht die klügsten oder fleissigsten – sie sind Erben. Also: Augen auf bei der Elternwahl.
Ein weiterer Aspekt ist der Zeithorizont: Bildung ist ein vages Versprechen für die Zukunft, doch die Vermögensungleichheit ist bereits heute ein Problem für Wohlstand, Klima und Demokratie. Selbst eine massive Bildungsoffensive würde an dieser Ungleichheit nichts ändern. Der Soziologe Aladin El-Mafaalani erklärt in seinem Buch «Mythos Bildung»: «Wenn sich für alle die Bildungschancen verdoppeln, dann verdoppelt sich auch der Unterschied in den Bildungschancen. […] Man spricht vom Paradoxon der Bildungsexpansion. Mathematisch betrachtet ist es höchst logisch. Paradox ist der Befund nur deshalb, weil die Erwartung und insbesondere die Wahrnehmung vollständig davon abweichen.»
Bildung würde demnach nicht nur nicht helfen, sie wälzt die Fragen der Ungleichheit auch noch auf das Individuum ab und macht uns blind für die strukturellen Ursachen – und Lösungen. Selbstverständlich ist Bildung wichtig, und unbedingt sollte der Staat mehr Geld in die Hand nehmen, um allen Kindern eine gute Bildung zu sichern. Doch Bildung als Werkzeug gegen Ungleichheit einsetzen zu wollen, ist in etwa so, als versuche man, Nägel mit Pudding in die Wand zu schlagen.
An dieser Stelle lesen Sie immer freitags einen Text von Martyna Berenika Linartas. Linartas forscht zu Vermögensverteilung und Umverteilung. Dazu lehrt sie in Berlin und in Koblenz. 2022 hat sie die Wissensplattform ungleichheit.info mitgegründet. Im Frühjahr 2025 erscheint ihr Buch «Unverdiente Ungleichheit. Wie der Weg aus der Erbengesellschaft gelingen kann».