US-Wahlen: Beschränkte Hoffnung

Was werden die HistorikerInnen einst über den ersten US-Präsidenten des 21. Jahrhunderts sagen? Gut möglich, dass die Amtszeit von George Bush in die Geschichtsschreibung eingehen wird als die Epoche, in der sich die USA so viel Sympathien und Freunde in der Welt verscherzt haben wie nie zuvor in ihrer knapp 230-jährigen Geschichte. In Europa und Kanada, wo noch vor drei Jahren am deutlichsten Betroffenheit über die Terroranschläge vom 11. September 2001 sowie «uneingeschränkte Solidarität» mit den USA und ihrer Bevölkerung bekundet wurde, ist das Vertrauen in die Aussenpolitik der Bush-Regierung restlos zerstört. Grund dafür sind etwa die Lügen und Manipulationen, mit denen die Regierung den Irakkrieg zu rechtfertigen suchte. Auch der rüde Stil und der Umgangston der Bush-Mannschaft haben wesentlich zu der Entfremdung zwischen den USA und ihren westlichen Verbündeten beigetragen. Könnten die BürgerInnen Kanadas und Europas am nächsten Dienstag mitwählen, würden überall – ausser in Polen – grosse Mehrheiten für John Kerry stimmen.

Folgenreicher für den weiteren Verlauf der Weltpolitik ist allerdings die Eskalation der Verfeindung zwischen der islamischen Welt und dem Westen, die George Bush mit seiner Aussenpolitik bewirkt hat. Sollte der Herr im Weissen Haus auch in den nächsten vier Jahren George Bush heissen, droht eine Fortsetzung der bisherigen Aussenpolitik – in der Substanz wie im Stil. Eine «geläuterte zweite Amtszeit» wie unter Ronald Reagan zwischen 1984 und 1988 ist von Bush kaum zu erwarten. Die neokonservativen Eiferer hinter Bush wollen ihr Programm vollenden. Weitere Kriege der USA – ob gegen Iran, Syrien oder Nordkorea – sind ein durchaus denkbares Szenario für die nächsten vier Jahre. Militärisch wären die USA dazu allerdings nur in der Lage nach einem vollständigen oder zumindest weitgehenden Abzug ihrer Besatzungstruppen aus dem Irak.

Demokratische Falken

Allerdings: Sollte John Kerry die Wahl gewinnen, wird sich seine Aussenpolitik nur unwesentlich von derjenigen der Bush-Regierung unterscheiden. Darauf deuten nicht nur Kerrys eigene Aussagen in diesem Wahlkampf hin – etwa zur Bekämpfung des Terrorismus oder zum weiteren Vorgehen im Irak –, sondern vor allem auch die Kräfteverhältnisse in der Demokratischen Partei, programmatische Festlegungen im Vorfeld dieser Wahl sowie die Namen, die für die wichtigsten aussen- und sicherheitspolitischen Posten in einer eventuellen Kerry-Regierung gehandelt werden.

Die Demokratische Partei ist seit Ende der achtziger Jahre in aussenpolitischen Fragen tief gespalten: Auf der einen Seite steht der militär- und interventionskritische Flügel. Dazu gehört Howard Dean, der bei den Vorwahlen im Frühjahr antrat, und auch die erfolglosen Präsidentschaftskandidaten George McGovern (1972), Michael Dukakis (1984) und Walter Mondale (1988). Auf der anderen Seite stehen die 1988 gegründeten Neuen Demokraten, die in der Tradition der Präsidenten Woodrow Wilson und Harry Truman für einen «muskulösen Internationalismus» eintreten. Zu diesem Flügel gehören sowohl John Kerry wie auch der ehemalige Präsident Bill Clinton. Weiter zählen Clintons damaliger nationaler Sicherheitsberater Sandy Berger sowie sein Chefdiplomat und Uno-Botschafter Richard Holbrooke dazu. Beide sind heute wichtige Vertraute Kerrys. Ebenso im Bunde ist der führende Vertreter der Demokraten im aussenpolitischen Senatsausschuss, Joseph Biden. Holbrooke und Biden gelten in Washington als aussichtsreichste Anwärter auf den Posten des Aussenministers in einer Kerry-Regierung.

