Gegen den Untertanengeist
Aktivismusbashing ist derzeit schwer in Mode – jüngstes Beispiel: der «Klimakleber»-Schmähsong von Marco Rima. Der Youtube-Clip des Spassmachers ist freilich derart drüber, dass man sich über ihn schon gar nicht mehr zu erregen vermag. Aber es ist nun mal nicht nur Rima: So finden laut einer Tamedia-Umfrage von vergangener Woche vier von fünf Zürcher:innen, dass Polizeieinsätze bei unbewilligten Demonstrationen diejenigen bezahlen sollten, die da ganz ohne behördliche Bewilligung auf die Strasse gehen. Selbst unter Leuten, die links der Mitte stehen, ist diese Meinung vorherrschend. Offenkundig ist der derzeitige Zeit- vor allem ein Untertanengeist: Protest? Lieber nicht! Andernfalls steht der Possenreisser auf der Matte.
Auch in Deutschland schickt man sich an, Aktivist:innen zur Kasse zu bitten: Der Energiekonzern RWE, der im rheinischen Braunkohlerevier fröhlich den Boden zu postapokalyptisch anmutenden Landschaften umgräbt, hat kürzlich Schadensersatzklagen angekündigt gegen Leute, die sich dem renditegeilen Terraforming entgegenstellten. Gleichzeitig ist in der aufgekratzten Debatte nach der Lützerath-Räumung die Aufregung gross, weil gefährliche «Linksextremisten» die Klimabewegung unterwandert haben sollen. Dabei wusste man das ja eigentlich schon vorher, immerhin hatte man ja wochenlang das Gespenst einer «Klima-RAF» an die Wand gemalt.
Die Zeichen stehen auf Repression, und das gilt nicht nur für den Klimaaktivismus. Denkt man etwa an die allgemeine Erregtheit rund um die irren Ideen, die die Jugend plötzlich im Griff haben sollen, so geht es auch hier vor allem darum, Antirassismus und Queerfeminismus zu diskreditieren, indem man linke Taliban herbeihalluziniert. Oder glaubt jemand ernsthaft, das mediale Dauerfeuer gegen die «Wokeness» – an dieser Stelle viele Grüsse an den Genderstern-Poeten aus Bern! – ziele auf eine differenzierte Erörterung konzeptueller Schwachstellen der Critical Race Theory?
Neulich trat im bald geräumten Zürcher Koch-Areal eine Band namens Dekadenz Diarrhö auf, deren Sängerin in einem Refrain immer wieder «Scheiss Repression!» zu Synthesizerklängen brüllte. Die Band spielte den Song sogar zweimal, weil sie nicht genug Repertoire hatte, aber auch, weil Widerspenstigkeit nicht oft genug beschworen werden kann. Das geht auch die an, die sich am liebsten nur ums eigene Gärtchen kümmern würden: Wo draussen auf der Strasse zumindest ein bisschen Unruhe herrscht, lebt es sich unzweifelhaft besser als in Gesellschaft von Duckmäusern.
Mona Molotov ist die meinungsstärkste Möwe des Landes. Sie schreibt regelmässig im «Zoo» auf woz.ch.
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