Uno-Mandat: Gute Dienste – schlechter Witz?

Die Schweiz hat einen Auftrag: im Nahen Osten für die Einhaltung des Völkerrechts zu sorgen. Was tun, wenn das diplomatische Wunder nicht gelingt?

Wer meint beschissen und sagt delikat? Der Diplomat.

Von einer delikaten Aufgabe spricht man wohl derzeit im Bundeshaus West, der Heimat des diplomatischen Corps des Eidgenössischen Departementes für auswärtige Angelegenheiten (EDA): Letzte Woche hat die Uno-Generalversammlung der Schweiz per Resolution das Mandat erteilt, im Nahen Osten für die Einhaltung des Völkerrechts zu sorgen.

Genauer gesprochen: Die Schweiz soll Israel dazu bewegen, den Mauerbau im Westjordanland zu stoppen, die bestehenden Abschnitte abzureissen und die PalästinenserInnen zu entschädigen. Anders kann man das Mandat nicht verstehen, nachdem der Internationale Gerichtshof die Mauer vor drei Wochen für völkerrechtswidrig erklärt und eine Schadenersatzpflicht festgestellt hat. ­Eine grosse Aufgabe für ein kleines Land! Aber hat die Schweiz nicht eine grosse Tradition auf dem Feld der guten Dienste? Ist das nicht eine helvetische Spezialität?

Vermitteln? Wir sind neutral!

Gute Dienste im grossen Stil leistete die Schweiz im Zweiten Weltkrieg. Mit über 200 Schutzmachtmandaten war sie die grösste Briefträgerin zwischen Staaten, die ihre diplomatischen Beziehungen abgebrochen hatten. Seither verschwand die Nachfrage nach dieser anspruchslosen Hilfeleistung allmählich (die Schweiz hat heute noch drei Schutzmachtmandate). Und gleichzeitig wurde die Tradition der guten Dienste im Inland ein fester Bestandteil des Mythos der Schweiz als eines weltweit geschätzten, neutralen Kleinstaats.

In Wahrheit wurden gute Dienste aus der vorgeblichen Sorge um die strikte Neutralität sogar vermieden: Als 1961 der Kalte Krieg mit dem Bau der Mauer in Berlin einen ersten Höhepunkt erreichte, liess die Schweiz die USA wissen, dass sie aus Rücksicht auf ihre Neutralität in keiner Form intervenieren werde. Und als ein Jahr später während der Kubakrise das Gerücht die Runde machte, die Schweiz habe ihre Vermittlungs­diens­te angeboten, dementierte der Bundesrat sofort. Auch die immer wichtiger werdenden multilateralen Friedensbemühungen im Rahmen der Uno unterstützte die Schweiz nicht oder nur widerwillig.

Ganze sechsmal versuchte sich die Schweiz in den letzten fünfzig Jahren als alleinige Friedensvermittlerin. Während der Suezkrise (1956) erzürnte sie damit die Grossmächte; beim Falklandkrieg (1984) verschlechterte ihr ungeschicktes Vorgehen das Klima zwischen Grossbritannien und Argentinien; erfolglos blieben die Schweizer Bemühungen auch im Falle des Vietnamkrieges (1968), des Biafrakonflikts (1969), des Afghanistankriegs (1991) und des ko­lum­bianischen Guerillakriegs (2000); nur einmal, beim algerischen Unabhängigkeitskrieg (1962), führte die Vermittlung zu einem Waffenstillstand, dem schliesslich die Unabhängigkeit folgte.

Vermitteln? Vielleicht!

Der Mythos der integralen Neutralität ist spätestens seit dem Uno-Beitritt vor zwei Jahren tot. Mit ihm darf man auch die Rede von den guten Diensten als Schweizer Spezialität vergessen. Die verhaltene offizielle Reaktion auf das Uno-Mandat (Aussenministerin Micheline Calmy-Rey: «Die Schweiz hat sich nicht um dieses Mandat bemüht», «Sie wird der Aufgabe mit Bescheidenheit, Realismus und Engagement nachkommen») war angebracht.

Realpolitisch hat die Resolution der Uno-Generalversammlung keine Bedeutung. (Völkerrechtlich verbindlich sind nur Resolutionen des Sicherheitsrates, und die USA haben bereits klar gemacht, dass sie dort gegen eine allfällige Resolution gleichen Inhalts ihr Veto einlegen würden.)

Was bleibt da für die Schweizer DiplomatInnen zu tun? Wie können sie verhindern, dass aus einem weiteren guten Dienst ein schlechter Witz wird?

Konferenzen organisieren ist derzeit sinnlos. Die Schweiz hat das schon zweimal erfahren. Die Palästinakonferenz von 1999 dauerte fünfzehn Minuten, diejenige von 2001 immerhin drei Stunden. Beide Male verweigerten die USA und Israel die Teilnahme. Vor der Vermittlung muss also verhandelt werden, mit Israel und vor allem mit den USA. An ihnen führt im Nahostkonflikt kein Weg vorbei.

Und Verhandlungen mit ihnen sind aus mehreren Gründen sehr hart. Ers­tens, so hört man in Bern, reden die Amerikaner Klartext. Sie sagen zum Beispiel: «We don’t like it. Full stop.» Zweitens, so stellt man fest, haben die eher zugänglichen DiplomatInnen des Aussenministeriums gegenüber den Hard­linern des Nationalen Sicherheitsrats und des Verteidigungsministeriums an Einfluss verloren. Anders gesagt: Die USA haben an Diplomatie derzeit kein Interesse. Und daran wird sich bis zur Präsidentschaftswahl in den USA Anfang November auch nichts ändern. Kurz, wenn die Schweiz vermitteln will, muss sie vorgängig verhandeln. Und Verhandlungen sind vernünftigerweise frühestens in vier Monaten möglich.

Vermitteln? Helfen!

Vielleicht gelingt dem diplomatischen Corps der Schweiz das Wunder: Vielleicht bringt es die zerstrittenen Parteien an einen Tisch. Was aber, wenn nicht?
Die Schweiz muss der Uno über die Abwicklung ihres Mandates früher oder später Bericht erstatten. Einen guten Dienst würde sie der Weltöffentlichkeit erweisen, wenn sie die Gelegenheit nutzen und klarstellen würde, an welchen Widerständen sie bei der Erfüllung ihres Mandates gescheitert ist.

In der Zwischenzeit kann sich die Schweiz vermehrt auf jene guten Diens-te konzentrieren, die niemand so nennt: auf die praktische Friedensförderung, die humanitäre Hilfe und die Entwick-lungszusammenarbeit. Die Schweiz un­terstützt israelische, palästinensische und internationale Basisorganisationen bei der Friedensarbeit, sie hilft Flüchtlingen, trägt in Palästina das Bildungswesen mit und fördert den wirtschaftlichen (Wieder-)Aufbau.

Diese Aufgaben sind nicht nur dringend, sie sind auch zäh, oft frustrierend und immer heikel. Nur eines sind sie nicht: delikat.