Was Dichter denken: Heute Thomas Hürlimann

Beim Schreiben bin ich rasant, wild und masslos. Doch dass man mich jetzt «Grandseigneur der Schweizer Literatur» nennt, scheint mir eine zweifelhafte Schmeichelei – schliesslich bewege ich mich ausserhalb des 
links-grünen Mainstreams. Doch mein Platz auf der Shortlist zum Schweizer Buchpreis 2022 kann meinem Palmares nur gut tun. Wahre Dichter waren schon immer konservativ, von Sophokles über Goethe bis Tschechow – da scheue ich den Vergleich nicht. Auch nicht mit Handke, dem innovativsten meiner Generation.

Ein bisschen klosterschulgeschädigt bin ich ja schon, aber der heutigen Wohlstandsjugend täte es gut, würde sie mehr gefordert. Mich hat mal eine Ärztin gefragt: «Waren Sie in der Fremdenlegion? Sie haben Narben auf dem Schädel wie von Granatsplittern.» Das waren die Spuren vom Schlüsselbund, den uns Pater Matthäus, der Mathe- und Geschichtslehrer, über den Kopf gezogen hat. Wir bekamen Ohrfeigen oder mussten zur Strafe auf einem kantigen Lineal knien. Aber unsere Lehrer waren grossartige Gelehrte!

Missbraucht wurde bei uns keiner. Ich bin mir sicher: Die Häufung von Missbrauchsfällen kommt vom Zerfall der katholischen Kirche. Die Abkehr vom Latein war der Anfang vom Ende, man schafft keine Sprache ungestraft ab. Das gilt natürlich auch fürs Deutsche. Ich finde diese Gendereien zum Kotzen. Nie würde ich so ein Sternchen verwenden, auch lese ich keine Texte, die mich mit diesem Unsinn belästigen. Aber unsere Sprache wird sich auch vom grotesken Umerziehungsprogramm durch die Woke-Bewegung wieder erholen.

Ich bin jetzt in der Alterspubertät und finde sie wundervoll. Jetzt, wo ich meine Erektionsfähigkeit verloren habe, fürchte ich den Inzest nicht mehr und kann meine Mutter als sexuelles Wesen beschreiben.

Die hat übrigens in Zug immer die Revolutionäre Marxistische Liga gewählt, Hanspeter Uster und Jo Lang waren dort die intelligentesten Politiker. Aber dass man jetzt im alten Spital die christlichen Bilder übermalt hat, weil man es für Flüchtlinge braucht, finde ich viel gefährlicher als die Ansiedlung von Rohstofffirmen.

Qualle Aurelia ist so empathisch, dass es wehtut: Im «Zoo» auf woz.ch berichtet sie aus fremden Köpfen.