Wie stellen sich die globalisierungskritischen Organisationen zum Wef?: Mit dem Wef. Neben dem Wef. Gegen das Wef.

Bei Shell für Verbesserungen lobbyieren oder mit Friedensliedern demonstrieren: das Who is who der Schweizer GlobalisierungskritikerInnen.

Die Dialogbereiten

Christoph Stückelberger, Generalsekretär von Brot für alle, findet «Orte der internationalen Auseinandersetzung» sinnvoll, so auch das Weltwirtschaftsforum (Wef). Zusammen mit dem Evangelischen Kirchenbund, Swisspeace, Terre des Hommes und der Max-Havelaar-Stiftung organisiert Stückelberger während des Wef das Open Forum in Davos. Diese öffentliche Veranstaltungsreihe wird vom Wef mitgetragen. Stückelberger unterhält sich dort zum Beispiel mit Novartis-Chef Daniel Vasella über die Frage «Können Wirtschaftsinteressen vereinbar sein mit ethischen Verpflichtungen?».

Wirtschaftsethikprofessor Stückelberger kann sich eine hundert Prozent fair funktionierende gewinnorientierte Wirtschaft vorstellen; eine Art moralisch einwandfreien Kapitalismus. Der Weg dorthin führe über Lobbyarbeit mit fortschrittlicheren Unternehmen, die aus der Kritik gelernt hätten, zum Beispiel BP oder Shell.

Vom Dialog Enttäuschte

Zwischen den Lagern stehen die OrganisatorInnen der internationalen Konferenz «The Public Eye on Davos». Mitbeteiligt sind die Erklärung von Bern (EvB), Pro Natura, Friends of the Earth International und anderen nichtstaatliche Organisationen (NGOs) aus Europa und dem Süden. Das «Public Eye» fand erstmals 2000 statt, damals in Zusammenarbeit mit Wef-Teilnehmern. Der geplante Dialog sei allerdings keiner gewesen: «NGOs wurden in den Diskussionen nicht als gleichberechtigte Partner wahrgenommen», schreibt die EvB. Seither führen die NGOs ihr «Public Eye» als unabhängige Konferenz durch. Dort fliessen die Ergebnisse ihrer Arbeit ein. Die EvB etwa leistet unverzichtbare Recherche- und Öffentlichkeitsarbeit, welche die oftmals fragwürdige Rolle von Schweizer Konzernen in den Ländern des Südens thematisiert.

Noch nie dialogbereit

Das Oltner Bündnis (OB) ist ein Zusammenschluss von Politgruppen wie Attac, Direkte Solidarität mit Chiapas, der Anti-WTO-Koordination Bern, der Theologischen Bewegung sowie von linken Parteien und Einzelpersonen. Die staatlich propagierte Spaltung in «dialogbereite, durchaus friedliche NGOs» und «gewaltbereite Elemente» lehnt das OB ab. Ein echter Dialog sei nur unter gleichen PartnerInnen möglich. «Dialoge, über deren Rahmen allein die ‘Global Leaders’ entscheiden, sind das Feigenblatt, mit dem sie ihre Globalisierung rechtfertigen wollen.»

Der Gewaltfrage begegnet das OB mit dem Grundsatz: «Wir treten dafür ein, dass die körperliche Unversehrtheit aller respektiert wird.» Unter dem Begriff Gewalt würden alle etwas anderes verstehen. Die Grüne Partei etwa, selbst Mitglied im OB, meint: «Von den Demonstrierenden wird ein Bekenntnis zum Gewaltverzicht verlangt. Doch warum verlangt niemand ein solches Bekenntnis von den Wef-TeilnehmerInnen?» Zu fragen wäre auch, ob Sitzstreiks oder Blockaden schon als Gewalt definiert werden.

Schnell wachsende Bewegung

Die international agierende Attac entstand 1998 mit der Forderung einer Besteuerung von Finanztransaktionen (Tobin-Steuer). Die Idee dazu propagierte «Le Monde diplomatique»-Direktor Ignacio Ramonet in einem Leitartikel. Attac weitete ihr Betätigungsfeld aber aus und ist heute vor allem auch in der Verteidigung des Service public aktiv.
Attac engagiert sich momentan prioritär gegen einen Krieg im Irak. In Zürich organisiert Attac Schweiz diesen Donnerstag den Kongress «Das Andere Davos». Andere Politgruppen kritisieren an Attac ein zuweilen dominantes Auftreten. Die Organisation suggeriere, das eigentliche Zentrum der Globalisierungskritik zu sein. Für politikinteressierte Junge bietet Attac einen grossen Vorteil: Im Gegensatz zu den nicht institutionalisierten, linksradikalen Gruppen kann man einfach Mitglied werden.

