Für die Angst, sich beim Küssen erwischen zu lassen

Was wäre ein Protest ohne seinen Song? Mit dem richtigen Sound fällt nicht nur der Kampf, sondern auch das Siegen leichter. Kein Wunder also, hat praktisch jede Protestbewegung ihren eigenen Song. Manchmal macht ein solcher den Mächtigen derart Angst, dass sie die Sänger:innen ins Gefängnis stecken.

«Baraye» – so lautet der Titel des Protestsongs, der übersetzt «für» oder «wegen» bedeutet, und der die Kämpfe der Menschen im Iran gegen das Regime seit September begleitet. «Die beste Möglichkeit, den Aufstand im Iran zu verstehen, ist kein Buch oder Essay, sondern Shervin Hajipours Song», schrieb der Iranexperte Karim Sadjadpour auf Twitter, kurz nachdem das Lied sich viral zu verbreiten begonnen hatte. Der Musiker Shervin Hajipour hat den Text aus Tweets zusammengestellt, in denen Iraner:innen begründen, warum sie gegen das Regime protestierten. Mit feiner Stimme zählt er singend die Gründe auf, während er sich auf dem Klavier begleitet.

Zwei Tage nachdem das Lied an die Öffentlichkeit gelangte, wurde Hajipour für mehrere Tage verhaftet – doch die Verbreitung seines Liedes war nicht mehr aufzuhalten. Sowohl im Iran als auch ausserhalb wurde es in den sozialen Medien geteilt, es gibt zahlreiche Covers sowie neue Fassungen und schliesslich gewann der Song an den diesjährigen Grammy Awards den ersten Sonderpreis für sozialen Wandel.

Seit neustem gibt es dank «Swiss Artist for Free Iran» auch eine deutsche Version: Die Schweiz-Iranerin Shiva Arbabi hat den erschütternden Protestsong übersetzt und «Frau Leben Freiheit» mit zehn bekannten Musiker:innen auf Deutsch aufgenommen. «Für meine, deine, unsere Schwestern», «für das Ende dieser Gefangenschaft», «für all das endlose Tränenmeer», «für die Angst, sich beim Küssen erwischen zu lassen», «für das Gefängnis voller Genies», «für die Frau» – so singen Sina, Adrian Stern, Heidi Happy, To Athena, Tim Freitag, Panda Lux, Wolfman und Esmeralda Galda zum Klavierspiel von Lord Kesseli und dem Beat, dem Synthesizer und der Gitarre von Reponaut.

All das auf Deutsch gesungen zu hören, lässt einem erschaudern. Führen diese Worte einem doch einmal mehr die Brutalität des Regimes aber auch den unglaublichen Mut der protestierenden Menschen im Iran vor Augen, für die das Tanzen auf der Strasse den Tod bedeuten kann. Dazu tragen auch die Bildcollagen im Video bei, das Protestierende zeigt sowie Bilder von ermordeten Iraner:innen. «Zan, Zendegi, Azadi – Frau, Leben, Freiheit», mit diesem Aufruf endet das Lied, das hoffentlich weiterhin laut durch die Welt tönen – sei es auf Persisch, auf Deutsch oder in anderen Sprachen – und den kämpfenden Menschen zum Sieg tragen wird.

Mona Molotov ist die meinungsstärkste Möwe des Landes. Sie schreibt regelmässig im «Zoo» auf woz.ch. Das Lied finden Sie hier.