Kunstmarkt: Heiss wie ein Cheminée
Was für die Welt gilt, gilt auch für die Kunstwelt: Die Reichen werden immer reicher, die Armen rudern. Definitiv zu den Reichen gehört der britische Künstler Damien Hirst.
Bekannt wurde Hirst vor dreissig Jahren dank eines in Formaldehyd eingelegten Tigerhais, der mit aufgerissenem Rachen ins, genau, Haifischbecken der Kunstszene einfiel und dort natürlich auch den Kunstmarkt aufmischte.
Hirsts neustes Werk heisst «The Currency», was so viel bedeutet wie Währung oder Verbreitung. Es besteht aus 10 000 DIN-A4-grossen Blättern mit farbigen Punkten. «Alle Bilder waren unterschiedlich, aber sehr ähnlich.» Treffende Beschreibung, NZZ! Die Punkte sind allerdings nicht das Entscheidende. Viel wichtiger ist, dass Hirst seine 10 000 Bilder in zwei Formaten zum Verkauf anbot: als Papier mit Farbe drauf und als NFT, also als einmalige digitale Datei. Die Wahl hatten die Käufer:innen. Gern hätte ich hier nochmals erklärt, wie NFTs genau funktionieren, leider fehlt der Platz. Wesentlich ist: Hirst kündigte an, er werde diejenigen physischen Bilder später zerstören, die als digitale Kopie gekauft worden seien.
Der Kunstmarkt läuft heiss. Heiss wie ein Cheminée im kühlen Herbst, wird sich Hirst wohl gesagt haben, als er zur Zerstörungsaktion schritt und die physischen Doppel der NFTs in einer schicken Feuerstelle in der Londoner Newport Street Gallery abfackelte. Was man als faktenversessener Besserwisser zugeben muss: Einmal mehr hats der Zampano Hirst geschafft, zwei Millionen zu verdienen – und gleich noch eine öffentlichkeitswirksame Riesenshow abzuziehen, die seinen Marktwert weiter steigern wird. Denn natürlich lässt er es sich nicht nehmen, die Bilder eigenhändig anzuzünden, ausgestattet mit attraktiven feuerfesten Silberhandschuhen und -hosen, in einem eigens dafür angefertigten Cheminée, malerisch assistiert von einem uniformierten Feuerwehrmann. Umrahmt war das Ganze mit routiniertem Pseudotiefsinn: Er wolle mit seiner Aktion grundsätzliche Fragen über die Essenz der Kunst aufwerfen, sagte Hirst.
Seltsam unterbelichtet blieb allerdings, dass dieser «Currency»-Verkauf auch eine Art Scherbengericht zum hoffnungsfrohen NFT-Markt war, der viel Umsatz verspricht, in jüngster Zeit aber auch heftige Turbulenzen durchmachte. Diese Abstimmung ging knapp zugunsten der analogen Kunst aus: 5149 Käufer:innen, also etwas mehr als die Hälfte, hatten sich gegen das NFT entschieden.
Fakten, Fakten, Fakten: Der Oberleguan rückt im «Zoo» auf woz.ch regelmässig die Dinge zurecht.
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