Autoritarismus: Sich am Kollaps aufgeilen
Was die heutige Rechte vom historischen Faschismus trennt – und wie sich die Ökonomie des Ressentiments aushebeln liesse: neue Bücher von Richard Seymour und Antonio Scurati.

Selbst in Tagen des Triumphs ist die Avantgarde der US-Rechten bemerkenswert endzeitlich gestimmt. Mit der erneuten Wahl Donald Trumps zum Präsidenten rücke die Stunde der «Apokalypse» näher, schrieb der Techinvestor Peter Thiel kürzlich in der «Financial Times» – wobei er den Begriff in seiner ursprünglichen Bedeutung als «Enthüllung» verstanden wissen wollte. Mit der bildungsbürgerlichen Pointe unterstrich Thiel seine Erwartung, dass nun die schmutzigen Geheimnisse, die angeblich in Washingtons Regierungszimmern verborgen liegen, ans Licht kämen: Trumps Einzug ins Weisse Haus als Stunde des Jüngsten Gerichts sozusagen.
Ähnliche Töne hatte der neue Präsident selbst angeschlagen, als er im Wahlkampf das Duell mit Kamala Harris in Anlehnung an das Johannesevangelium zum «letzten Gefecht» stilisierte. Und auch «First Buddy» Elon Musk bedient einen endzeitlichen Sound: Während der rechtsextremen Ausschreitungen vergangenen Sommer in Grossbritannien raunte der Multimilliardär auf der Social-Media-Plattform X: «Ein Bürgerkrieg ist unvermeidlich.»
Geht es dabei überhaupt noch um den Versuch, Wirklichkeit zu beschreiben? Oder äussert sich hier nicht vor allem die Lust an der Katastrophe, am ganz grossen Clash, für die Fakten von vornherein sekundär sind?
Diese Fragen wirft «Disaster Nationalism» von Richard Seymour auf. Das kurz vor der US-Wahl erschienene Buch des nordirischen Publizisten reiht sich in die Diskussion ein, wie der aktuelle internationale Backlash zu erklären ist – und in welchem Verhältnis er zu den reaktionären Bewegungen steht, die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Welt an den Abgrund brachten.
Unheilvolle Obsessionen
Seymour, der unter anderem mit dem Schriftsteller China Miéville die linke Zeitschrift «Salvage» gegründet hat, beginnt mit der Beobachtung, dass die heutige Rechte geradezu besessen sei von Untergangsszenarien: «grosser Austausch», «Genozid an den Weissen», «Love Jihad», «Plandemie» und so weiter. Ihm zufolge handelt es sich dabei keineswegs bloss um propagandistische Parolen, vielmehr berühre man hier den Kern dessen, was er «Disaster Nationalism» nennt: einen «Katastrophennationalismus», der von den USA über Europa bis nach Indien Millionen mobilisiert.
Dieser floriere einerseits in einer Welt, die von immer mehr Naturkatastrophen heimgesucht werde: Laut einer Studie des Weltwirtschaftsforums hat sich deren Zahl seit Ende der achtziger Jahre infolge der Erderhitzung verdreifacht. Andererseits mache den «Disaster Nationalism» aber aus, dass er diese Katastrophen gerade nicht in den Fokus rücke, sondern stattdessen Pseudokrisen skandalisiere: die Krise der traditionellen Familie, der Männlichkeit, des «Abendlands». Diese Verschiebung versperrt nicht nur den Blick auf reale Probleme, sondern eskaliert diese weiter – man denke nur an Trumps lautes Bekenntnis zur fossilen Energie.
Seymour geht es vor allem um die Imaginationsmaschinerie, die diese ideologischen Fabrikationen der Neonationalist:innen ausspuckt. Ressentiments spielen dabei eine zentrale Rolle: Gesellschaftliche Probleme haben oft abstrakte und komplexe Ursachen, sodass sie wie ein schicksalhaftes Unglück erscheinen können – das gilt für Rezessionen wie auch für das Klimakrise oder Pandemien. Ressentiments finden hier einen Nährboden: Vermeintlich Schuldige für eigenes Leid benennen zu können, schafft nicht nur «einfache Erklärungen», sondern auch eine Lusterfahrung. «Das kollektive An- und Entspannen der Muskeln» wirke bei denen, schreibt Seymour, die sich zusammenrotteten, um «Build the wall» zu brüllen oder Muslim:innen den Tod zu wünschen, wie ein «Antidepressivum». Apokalypse kann auch geil sein. So gedeihe der neue Nationalismus auf dem Grund einer «in modernen Gesellschaften zirkulierenden Ökonomie des Ressentiments, die diese Vorstellungen attraktiv macht».
