Eine Knarre für jedermann

«Florida erlaubt das verdeckte Tragen von Waffen ohne Lizenz. Bravo! Das Recht auf Selbstverteidigung ist ein Grundrecht. Wann zieht die Schweiz endlich nach?», fragte Nicolas A. Rimoldi am 1. April völlig scherzfrei auf Twitter. Der Mann, der sich bei Einführung der Pandemiemassnahmen radikalisierte, bis ihn die Luzerner FDP ausschloss und er die «Jugendbewegung» Mass-voll gründete, gibt – trotz Asthma – gern den zigarrerauchenden Jesus oder Braveheart. Selbst ich, der radikale Forderungen nicht fremd sind, frage mich: Wer hat dem jetzt wieder ins Hirn geschissen?

Seit Coronazeiten träumt Rimoldi vom «Volks­aufstand» gegen die «faschistischen Zwangs­massnahmen», wobei er sich fern von Twitter neuerdings gerne als Superdemokrat gibt: Im Herbst will er mit Mass-voll für Zürich in den Nationalrat, und vor drei Tagen reichte er mit den «Freunden der Verfassung» die Unterschriften für eine dritte Abstimmung übers Covid-19-Gesetz ein.

Auf seine Schnapsidee, in der Schweiz zwecks Selbstverteidigung lizenzfrei das Tragen von Schusswaffen zu erlauben, antwortete die grüne Nationalrätin Meret Schneider: «Ah was, in Notwehr erstech ich den Rimoldi auch mit dem Sackmesser.» Leider fehlte diesem Tweet aber die in der Schweiz zwingend notwendige Kennzeichnung als «Scherz» oder «Ironie», weshalb Rimoldi die Nationalrätin wegen «mutmasslicher Morddrohung» anzeigen will und Mass-voll ihren Rücktritt aus dem Nationalrat fordert.

Darauf stürzte sich erst gespielt empört 20min.ch, im Lead so formuliert: «In einer Twitterdiskussion schrieb Grünen-Nationalrätin Meret Schneider, sie würde Nicolas Rimoldi zur Notwehr mit dem Sackmesser erstechen. Sie spricht von einem ‹offensichtlichen Scherz›, doch soll danach offenbar ‹unzählige Drohungen› in ihr Postfach erhalten haben.» Andere Medien folgten. Der absurde Anlass für den «offensichtlichen Scherz», die Forderung nach Schusswaffen für alle, scheint hierzulande ganz normal – schliesslich steht beim freien Schweizer immer noch das Sturmgewehr im Kleiderschrank.

Meret Schneider schrieb gestern auf Twitter: «Aufgrund zahlreicher realer Morddrohungen und Vergewaltigungsdrohungen in meinem Mail-Postfach aufgrund des 20min-Artikels» melde sie sich erst mal ab. Und das ist die eigentliche Tragödie.

Mona Molotov ist die meinungsstärkste Möwe des Landes. Sie schreibt regelmässig im «Zoo» auf woz.ch.