Wenns brennt, kommt ein Uber
Konzentrationsprobleme hatten die Leute schon früher, aber Internet und Social Media werden das Problem kaum entschärft haben. Zumindest die Protagonistin von Elias Hirschls neuem Roman dürfte das so sehen: «Ich habe seit Monaten keine Bücher mehr gelesen», bekennt sie einmal, um gleich zu ergänzen: «Mit Monaten meine ich die letzten zwei bis drei Jahre. Und mit Büchern meine ich alles, was mehr als 280 Zeichen hat.»
Klarer Fall: Hirschls Ich-Erzählerin ist Opfer des immer schneller und immer greller auf diversen Onlineplattformen feilgebotenen Contents. Zugleich ist sie aber auch Täterin: Sie arbeitet irgendwo in Westdeutschland bei Smile Smile Inc., einer dubiosen Firma mit Hauptsitz in einem fernen Steuerparadies. Die Angestellten des Unternehmens sind Clickworker im Wortsinne, sie fertigen anspruchslose Inhalte fürs Netz, die den Kunden wiederum möglichst viel Datenverkehr bescheren sollen. Dabei geht es etwa um Listicles, also Texte mit aufmerksamkeitsheischenden Titeln wie: «Elf grossartige Tipps, dein Leben in den Griff zu bekommen – Nummer sieben wird dich überraschen!»
Die namenlose Antiheldin hat ihr Leben derweil überhaupt nicht im Griff, weder privat noch beruflich. Was Letzteres angeht, machen Hirschls Schilderungen aus dem Alltag in einer Contentfabrik bei aller Überzeichnung rasch klar: Die Bullshitjobs, die das Internet hervorgebracht hat, dürften auch nicht weniger entfremdend sein als das, was einst den Industriearbeiter:innen zugemutet wurde. Es ist eine gute Pointe, dass er sein Porträt des digitalen Prekariats in einer (ebenfalls namenlosen) Ruhrpottmetropole spielen lässt (das Buch verfasste der Wiener Autor in Dortmund), die nach dem Niedergang des Kohlebergbaus dem Verfall preisgegeben ist.
Immer wieder streut Hirschl irre Einfälle in den Plot, der zunehmend in Richtung Apokalypse steuert: eine Tiktok-Challenge etwa, bei der es darum geht, sich selbst bis zur Ohnmacht zu würgen, oder den Versuch, die örtliche Feuerwehr nach dem Uber-Prinzip zu organisieren. So witzig wie verstörend, dass das keine Hirngespinste des Autors sind, sondern tatsächlich Beispiele aus der ganz realen Welt.

Elias Hirschl liest in Solothurn am Freitag, 10. Mai 2024, um 13 Uhr.