Autorinnen in Afghanistan (5): «Ich appelliere an alle Frauen …»
Eine Influencerin, die im afghanischen Nationalpark mit Waffen posiert; eine Sozialwissenschaftlerin, die patriarchale Unterdrückung kleinredet: Warum propagieren westliche Frauen plötzlich öffentlich das Taliban-Regime?

Am 3. Juni 2025 erkannte Russlands Regierung die Taliban als legitime Regierung Afghanistans an und hisste die Taliban-Flagge über der afghanischen Botschaft in Moskau.
Russland, einer der ständigen Vertreter Sicjherheitsrat der Vereinten Nationen, hat damit zwei Kernpunkte der Uno-Politik ignoriert: die Achtung der Menschenrechte und die Wahrung des internationalen Friedens und der Sicherheit. Indem es die systematische Diskriminierung der afghanischen Frauen ignoriert und eine Gruppierung anerkennt, deren Anführer wegen terroristischer Aktivitäten von internationalen Institutionen auf die schwarze Liste gesetzt wurden, zeigt Russland, dass es seine wirtschaftlichen und geopolitischen Interessen über globale Werte stellt.
Russland ist nicht das einzige Land, das seine Beziehung zu den Taliban normalisieren will. Auch andere Länder, darunter etwa Deutschland und die USA, versuchen, «die Migrationskrise zu lösen», indem sie sich den Taliban annähern. Über diplomatische Kontakte, geheime Treffen und Medienpropaganda spielen sie die Menschenrechtsverletzungen der Taliban herunter, vor allem jene gegen Frauen.
Teil der aktuellen Medienpropaganda sind unter anderem Reiseberichte ausländischer Frauen aus Afghanistan. Dass sie ungehindert und offenbar von den Taliban unterstützt in einem Land herumreisen können, in dem Frauen nicht einmal die grundlegendsten Menschenrechte geniessen, wirft Fragen auf. Liest man die Berichte dieser Frauen, wird anhand der eindimensionalen und verzerrten Darstellung klar: Sie sind aus politischen Gründen und mit voreingenommenem Blick durch Afghanistan gereist.
Sich problemlos amüsieren
Im Februar 2025 besuchte beispielsweise die US-amerikanische Pornodarstellerin und Influencerin Whitney Wright Afghanistan. Ihre Reise in ein Land, in dem Frauen wegen vermeintlicher Ehrverletzungen gesteinigt und getötet werden können, ist durchaus bemerkenswert. Unter anderem veröffentlichte sie ein Foto von sich mit einer Waffe, aufgenommen im Band-e-Amir-Nationalpark in der Provinz Bamiyan. Indem sie mit einem US-amerikanischen Pass nach Afghanistan reiste und sich in Band-e-Amir und an anderen Ausflugszielen demonstrativ frei bewegte, zeigte sie, dass ausländische Frauen sich in Afghanistan problemlos amüsieren und Inhalte für soziale Netzwerke produzieren können. Afghanischen Influencer:innen hingegen drohen bei Verstössen gegen religiöse und moralische Normen Zensur und Gefängnisstrafen. So wurde vor kurzem die afghanisch-kanadische Aktivistin Nadima Noor, die sich für Mädchenrechte und Bildung engagiert, von den Taliban festgenommen. Ihr Schicksal ist unbekannt.
Im Frühjahr 2025 reiste Cheryl Benard nach Afghanistan. Sie ist Schriftstellerin und Sozialwissenschaftlerin und besuchte Kabul als Privatperson. Sie ist aber auch die Frau von Salmai Khalilsad, dem ehemaligen US-Botschafter in Afghanistan. Ein daraufhin von ihr in der politischen US-Fachzeitschrift «The National Interest» veröffentlichter Artikel sorgte bei internationalen Menschenrechtsorganisationen und feministischen Gruppierungen für Empörung. Sie verurteilten Bernards Artikel scharf und warfen ihr vor, die systematische Diskriminierung von Frauen zu leugnen und letztlich das Taliban-Regime reinzuwaschen.
In ihrem Artikel schrieb Benard, die Sicherheitslage in Afghanistan habe sich verbessert, im Stadtzentrum seien Privatschulen für Mädchen ab der sechsten Klasse eröffnet worden, und dass Frauen in allen Lebensbereichen diskriminiert würden, sei eine mediale Übertreibung. Sie halte die Rückführung von Migrant:innen für sicher und könne sich vorstellen, dass die Taliban mittels Dialog und Verhandlungen zu einer Änderung ihrer Haltung gegenüber Frauen bewogen würden. Sie befürwortete auch, dass sich die US-Regierung im April entschieden hatte, den befristeten Schutz für Afghan:innen aufzuheben. Eine Massnahme, der sich daraufhin in unterschiedlichen Ausprägungen und aus unterschiedlichen Gründen auch Länder wie Deutschland, die Schweiz, Pakistan und der Iran anschlossen.
Hört auf zu verharmlosen!
Die Realität ist jedoch anders: Tatsächlich hat der Druck auf Frauen zugenommen, seit im Juli der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag einen Haftbefehl gegen den Taliban-Chef Haibatullah Achundsada und den obersten Richter Abdul Hakim Hakkani erlassen hat und die Vereinten Nationen eine elfseitige Resolution zur Beendigung der systematischen Unterdrückung von Mädchen und Frauen veröffentlicht haben. Auf den Strassen, in Restaurants und Einkaufszentren hat das Ministerium zur Förderung von Tugend und zur Verhinderung von Lastern zahlreiche Frauen verhaften lassen.
Lediglich eine Handvoll Privatschulen in den Zentren afghanischer Grossstädte dürfen Schülerinnen ab der sechsten Klasse aufnehmen, was laut Unicef-Statistiken bei weitem nicht ausreicht für die 2,2 Millionen Mädchen des Landes ohne Sekundarschulbildung. Die Tore der Universitäten sind für Frauen weiterhin verschlossen. Nur sehr wenige Frauen sind in den Medien, in Kleinunternehmen oder im Gesundheitswesen tätig.
Seit die internationale Hilfe für Gesundheitsdienste stark reduziert worden ist, steigt die Sterblichkeitsrate von Müttern und Kindern. Frauen sind besonders von Armut betroffen. Psychische Erkrankungen bei Frauen nehmen zu. Laut den Zahlen der Internationalen Organisation für Migration und des Uno-Flüchtlingswerks UNHCR sind knapp die Hälfte aller aus Pakistan und dem Iran zurückgeführten Afghan:innen Mädchen und Frauen, die den Risiken von Hunger, Obdachlosigkeit, Gewalt, Missbrauch und mangelndem Zugang zu Bildung und Gesundheitsdiensten ausgesetzt sind.
Die Länder, die Afghanistan einst beim Aufbau von Demokratie und Gerechtigkeit unterstützt haben, versuchen nun, die grösste Hürde für diplomatische Beziehungen zu den Taliban herunterzuspielen: die systematische Unterdrückung der Frauen. Als afghanische Frau appelliere ich also an alle Frauen, sich ein umfassendes Bild der Lage zu machen, bevor sie über Afghanistan berichten. Die Verharmlosung der politischen und sozialen Realität bedeutet eine doppelte Unterdrückung von Frauen, die in dieser geografischen Zwangslage stumm, einsam und vergessen zurückgelassen wurden.
Aus dem afghanischen Persisch von Bianca Gackstatter.