Ausstellung: Hui statt pfui
Was ist Abfall, was ist Wertstoff? Die Ausstellung «Blut & Staub» im Gewerbemuseum Winterthur provoziert mit unkonventionellen Fragen rund um Recycling.

Es ist ein Werbefilm der etwas anderen Art: Die junge Frau schiebt sich eine schwärzliche Pastille zur Zahnreinigung in den Mund, kaut darauf herum, beschreibt das Mundgefühl als «durchaus angenehm». Pikantes Detail: Die Pastille besteht aus pyrolysiertem menschlichem Kot. Im sauerstoffarmen Verbrennungsprozess wandelt sich jede organische Materie zu Kohle – warum nicht auch Fäkalien? Mit Kotkohle muss man sich ja nicht zwingend die Zähne putzen oder den Grill einheizen. Es liesse sich auch ein Kreislaufsystem schaffen, in dem ein Haus mit den verdauten Nahrungsresten der Bewohner:innen beheizt werden könnte.
Das sind mehr als Gedankenspiele, wie die Ausstellung «Blut & Staub» im Gewerbemuseum Winterthur zeigt: Auch wenn die Provokation schon im Titel angelegt ist, steht dahinter die hehre Absicht, Rohstoffe als Ressourcen neu zu denken. Was, wenn aus Müll und Abfall plötzlich Wertstoffe werden? Mehr noch: Wertstoffe, die selber wiederverwendet werden könnten?
Reale Beispiele gibt es durchaus in dieser kleinteiligen, wie auf Seziertischchen präsentierten Ausstellung. Sie erfordert einiges an Abstraktionsvermögen, zumal Umweltverschmutzung und Klimaerhitzung nur im Hintergrund (und -kopf) dräuen und allenfalls in den kargen Erläuterungszeilen als Zahlen aufblitzen. Wie im Fall der Zementindustrie, die allein zehn Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen verursacht. Auf Schweizer Baustellen fallen jährlich rund 7,5 Millionen Tonnen Mischabbruch an, mineralischer Bauschutt, der zu einem Grossteil aus Beton besteht. Die Firma Swisspor zerkleinert ihn zu Staub und «schäumt» diesen zu Isolationsplatten für Gebäudefassaden auf, die zu 98 Prozent aus Luft bestehen.
Abgrund Schlachthof
Auf einem anderen Tisch stehen formschöne Schalen und Vasen, die in einem dunklen Rot beinahe zu glühen scheinen. Welche Abgründe sich in ihnen verbergen, wird auf einem Kärtchen in nur drei Sätzen enthüllt: Sie sind aus Rotschlamm gefertigt, einem hochgiftigen Abfallstoff der Aluminiumgewinnung, der «für Menschen in der westlichen Welt nicht sichtbar» ist, vor Ort aber verheerende Auswirkungen auf das Ökosystem hat. Er steht sinnbildlich für den Titel der Ausstellung, die das Gewerbemuseum zusammen mit der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) realisiert hat. Mit «Blut & Staub», so macht Franziska Müller-Reissmann, Leiterin des ZHdK-Materialarchivs, an der Vernissage klar, sollen auch blutige und staubige Verhältnisse angeklagt werden. Die Rohstoffgewinnung ist dafür nur ein Beispiel.
Es geht darüber hinaus um Gegensätze und Tabus: Blut ist lebenswichtig, spezifisch – Staub kann alles sein, zu Staub wird alles, und Staub kommt überall hin, er kann lebensbedrohlich sein. Wo Blut sichtbar wird, wirkt es bedrohlich, ruft Abneigung, ja Ekel hervor – allein schon die Vorstellung, dass in den Schlachthöfen hierzulande jedes Jahr zwischen sechzehn und neunzehn Millionen Liter Schweine- und Rinderblut vergossen werden … Verbieten sich da nicht Gedanken zu seiner Wiederverwertung? Oder müssten wir uns aus ethischen Überlegungen nicht vielmehr genau damit auseinandersetzen, wie das ZHdK-Projekt «Radical Matter» stattdessen impliziert?
Wo bei «Radical Matter» technische und ästhetische Experimente Blut als Wert- und Werkstoff erkunden, machen andere Kunstprojekte handfeste Vorschläge für eine Verwendung von Restprodukten aus der Schlachtindustrie. Hühnerbeinhaut etwa lässt sich zu feinstem Leder mit schlangenhautähnlicher Optik vernähen.
Ein Moment der Erleuchtung
Und dann liegt da plötzlich menschliches Haar auf dem Tisch und weckt unweigerlich Assoziationen an die Massenvernichtungsindustrie der Nazis. Dabei sind die Absichten hinter Projekten wie «Recup’Hair» ganz lauter: Coiffeure und Coiffeusen können die haarigen Überreste ihrer Arbeit abholen und zu Matten verarbeiten lassen, die Öl binden und so zum Beispiel eine Umweltkatastrophe verhindern helfen, wenn ein Tanker auf hoher See leckschlägt. Wäre schön, wenn Kund:innen in den Salons dann auch über die dunkle Vergangenheit des Recyclings informiert und explizit um ihr Einverständnis für eine Weiterverwendung ihrer Haare gebeten würden.
«Blut & Staub» provoziert bewusst, aber nie plakativ. Wie weit man sich auf eine Entdeckungsreise einlässt, die auch in Abgründe führt, bleibt dem Publikum überlassen. Das Groteske wirkt dabei durchaus stimulierend. Wie im Fall der ZHdK-Studentinnen, die ihre Zahnputztabs und Räucherstäbchen aus Fäkalienkohle gleich filmisch bewerben. Oder im sprechenden Beispiel von «Merdacotta», gebranntem Essgeschirr auf Kuhmistbasis, das eigentlich nur ein weiteres Nebenprodukt aus dem Bemühen eines italienischen Milchkuhbetriebs mit Tausenden von Tieren ist, auf dem Grossbetrieb eine Kreislaufwirtschaft zu etablieren: Aus den täglich anfallenden 150 000 Kilo Mist wird das Methan aufgefangen und für die Energieversorgung genutzt, der Harnstoff wird abgeschieden und für die Produktion von Kunststoff weiterverarbeitet.
Vielleicht gibt es sogar Momente der Erleuchtung – beim Anblick dieser unförmig-unscheinbaren Box mit Kupferplatten etwa, die unter dem Kotflügel von Autos montiert wird und den sperrigen Namen «Reifenabriebauffanggerät» trägt. Ist es tatsächlich so einfach, Plastikfeinstaubpartikel, die Mensch und Umwelt gefährden (siehe WOZ Nr. 39/23), unschädlich zu machen?
«Blut & Staub» ist bis am 1. September im Gewerbemuseum Winterthur zu sehen.