Die Neuen Demokraten gewannen bereits in der zweiten Amtszeit von Clinton die Oberhand in der Partei. Ihre aussen- und sicherheitspolitischen Vorstellungen von einem «progressiven Internationalismus» haben sie vor einem Jahr in einer «Demokratischen Sicherheitsstrategie» (DSS) niedergeschrieben. In völliger Übereinstimmung mit der Bush-Regierung definieren die Neuen Demokraten in diesem Dokument die «gefährliche Verknüpfung zwischen Terrorismus, gescheiterten Staaten, Schurkenstaaten und Massenvernichtungswaffen» als grösste sicherheitspolitische Bedrohung. «Demokraten glauben, dass eine entschiedene US-Führerschaft wesentliche Voraussetzung ist, eine Welt im Einklang mit unseren Interessen und Werten zu formen», wird in der DSS der Anspruch auf die globale Vormachtstellung der USA begründet. Auch bei der Wahl der Mittel zur Durchsetzung dieser Vormachtstellung unterscheiden sich die Neuen Demokraten kaum von der Bush-Politik: «Die Demokraten werden die technisch fortschrittlichste und fähigste Armee erhalten, und wir werden nicht davor zurückschrecken, sie zur Verteidigung unserer Interessen überall in der Welt einzusetzen.» Mit Blick auf den präventiven Einsatz militärischer Mittel wird in der DSS lediglich kritisiert, dass die Bush-Regierung im September 2002 «diese Option, die sich bislang jeder amerikanische Präsident im Stillen offen gehalten hat, zu einer erklärten Sicherheitsdoktrin erhoben hat, die Freunde wie Feinde erschreckt». Die aussenpolitischen Passagen der Wahlkampfreden von Kerry sowie seines im Frühjahr erschienenen Buches «A Call to Service: My Vision for a Better America» sind fast sämtlich wörtliche Zitate aus der DSS. Zu deren wichtigsten Autoren gehören Ronald D. Asmus und Kenneth M. Pollack, die den völkerrechtswidrigen Irakkrieg der Bush-Regierung und ihr erklärtes Ziel einer gewaltsamen «Transformation des Mittleren Ostens zu Demokratie und Marktwirtschaft» öffentlich und vehement unterstützt haben. Beide sind für hochrangige Posten in einer Kerry-Regierung vorgesehen.

Europa einbinden

Veränderungen sind aber in der Rüstungs- und Rüstungskontrollpolitik der USA zu erwarten – zumindest deuten bisherige Äusserungen Kerrys und Senator Bidens darauf hin. Beide sind gegen den von der Bush-Regierung betriebenen Aufbau eines Raketenabwehrschildes sowie gegen die Produktion neuer Atomwaffen, die für Präventivschläge gegen unterirdische Bunker eingesetzt werden sollen. Und Kerry plädierte bislang dafür, der Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen durch Rüstungskontrollabkommen entgegenzuwirken, und sprach sich für entsprechende Verhandlungen mit Nordkorea und Iran aus.

Ändern dürften sich auch Stil und Ton der US-Aussenpolitik. Apodiktische Sätze wie «Wer nicht für uns ist, ist gegen uns», rüde Ausfälle eines US-Verteidigungsministers gegen ungehorsame Verbündete oder ein Präsident, der seine Kriegspolitik blasphemisch mit «Gottes Auftrag» begründet – all das wird von einer Kerry-Regierung kaum zu hören sein. Der erklärte Multilateralist aus Boston will sich um die frühzeitige Abstimmung mit den Verbündeten bemühen – mit der Absicht, sie möglichst weitgehend in die US-amerikanische Globalpolitik einzubinden. Im Unterschied zur Regierung Bush wollen die Demokraten «Führung primär nicht durch Erpressung, sondern durch Überzeugung ausüben», heisst es in der «Demokratischen Sicherheitsstrategie». Unmissverständlich formuliert die DSS aber auch die Grenzen des Multilateralismus unter einem Präsidenten Kerry: «Unser Leitprinzip ist, zusammen, wenn wir können, allein, wenn wir müssen.»