Weltwirtschaftsforum: Ein Who's-Who des Protestes: Eins, zwei, drei... viele Gegen-Davos
Jedes Jahr dasselbe am World Economic Forum (Wef). Bei den KritikerInnen dagegen ist Bewegung.
Am letzten Januarwochenende findet in Davos jeweils das Jahrestreffen des World Economic Forum (Wef) statt. Während es bis vor einigen Jahren geräuschlos über die Bühne ging, füllt neuerdings der Widerstand gegen den Grossaufmarsch des Einheitsdenkens den Zeitungen schon Wochen im Voraus das Januarloch.
Das Wef ist aus einem reinen Managerseminar herausgewuchert, es ist kein Gipfel, kein Verhandlungsforum, hat kein Mandat und keine öffentlich legitimierten Regeln. Die ManagerInnen der tausend grössten Unternehmen, PolitikerInnen und Medienbosse nehmen als Privatpersonen in Davos teil. Aber sie alle sind in der Terminologie des Wef «Führer», die in Davos die Fahrpläne austüfteln, denen die Völker in den nächsten Jahren folgen sollen – meistens halten die Pläne allerdings nicht einmal bis zum nächsten Treffen.
Das Forum leitet aus der objektiven Machtballung die Kapazität zur Lösung drängender Probleme ab. Das war schon immer so, in Zukunft sollen «task forces» auch ganz offiziell «Probleme von besonderer gesellschaftlicher Relevanz bearbeiten und ihre Lösungsvorschläge in Davos präsentieren», so Wef-Generaldirektor Claude Smadja. Dabei wirkt auf dem «Zauberberg» der «Geist von Davos», wie Klaus Schwab, der Gründer des Forums, weiss: «Am Ende haben dann alle ein Gemeinschaftsgefühl, dass etwas gut oder eben nicht so gut gehen wird.»
Das Wef ist ein Ärgernis, und es wird auch nicht besser, wenn zusätzlich ein paar «NGO-Leader», «Führer der Zivilgesellschaft» und Manager von multinationalen Konzernen wie Greenpeace dabei sind. Auf deren feste Umarmung zielt das diesjährige Motto: «Gegensätze überbrücken: Eine Landkarte für die globale Zukunft schaffen». Ein Schlüsselthema des Wef für das Jahr 2001 lautet: «Welche Art von Partnerschaft zwischen Regierungen, Geschäftsleuten und Zivilgesellschaft braucht es, damit die Früchte des Wachstums und der Globalisierung auf nationaler und internationaler Ebene besser verteilt werden können?» Wollt ihr die totale Zivilgesellschaft?
Rein oder nicht rein
Zu ersten Störungen der Bergruhe kam es 1994, als KurdInnen und SympathisantInnen der mexikanischen Zapatistas gegen die Anwesenheit von Delegationen aus der Türkei und Mexiko protestierten. Die diesjährigen Proteste erreichen eine nie gesehene Breite und Vielfalt, was im Wesentlichen der Arbeit der Anti-WTO-Koordination, der Erklärung von Bern (EvB), Attac und der Theologischen Bewegung (TheBe) zu verdanken ist.
Zwischen den vier Gruppen und Organisationen fanden in den letzten Monaten einige gemeinsame Treffen statt. Es ging darum, die Aktivitäten zu koordinieren, um sich nicht gegenseitig im Weg zu stehen. Inhaltliche und politische Diskussionen standen nicht im Vordergrund. Differenzen bestehen in der Frage, wie die Ablehnung des Wef zum Ausdruck gebracht werden soll. Die Anti-WTO-Koordination hat eine Aktionsplattform verfasst, darin heisst es: «Wir nehmen eine konfrontative Haltung gegenüber dem Wef ein, die den Dialog und jegliche Lobbyarbeit ausschliesst.» Einerseits will die Anti-WTO-Koordination damit die fehlende Legitimität des Wef betonen, andererseits will sie ein klares Signal gegen das aktive Werben des Wef um «die Zivilgesellschaft» setzen. Statt zum «Dialogisieren» sollten die Energien besser darauf verwendet werden, eine Gegenmacht von unten zu stärken, sagt Michael Zemp von der Anti-WTO-Koordination.
In diesem Punkt geht die Plattform den VertreterInnen der Erklärung von Bern zu weit. Die EvB hatte letztes Jahr ein Podium mit Klaus Schwab und dem damaligen ABB-Chef Göhran Lindahl organisiert. Der Kontakt zum Wef sei zu Beginn der Public-Eye-Kampagne aufgenommen worden, «um dem Wef Gelegenheit zu geben, Stellung zur NGO-Kritik nehmen», sagt Jolanda Piniel, die die EvB-Programmstelle Davos betreut. Schwab und Lindahl nutzten das gebotene Forum aber lediglich, um ihre Weltverbesserungsabsichten zum Besten zu geben. Deshalb verzichtet die EvB in diesem Jahr auf Dialog und Lobbying. Trotzdem unterschrieb sie die Plattform nicht.
