Giwar Hajabi (1981–2025): Mehr als Xatar

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Geboren 1981 in einer Höhle in den kurdischen Gebieten des Iran, durchlief Giwar Hajabi eine aussergewöhnliche Biografie: Er war Flüchtling, Musiker, Rapper, Straftäter, Labelchef, Musikmogul, Schauspieler, Unternehmer und migrantisches Role Model. Am 8. Mai wurde Hajabi, Künstlername Xatar, tot in einer Kölner Wohnung aufgefunden. Die genauen Umstände sind bislang ungeklärt.

Hajabi war Sohn kurdischer Intellektueller, wuchs in einer musikalischen und politischen Familie auf. Der Vater ist renommierter Komponist, die Mutter ebenfalls Musikerin und als Freiheitskämpferin hoch angesehen in der kurdischen Diaspora. Über Paris floh die Familie Mitte der achtziger Jahre vor dem Mullahregime nach Deutschland, landete in Bonn. Der Vater verliess die Familie, die Mutter hielt sie über Wasser, erst als Pflegerin, später mit einem kleinen Internetcafé. Giwar wuchs zwischen Sozialbauten im Stadtteil Brüser Berg auf, immer auf der Suche nach Perspektive und Zugehörigkeit. In vielem war das eine gewöhnliche Migrationsbiografie: geprägt von Vertreibung und Flucht, begleitet von Armut und Ausgrenzung, hungrig nach Anerkennung. Musik spielte früh eine wichtige Rolle: erst Klavierstunden, dann Rap unter dem Künstlernamen Xatar. Hajabi machte Abitur, studierte International Business und Music Business in London. 2008 erschien sein Debütalbum «Alles oder Nix».

Hajabis Geschichte schlug dann aber doch eine Richtung ein, die weit über das hinausging, was als typisch gelten könnte: 2009 war er beteiligt an einem spektakulären Raub. Die Beute: 59 Kilogramm Gold. Hajabi landete auf der Most-Wanted-Liste von Interpol, flüchtete, wurde im Irak verhaftet und später nach Deutschland ausgeliefert. Aus diesem biografischen Bruch schuf er einen Mythos: In der Haft nahm er das Album «Nr. 415» auf, benannt nach seiner Gefangenennummer.

Nach seiner Entlassung machte er sein Label Alles oder Nix zur Kaderschmiede für junge Künstler:innen. Er baute Strukturen auf, verschaffte Sichtbarkeit, ging Risiken ein. Namen wie SSIO, Schwesta Ewa, Eno, Mero oder Kalim wurden mit seiner Hilfe bekannt. Hajabi gründete Unternehmen, eröffnete Läden, investierte in verschiedene Branchen im In- und Ausland. 

Es ist genau dieser Teil seiner Geschichte, der viele Menschen mit ähnlichem Hintergrund berührt: das Sich-Durchkämpfen, das Erschaffen eigener Wege, das Umdeuten von Niederlagen in Antrieb und der unbedingte Wille, sich Respekt und Sichtbarkeit zu erkämpfen. 2022 brachte Regisseur Fatih Akin Hajabis Lebensgeschichte mit dem Blockbuster «Rheingold» auf die Leinwand. Allerspätestens jetzt wurde Xatar zur migrantischen Superheldenfigur. Insbesondere der kurdischen Community galt er als wichtige Stimme. Er unterstützte kurdische Organisationen, förderte Kultur- und Bildungsprojekte, bezog Stellung. Xatar, «der Gefährliche», ist immer auch Giwar, «der im Leid geborene», geblieben.

Zuletzt kämpfte er mit dem Wegbrechen seiner Geschäfte und mit gesundheitlichen Schwierigkeiten. Mit Xatar verliert die deutsche Hip-Hop-Szene einen ihrer prägenden Künstler und einen Türöffner für viele, die lange draussen bleiben mussten. Welchen Stellenwert er hatte, zeigen die unzähligen Beileidsbekundungen von Künst­ler:in­nen, von Fans, Wegbegleiter:innen und Menschen, die sich durch ihn gesehen und sichtbar gemacht fühlten.