Gewaltfrei und gegen den Dialog

Von den christlichen Gruppen sind vor allem die Theologische Bewegung für Solidarität und Befreiung (TheBe) und die Religiös-Sozialistische Vereinigung (Resos) gegen das Wef aktiv. Die TheBe entstand in den achtziger Jahren aus Solidarität vor allem mit Lateinamerika und den Opfern der Apartheid, während die Resos sich auf Leonhard und Clara Ragaz beruft und sich den Aufbau eines demokratischen Sozialismus auf christlicher Basis zum Ziel gesetzt hat. Beide Gruppen lehnen den Dialog mit dem Wef ab. Den TheBe-Leuten gelang es vor zwei Jahren fast als Einzigen, durch alle Polizeikontrollen zu schlüpfen und in Davos gegen das Wef zu demonstrieren. Die Demo war schliesslich geprägt von Gesängen wie «Dona nobis pacem». Die Gleichung «gegen Dialog sein heisst gewaltbereit» führten sie so ad absurdum.

Revolutionäre Rhetorik

Der Revolutionäre Aufbau arbeitet daran, «die KapitalistInnen und mit ihnen die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen» endlich in den «Mülleimer der Geschichte» zu stopfen. Die Gruppe ist nicht formell hierarchisch, aber wer ihr beitreten will, muss zuerst ausgiebig Schulungsseminare besuchen und wird genau geprüft. «Als KommunistInnen demonstrieren wir in Davos, weil sich hier einige der mächtigsten Vertreter des Klassenfeinds einfinden», schreibt der Aufbau.
Die meisten Medien können oder wollen nicht zwischen Aufbau und Autonomen unterscheiden, obwohl sich die beiden Gruppen nur am 1. Mai und zum Streiten treffen.

Radikale Vielfalt

Autonome linksradikale Gruppen mobilisieren schon lange gegen das Wef. So demonstrierten 1994 dutzende in Davos, die sich mit dem eben beginnenden Aufstand der Zapatistas in Chiapas (Mexiko) solidarisierten. Der mexikanische Präsident Ernesto Zedillo war einer der Gäste des Wef. Im Frühling 1998 gründeten Linke aus verschiedenen Städten die Anti-WTO-Koordination. Diese Gruppe nahm die Welthandelsorganisation WTO ins Visier, einen eigentlichen Globalisierungsmotor, welcher primär die Interessen der reichen Industriestaaten vertritt. Die WTO-Tagung vom 18. bis 20. Mai 1998 in Genf wurde von heftigen Demonstrationen begleitet.

Spätestens hier beginnt die Geschichte der globalisierungskritischen Bewegung in der Schweiz, eineinhalb Jahre bevor in Seattle mit einer Grossdemonstration gegen die WTO die internationale Bewegung so richtig ins öffentliche Bewusstsein rückte. Neu waren viele Aktionsformen, zum Beispiel «Reclaim the Streets»-Partys zur tanzenden Rückeroberung des öffentlichen Raumes, neu war auch, dass sich wirklich internationale Netzwerke wie Peoples’ Global Action bildeten. Die Bewegung begann sich zu globalisieren. Viele AktivistInnen kommen aus Solidaritätsgruppen, feministischen Gruppen oder auch der Asylbewegung.

Autonome sind überzeugt, dass Politik und gesellschaftliche Fragestellungen nicht an Institutionen delegiert, sondern selbstverantwortlich angegangen werden müssen. Wenn sie das Wef kritisieren, geht es nicht nur um die Ausbeutung in der Ferne, sondern auch um die Verhältnisse hier: Was macht die Putzfrau des Global Leaders?

Die Forderung nach einer homogenen, straff organisierten Gegenmacht zum Neoliberalismus in Europa, wie sie etwa der französische Soziologe Pierre Bourdieu propagierte, widerspricht dem Selbstverständnis vieler Autonomer: «Eine Gleichschaltung der Bewegung und ihrer Vielfältigkeit würde letztlich ihren Tod bedeuten», schreibt die Anti-WTO-Koordination Lausanne.