Nahost: Seit 35 Jahren werden Friedensinitiativen blockiert: Sie sollen leben wie die Hunde

Der Schlüssel für eine Lösung des Nahost-Problems liegt in Washington, das den israelischen Regierungen immer wieder die Ablehnung von Verhandlungen ermöglicht.

Vor vier Jahren hat der israelische Wissenschaftler Schlomo Ben-Ami das Ziel des Prozesses von Oslo exakt analysiert. «Die Vereinbarungen von Oslo basieren auf einer neokolonialistischen Strategie, auf einer dauerhaften Abhängigkeit der einen von der anderen Seite», schrieb Ben-Ami 1998 – das war, bevor er in die Regierung des vormaligen Ministerpräsidenten Ehud Barak eintrat und Baraks Chefunterhändler bei den Camp-David-Gesprächen wurde. Diese Vereinbarungen, so Ben-Ami, hätten das Ziel gehabt, den PalästinenserInnen auf Dauer eine «fast völlige Abhängigkeit von Israel» aufzuzwingen und eine «koloniale Situation» zu schaffen. Im Rahmen von Oslo sollte die palästinensische Selbstverwaltung, die eigene Bevölkerung im Kontext der Abhängigkeit von Israel kontrollieren.

Unter dieser Vorgabe entwickelte sich Schritt für Schritt der Friedensprozess, und diesem Ziel dienten auch die Vorschläge von Camp David. Die im Sommer 2000 vom früheren US-Präsidenten Bill Clinton und von Barak formulierten Positionen wurden damals als «bemerkenswert» und «grossmütig» gefeiert, tatsächlich aber liefen sie auf ein Bantustan hinaus. Das wird auch der Grund dafür gewesen sein, dass es die US-Presse damals sorgfältig vermied, Karten zu veröffentlichen. Gewiss, der Clinton-Barak-Vorschlag enthielt einige Verbesserungen, aber er blieb bei der Bantustan-ähnlichen Aufteilung der palästinensischen Siedlungsgebiete nach dem Vorbild Südafrikas in den dunkelsten Tagen der Apartheid.

Dieser Plan wurde nun zugunsten der Zerstörung der palästinensischen Selbstverwaltung in die Schublade gelegt. Israel betreibt die Vernichtung all jener Institutionen, die Clinton und seine damaligen israelischen Partner für die Verwaltung ihres Bantustan vorgesehen hatten. Und greift nun sogar jene palästinensischen Personen an, denen vor kurzem noch eine Rolle als eine Art schwarze Bantustan-Führer zugedacht war; dass sie nicht getötet werden, hat wohl mit drohenden internationalen Konsequenzen zu tun. Der prominente israelische Gelehrte Ze’ev Sternhell schreibt, dass das Vorgehen der israelischen Regierung eine «koloniale Polizeimassnahme» darstelle, «die an die Besetzung der schwarzen Armenviertel durch die weisse Polizei in Südafrika während der Apartheid erinnert». Die neue Politik fällt noch hinter das Bantustan-Modell zurück. Allerdings darf nicht vergessen werden, dass es sich der Westen zu einfach macht, wenn er nur Ariel Scharon tadelt. Scharon beging viele seiner schlimmsten Gräueltaten während der Regierungszeit der Arbeitspartei. Als Kriegsverbrecher kommt Schimon Perez Scharon ziemlich nahe.

Es gibt Wichtigeres als Frieden

Aber die Hauptverantwortung für die Geschehnisse der letzten dreissig Jahre liegt in Washington. Dies zeigte sich auch bei der Resolution des Uno-Sicherheitsrates vom 30. März. Die Hauptfrage war, ob ein sofortiger israelischer Rückzug aus Ramallah und den anderen palästinensischen Gebieten, in die israelische Truppen gerade eingedrungen waren, gefordert werden sollte – oder ob man zumindest den Zeitpunkt für einen solchen Rückzug nennen sollte. Doch die US-Position setzte sich durch. Heraus kam nur ein vager Aufruf für einen «Rückzug der israelischen Truppen aus den palästinensischen Städten» ohne Zeitrahmen. Die Resolution entspricht der offiziellen US-Haltung, wonach Israel angegriffen werde und das Recht auf Selbstverteidigung habe, aber bei der Bestrafung der PalästinenserInnen nicht zu weit gehen (beziehungsweise dabei nicht gesehen werden) sollte. Dass die PalästinenserInnen auch dank der militärischen, ökonomischen und diplomatischen Unterstützung der USA für Israel seit 35 Jahren unter einer militärischen Besetzung leben müssen, wurde natürlich nicht erwähnt.

Was in Israel und Palästina geschieht, spielt für die Globalmacht USA nur eine untergeordnete Rolle. Für ihre Politik sind andere Faktoren ausschlaggebend – insbesondere die Kontrolle über die wichtigsten Energiequellen der Welt. In diesem Zusammenhang nahm die US-amerikanisch-israelische Allianz Gestalt an. 1958 kam der Nationale Sicherheitsrat der USA zum «logischen Schluss», dass nur mithilfe einer Unterstützung Israels dem wachsenden arabischen Nationalismus begegnet werden könne. Diese anfangs eher lockere Allianz wurde 1967 zu einem festen Bündnis, als Israel der US-Macht den wichtigen Dienst leistete, die Hauptkräfte des säkularen arabischen Nationalismus zu besiegen, der als Bedrohung der US-Herrschaft über die Golfregion betrachtet wurde. Das Bündnis überdauerte auch das Ende des Kalten Krieges; die US-Militärbasis Israel bildet heute mit der Türkei ein Kernstück der US-Strategie in dieser Region.

