Die besten Filme aller Zeiten? Ha!

Wenn irgendwo die Rede ist von den «besten XY aller Zeiten», dann weisst du gleich: Das ist Unfug. Nur schon deshalb, weil zwar bekannt ist, was die bisherigen Zeiten gebracht haben, aber bekanntlich niemand weiss, was die kommenden Zeiten noch bringen werden. Erst recht widersinnig ist es, wenn so etwas wie die «besten Filme aller Zeiten» ausgerufen wird, es also um eine Kunstgattung geht, die es überhaupt erst seit 127 Jahren gibt. Ha! Für mich alten Saurier nicht mal ein Mückenfurz. Oder nur mal auf 2 Millionen Jahre Menschheitsgeschichte gerechnet: 127 Jahre Kino, das entspricht 0,0635 Tausendstel aller bisherigen Zeiten.

Wenn also die britische Filmzeitschrift «Sight & Sound» jetzt wie alle zehn Jahre wieder die «Greatest Films of All Time» gekürt hat, so ist das zwar Unsinn – aber trotzdem aufschlussreich. Beim letzten Ranking von 2012 stimmten 846 internationale Fachleute ab, und unter den Top 100 der angeblich besten Filme fanden sich gerade mal zwei Werke von Regisseurinnen: «Jeanne Dielman, 23 quai du Commerce, 1080 Bruxelles» von Chantal Akerman und «Beau Travail» von Claire Denis. Filme von Afroamerikaner:innen suchte man vergebens, und der einzige Film aus Lateinamerika war ein deutscher: «Aguirre, der Zorn Gottes» von Werner Herzog. Und diesmal?

Diesmal durften fast doppelt so viele Expert:innen abstimmen, und nach «Citizen Kane» und «Vertigo» steht jetzt als bester Film neu auf Platz 1: Chantal Akerman mit «Jeanne Dielman». In den Top 100 finden sich eine ganze Reihe weitere Regisseurinnen: neben Claire Denis neu auch Agnès Varda, Maya Deren, Vera Chytilova, Barbara Loden, Jane Campion, Julie Dash – und Céline Sciamma, mit dem jüngsten Film auf der Liste («Portrait de la jeune fille en feu», Platz 30). Weil Akerman und Varda gleich mit zwei Filmen vertreten sind, ist der Frauenanteil damit auf einen Schlag von zwei Prozent auf über zehn Prozent gestiegen. Ist das relativ viel oder immer noch verdammt wenig?

Auch afroamerikanisches Kino sucht man nicht mehr vergebens: immerhin fünf Filme, darunter natürlich «Do the Right Thing» von Spike Lee (Platz 24), «Moonlight» von Barry Jenkins (Platz 62) und «Get Out» von Jordan Peele (Platz 98). Und mit dem japanischen Regisseur Hayao Miyazaki ist erstmals auch der Animationsfilm vertreten – sogar gleich doppelt, mit «Mein Nachbar Totoro» (Platz 72) und mit «Chihiros Reise ins Zauberland» (Platz 77).

Es kommt also ein bisschen Bewegung in den Filmkanon. Umso stossender, dass ein ganzer Kontinent immer noch völlig blank bleibt: amerikanische Filme von ausserhalb der USA sucht man in diesen Top 100 vergebens. Kino aus Lateinamerika? Fehlanzeige.

Fakten, Fakten, Fakten: Der Oberleguan rückt im «Zoo» auf woz.ch regelmässig die Dinge zurecht.