Er warnt davor, diesen Katastrophennationalismus vorschnell mit dem historischen Faschismus gleichzusetzen. Letzterer sei in einem von Militarismus und Imperialismus beherrschten Zeitalter offen antiparlamentarisch aufgetreten mit dem Versprechen, einen sich zuspitzenden Klassenkonflikt zu befrieden. Demgegenüber sei die kümmerliche Utopie der heutigen Rechten ein «muscular capitalism», gleichsam ein Kapitalismus auf Steroiden, der entgrenzte Konkurrenz predigt – was die US-Regierung zuletzt etwa durch ihre Absage an eine Wirtschaftskultur, die Diversität Platz zu bieten versucht, vorgeführt hat. Denkt man Seymour hier weiter, müsste man das, was derzeit passiert, nicht als totalen Bruch mit den vergangenen Jahrzehnten begreifen, sondern als Radikalisierung autoritärer Tendenzen, die der Neoliberalismus immer schon aufgewiesen hat.
Ökonomie des Ressentiments
Was die Warnung vor zu rasch gezogenen geschichtlichen Parallelen angeht, würde Seymour bei Antonio Scurati Zustimmung finden. Der Schriftsteller hat eine inzwischen auch als Serie verfilmte biografische Romanreihe über Benito Mussolini verfasst; und kürzlich ist von ihm ein neues schmales Buch unter dem Titel «Faschismus und Populismus» erschienen, die Ausarbeitung eines Vortrags, den er 2022 in Genf gehalten hatte.
Wie Seymour betrachtet der italienische Romancier den Faschismus der 1920er Jahre als ein Phänomen, das «überwiegend durch die damaligen historischen Verhältnisse bedingt» gewesen sei. Das ist aber nicht als Entwarnung zu verstehen. Scurati identifiziert in der Gegenwart sehr wohl «eine Bedrohung für die Qualität des demokratischen Lebens». Diese gehe von populistischen oder «souveränistischen» Kräften aus: «Und von hier, so meine ich, muss auch die Abstammungslinie der heutigen Politik zum historischen Faschismus zurückverfolgt werden.»
Für diese Genealogie schlägt er vor, zwischen einer faschistischen und einer populistischen Seite Mussolinis zu unterscheiden: Erstere verweist auf die systematische Gewalt, die dieser mit seinen Schlägertrupps entfesselte und die sich bei heutigen Rechtsparteien in dieser Form nicht wiederfindet. Zugleich sei er aber auch subtiler vorgegangen, um seine Landsleute auf Linie zu bringen: «Mussolinis zweites Gesicht ist das des Populisten.»
So beherrschte auch er die von Seymour beschriebene Ökonomie des Ressentiments. Als einer der Ersten, schreibt Scurati, habe Mussolini «die gewaltige politische Bedeutung des Ohnmachtsgefühls» erkannt, «das wir alle angesichts der gewaltigen Komplexität des modernen Lebens empfinden». Seine Lösung: Komplexitätsreduktion mit der Brechstange. «Alles geht aus einem einzigen Problem hervor», paraphrasiert Scurati: «Dieses einzige Problem ist der Feind. Der Feind ist ein Fremder, der sich hier breitgemacht hat. Dieser fremde Eindringling kann beseitigt werden. Problem gelöst.»
Ziviler Antifaschismus
Dieses demagogischen Mittels bedienen sich mittlerweile auch bürgerliche Kräfte. Trotzdem endet Scuratis Essay zuversichtlich: Er sieht die Chance, dass heute «endlich ein ziviler, nicht mehr ideologisch ausgerichteter Antifaschismus möglich» sei. Allerdings fehlt es bei ihm an einer Analyse der Widersprüche, die der angepriesenen «liberalen, uneingeschränkten und vollumfänglichen Demokratie der europäischen Tradition» eingeschrieben sind: So «vollumfänglich» wie vom Mussolini-Experten beschworen, ist die Demokratie weder in Europa noch in den USA je gewesen – was nicht unwesentlich zu ihrer heutigen Krise beiträgt.
Ergiebiger sind Seymours Schlussfolgerungen. Wenn die Rechte ihrer Zielgruppe lustvolle Hasshappenings verschaffe, so wäre auch die Linke gut beraten, libidinöse Energien zu entfesseln: durch die ermächtigende Erfahrung von Kollektivität, sei es im Demonstrationszug oder in lokalen Initiativen. Der reflexhafte Verweis auf die Notwendigkeit von Umverteilung allein – «bread-and-butter politics» – reiche nicht. Helfen würde zudem schon der subjektive Entschluss, sich dem in der Ära des «kapitalistischen Realismus» allgegenwärtigen Gefühl der Macht- und Hoffnungslosigkeit zu widersetzen, wie Seymour im Anschluss an den Kulturwissenschaftler Mark Fisher meint. Man muss auch den Apokalyptiker in sich selbst bekämpfen.
Richard Seymour: «Disaster Nationalism. The Downfall of Liberal Civilization». Verso Books. London/New York 2024. 280 Seiten.
Antonio Scurati: «Faschismus und Populismus». Klett-Cotta Verlag. Stuttgart 2024. 95 Seiten.