Verstösse der eigenen Führung

Deswegen unterstützt Washington grundsätzlich die israelische Unterdrückung der palästinensischen Bevölkerung und die Integration der besetzten Gebiete. Bis heute blockiert die US-Regierung alle Schritte in Richtung einer diplomatischen Lösung, ja selbst einer Minderung der Gewalt. Deswegen verhinderte sie am 15. Dezember 2001 mit ihrem Veto eine Resolution des Uno-Sicherheitsrates zur Umsetzung des Mitchell-Plans und zur Entsendung von internationalen BeobachterInnen. Deswegen boykottierte Washington auch die Konferenz von Vertragsstaaten der Vierten Genfer Konvention am 5. Dezember 2001, an der sogar Britannien teilnahm, die erneut bekräftigte, dass die Genfer Konvention auch für die besetzten Gebiete gilt (die US-israelischen Aktionen mithin ein Kriegsverbrechen darstellen). Dabei hatte diese Konferenz nur bestätigt, was der Uno-Sicherheitsrat im Oktober 2000 beschlossen hatte (die USA enthielten sich der Stimme) und was seit langem offizielle US-Politik ist (formell deklariert auch von George Bush senior während seiner Amtszeit als Uno-Botschafter). In all diesen Fällen haben die USA sich entweder der Stimme enthalten oder ihr Veto eingelegt – wohl auch deswegen, weil die USA als Vertragsstaat völkerrechtlich verpflichtet sind, Verstösse gegen die Genfer Konventionen zu bestrafen – auch die der eigenen politischen Führung.

Die US-Position zeigte sich auch in ihrer Haltung gegenüber dem arabischen Gipfel und dem Plan der saudi-arabischen Regierung, der lediglich die Grundzüge eines seit langem bestehenden internationalen Konsenses wiederholte: Israels Rückzug aus den besetzten Gebieten im Rahmen eines allgemeinen Friedensabkommens, das jedem Staat in der Region – einschliesslich Israel und Palästina – das Recht auf Frieden und Sicherheit innerhalb der anerkannten Grenzen zusichert. Die Idee ist nicht neu. Schon 1976 hatte praktisch die gesamte Welt – einschliesslich der PLO, der wichtigsten arabischen und europäischen Länder, der Sowjetunion und der blockfreien Staaten – eine Resolution des Uno-Sicherheitsrates mit diesen Grundzügen befürwortet. Nur Israel und die USA waren dagegen – die Resolution scheiterte denn auch am Veto der USA.

Wer gehen will, soll gehen

Die Ablehnung der USA von allen Friedensvorschlägen reicht sogar noch weiter zurück. Im Februar 1971 hatte der damalige ägyptische Präsident Anwar al-Sadat Israel einen Friedensvertrag angeboten, wenn sich dafür Israel aus Ägypten zurückzieht (vom Schicksal der PalästinenserInnen war in Sadats Offerte nicht die Rede). Die seinerzeit in Israel regierende Arbeitspartei lehnte das Angebot ab, verfolgte weiterhin mit grosser Brutalität die Besiedlung im nordöstlichen Sinai und löste damit den Krieg von 1973 aus. Mosche Dayan, immerhin einer der wenigen Führer der Arbeitspartei, die das Schicksal der Palästinen- serInnen nicht ganz mitleidlos betrachteten, sagte damals im Kreise seiner Kabinettskollegen, dass Israel keine Lösung habe und dass die PalästinenserInnen «auch künftig wie Hunde zu leben» hätten – «wer gehen will, soll gehen».

Sadats Initiative entsprach wie auch spätere jordanische Offerten durchaus den offiziellen Verlautbarungen der US-Regierung – tatsächlich aber folgte Washington der Richtlinie des US-Sicherheitsberaters und Aussenministers Henry Kissinger: keine Verhandlungen, nur Gewalt. Dieser unerbittlichen Position fiel 1981 auch der Plan des saudi-arabischen Kronprinzen Fahd zum Opfer, dessen Grundzüge jetzt wieder auftauchen (Rückzug gegen Anerkennung). Selbst die konservative Presse nannte seinerzeit die isrealische Reaktion auf Fahds Vorschlag «hysterisch». Schimon Perez sah in der Vermittlungsinitiative «Israels Existenz bedroht», und Staatspräsident Chaim Herzog – er galt als moderater Politiker – entdeckte die Handschrift der PLO in Fahds Plan; als Israels Uno-Botschafter hatte er 1976 mit ebendiesem Argument die Uno-Resolution des Sicherheitsrates zurückgewiesen. Der Schlüssel für eine Lösung der Probleme, das zeigt die Geschichte, liegt in Washington. Denn dort liegt auch ein Gutteil ihrer Ursache.