Vorsicht mit den Bildern

Bilder sind wichtig, um die Dynamik des anhaltenden Aufstands im Iran zu begreifen. Sie offenbaren den unbeschreiblich grossen Mut der Frauen, die sich tanzend und mit wehendem Haar dem Sicherheitsapparat eines klerikal-autoritären Regimes entgegenstellen.

Im Zusammenhang mit diesen Bildern spielt Masih Alinejad eine wichtige Rolle: Die 46-jährige iranische Frauen- und Menschenrechtsaktivistin, Buchautorin und Journalistin fungiert als deren renommierte Multiplikatorin. Schon 2014 hat sie etwa die Kampagne «My Stealthy Freedom» ins Leben gerufen, im Zuge derer Iranerinnen Fotos auf Social Media teilten, die sie ohne Verschleierung zeigen. Alinejad lebt heute im New Yorker Exil, von wo sie schon in der Frühphase des aktuellen Aufstands den Protestbildern zu Reichweite verhalf und damit zu Aufmerksamkeit und Solidarität.

Alinejad ist jedoch keine unumstrittene Figur. Ak­ti­vist:in­nen stellen ihre Unabhängigkeit infrage, weil sie für die persischsprachige Ausgabe von Voice of America arbeitet, dem staatlich finanzierten internationalen Radiosender der USA. Und dass Alinejad im Februar 2019 Mike Pompeo traf, den Aussenminister von Donald Trump, stiess auf Kritik: Der feministische Kampf im Iran drohe so von den Eigeninteressen der US-Regierung vereinnahmt zu werden – was dem iranischen Regime wiederum die Gelegenheit biete, die Proteste als US-gesteuert zu denunzieren.

Zuletzt sorgte Masih Alinejad für eine neue Kontroverse: Auf Twitter teilte sie ein dramatisches Video, auf dem afghanische Frauen beim Protest in Solidarität mit den Frauen im Iran zu sehen sein sollen, während im Hintergrund Gewehrschüsse fallen. Von anderen Nut­zer:in­nen wird Alinejad nun eine Falschdarstellung vorgeworfen: Tatsächlich sei der Protest in Kabul eine Reaktion auf den Selbstmordanschlag vom Freitag auf eine Schule der Hasara-Minderheit gewesen. Dutzende Menschen, vor allem Frauen, sind dabei ermordet worden.

Was dieser Fall vor allem aufzeigt: Beim Weiterverbreiten der mitreissenden Protestbilder ist Vorsicht geboten. Denn mit verfälschten Inhalten ist der Protestbewegung nicht geholfen. Ganz im Gegenteil: Inmitten einer diffusen Wolke aus Fake News droht ihre Wucht zu verpuffen.

Julie Schilf hat die dickste Haut im Getümmel: Im «Zoo» auf woz.ch stellt sie klar, was wichtig ist.