«Auch wenn wir mit dem Public Eye on Davos eine andere Strategie verfolgen, wollen wir uns nicht von NGO-MitarbeiterInnen distanzieren, die am Wef teilnehmen», sagt Jolanda Piniel. Victoria Tauli-Corpuz von der philippinischen Stiftung Tebtebba, die Forschungsprojekte über die Auswirkungen der Globalisierung auf indigene Völker fördert, begründet in einem Interview mit der «EvB-Dokumentation» ihren Entscheid zur Teilnahme. Sie macht sich über den Spielraum am Wef keine Illusionen: «Das Treffen hat in erster Linie das Ziel, neue und innovative Ideen zum Ausbau des globalen kapitalistischen Marktes zu formulieren, zu entwerfen und zu verteidigen. Daher ist auch der Platz und die Toleranz für abweichende Meinungen so begrenzt.» Trotzdem hält Victoria Tauli-Corpuz die Teilnahme für sinnvoll: «NGOs können in dieser Art von Meeting versuchen, andere Aspekte der Realität aufzuzeigen, welche die Davos-Männer entweder nicht kennen oder nicht kennen wollen. Die eingeladenen NGOs sollten sich dafür einsetzen, dass die Realität all jener, die unterdrückt, ausgeschlossen und marginalisiert werden, Teil der Debatte wird, selbst wenn wir uns wie Stimmen in der Wildnis anhören.» Die Gefahr der Vereinnahmung sieht allerdings auch sie: «Daher sollten wir als NGO-Teilnehmerinnen und -Teilnehmer immer wieder betonen, dass wir nicht die gesamte Zivilgesellschaft repräsentieren. Falls wir nur dort sind, damit sie sagen können, sie würden auch NGOs einladen, dann sollten wir nicht mehr hingehen.»
Gewalt am Rande
Das Thema, das die Boulevardmedien so sehr beschäftigt (die «Chaoten», die Davos «brennen» sehen wollen), sucht man bei den OrganisatorInnen der Proteste vergebens. «Militanz bedeutet für uns nicht, einfach etwas kaputtzuhauen. Militanz ist für mich zuallererst eine Haltung, um ein Ziel zu erreichen; über die Mittel dazu müssen wir immer wieder diskutieren», sagt Anna Zehnder von der Anti-WTO-Koordination. An verschiedenen Vorbereitungstreffen wurde intensiv über Militanz und Gewalt sowie über die Formulierung von «Guidelines» für die DemoteilnehmerInnen diskutiert. Die Debatte darüber fand auch in einem Internet-Forum statt, das später geschlossen wurde, weil sich Journalisten vereinzelte gewaltverherrlichende Zitate rauspickten und es nach den «Blick»-Berichten von rechten Gewaltaufrufen (Demonstranten zusammenschlagen, erschiessen etc.) überschwemmt wurde. Die mittlerweile berühmt gewordene Schlagzeile «Davos wird brennen» stammte aus einem Forumsbeitrag, in dem zum falschen Ort und zur falschen Zeit zur Demo aufgerufen wurde. Wer hat wohl ein Interesse daran, mit derselben E-Mail gleichzeitig Gewaltpanik zu schüren und Demonstrationswillige zu verwirren?
Für Marco Feistmann von Attac ist es «eine Frage der politischen Intelligenz, einzusehen, dass es wirksamer ist, friedliche Aktionen zu machen und Inhalte zu vermitteln, statt den Medien Gewaltszenen zu bieten». Attac sei aber nicht nur aus Image-Gründen für eine friedliche Demo, «sondern auch weil wir an einer effektiven gesellschaftlichen Verankerung der Antiglobalisierungsbewegung interessiert sind. Dazu muss man von den üblichen Ritualen wegkommen, die ja von den wirklichen Gewaltakteuren, den Wef-Teilnehmern, ablenken.» Auch ohne «Guidelines» rief Attac zu einer «breiten» Demonstration in Davos auf. Für die EvB und die TheBe fehlte hingegen ein klares Bekenntnis der Demo-OrganisatorInnen zur aktiven Gewaltfreiheit. Aber auch Jolanda Piniel will nicht, dass die Protestszene in gut und böse gespalten wird, auch wenn das in vielen Medienberichten so dargestellt wird. «Es gibt zwei Strategien, die aus unterschiedlichen Herangehensweisen und anderen Kulturen entstanden sind – der Protest der Strasse und die inhaltliche Konferenzdebatte. Beide ergänzen einander, werden aber unabhängig voneinander organisiert.»
Das World Economic Forum hat der Schweizer Linken eine der vielfältigsten Mobilisierungen der letzten Zeit beschert, die von autonomen Basisgruppen bis zu etablierten Organisationen, von linksradikalen bis zu christlichen Kreisen reicht. Dabei lässt man sich leben, niemand verspürt das Bedürfnis, zuerst einmal die innerlinken Differenzen auszuwalzen, und alle Beteiligten sind für hiesige Verhältnisse aussergewöhnlich welt- offen und international vernetzt. Thanks Wef.